ZitatThüringen, im Dezember 1695. Der ehemalige Soldat und Wirt Nickel List, eigentlich ein herzensguter Kerl, zündet seine Wirtschaft an, um sich an seinem verräterischen Eheweib Magdalena und ihrem Liebhaber zu rächen. Enttäuscht verlässt er seine Heimat und trifft auf die schöne Diebin Anna. Die ist ihrem Mann, einem reichen Hamburger Weinhändler, davongelaufen und ebenso wie Nickel auf der Flucht. Jahre später ziehen sie als Herr von der Mosel und Anna von Sien durch den Norden. Selbst die größten Kirchen sind vor dem berühmt-berüchtigten Räuberpaar nicht mehr sicher. Doch ihre Häscher sind ihnen bereits auf den Fersen
Historische Romane können wunderbar zu lesen sein. Besonders Romane mit einem wahren Hintergrund geben Einblicke in eine längst vergangene Zeit. So etwas fasziniert mich sehr. Allerdings gelingt es nur wenigen Autoren mich in diesem Genre wirklich zu fesseln und gar zu begeistern. Schlechte Recherche, trockene Themen, langatmige Umsetzung und dazu ein altmodischer Stil, der das Lesen zudem noch erschwert. Daran bin ich schon des Öfteren verzweifelt.
„Die Hure und der Meisterdieb“ beruht auf dem Leben von Nikol List, der besser bekannt als Nickel List war und 1965 geboren wurde. Nickel war als Hauptmann einer Räuberbande im norddeutschen Raum bekannt. Er war für den größten, bekannten Kirchenraub aller Zeiten bekannt. 1698 wurde er mit seiner Bande gefangen genommen. Seine wahre Geschichte kombiniert die Autorin mit der Person Anna von Sien, die laut einigen Quellen verheiratete aus Portugal stammende Jüdin war, die in Hamburg lebte. Sie und auch seine Kumpanen sind alle reale Personen, die von Bettina Szrama lange Zeit studiert wurden.
Neben dem Leben des größten Kirchenräubers aller Zeiten, welches Bettina Szrama so authentisch wie möglich der Nachwelt vermitteln will, setzt sie ein großes Augenmerk auf einen historisch, romantischen Roman, denn die Liebesgeschichte nimmt einen großen Teil der Geschichte ein. Hier konstruiert sie eine romantische Liebesgeschichte, die wunderbar zu lesen ist, selbst wenn man die Protagonistin Anna nicht unbedingt schätzen lernt. Während man eigentlich davon ausgehen würde, dass der Räuberhauptmann List alle negativen Eigenschaften mit sich bringt, wirkt er, wie es auch zu Lebzeiten gewesen sein soll, sympathisch, stark, warmherzig und treuherzig. Man schließt ihn sofort ins Herz und ist umso erfreuter, wenn die Autorin später in einem Nachwort verrät, dass diese positiven Eigenschaften aus einer guten Recherche stammen, und dies genau die Punkte waren, die ihm zum Verhängnis geworden sind. Hingegen ist Anna von Anfang an alles andere als sympathisch. Obwohl Bettina Szrama wirklich viel Herz ins Detail steckt, und versucht aufzuzeigen, was List an seiner Geliebten gefunden hat, gelingt es mir nicht mit ihr warm zu werden. Kalt, berechnend und egoistisch sind die Worte, die mir bei dieser Person einfallen. Dementsprechend fällt es schwer die Liebe, die List so tief empfunden haben mag, nachzuvollziehen. Egal wie gut es beschrieben ist, man bekommt beim Lesen eher Mitleid mit diesem einmaligen Mann.
Neben der mehr oder weniger schönen Liebesgeschichte, die jedoch nur durch die wirklichen Begebenheiten unschön erscheint, setzt sich die Autorin auch mit den vielen Raubzügen, und letzten Endes dem Verrat auseinander, der zum Tod von List führte. Obwohl man schon weiß, wie das Buch ausgehen wird, denn reale Begebenheiten lassen kein überraschende Ende zu, ist es bis zur letzten Seite fesselnd. Dafür sorgen die liebevoll recherchierten Details. Man möchte keinen noch so wichtigen Schritt, den List in seinem Leben gegangen ist, verpassen. Am Ende ist man so in sein Leben involviert, dass die Festnahme und seine Hinrichtung einen so sehr bewegen, dass man wirklich den Tränen nahe ist. Dies zeigt, wie gut Bettina Szrama es versteht historische Handlungen ins rechte Licht zu rücken.
Dafür sorgt schon der einmalige Stil, der bildhaft und zugleich die Fakten liebevoll und alles andere als trocken vermittelt. Einmal angefangen fällt es schwer das Werk aus der Hand zu legen. Immer wieder passieren neue Dinge, die Spannung in die Handlung bringen, da ein Laie nicht jedes Detail von Lists Biographie kennt.
Doch auch drei kleine Schwächen sind mir beim Lesen aufgefallen. Nicht jeder Leser weiß um die Tatsache, dass Nickel List eine reale Person war. Aus diesem Grund wäre ein kleines Vorwort angebrachter gewesen, als dies im Nachwort zu erwähnen. Womit ich gleich beim zweiten Punkt wäre. Statt die Namen der Protagonisten vorne zu erklären, gibt es die Namensbeschreibungen am Schluss. Wer nicht gerade einmal hinten durchblätter, wie ich, um die Anzahl der Kapitel zu erfahren, würde es zu spät entdecken und beim Lesen nicht darauf zurückgreifen können.
Die letzte Schwäche ist die Tatsache, dass die Autorin in ihrer Geschichte die modernen Namen der Regionen verwendet. Für das Verständnis beim Lesen ist es hilfreicher, aber historisch wäre es angebrachter gewesen, hätte sie die originalen Namen der Regionen recherchiert, und zum Verständnis eine Landkarte der wichtigsten Schauplätze, Regionen und ihren Grenzen vorab eingebaut.
Nichtsdestotrotz ist Bettina Szrama ein historischer Roman gelungen. Man merkt, dass ihr dieser Roman, mit seiner Idee um Nickel List, sehr am Herzen gelegen hat, denn die Recherche und sogar die originalgetreue Hinrichtung sprechen für sich. Auch wenn die Liebesgeschichte weniger belegt ist und eher konstruierter erscheint, nimmt sie dem Wahrheitsgehalt der Geschichte nichts.
„Die Hure und der Meisterdieb“ ist so locker geschrieben, dass man es am Ende aus der Hand legt und mehr davon lesen möchte. Zeitgleich regt diese Geschichte zum Nachdenken an und wird den Leser noch über Tage beschäftigen. Mich hat dieses Schicksal noch einen ganzen Abend beschäftigt. Aus diesem Grund kann ich Fans von historischen Romanen oder Lesern, die sich für das Leben, Lieben und den Tod von Nickel List interessieren, nur ans Herz legen. Mich hat Bettina Szrama so überzeugt, dass ich definitiv mehr von ihr Lesen möchte und werde.
Erstellt am 1.11.11