Achtung, Frauenbuch! Am liebsten würde ich sämtlichen Exemplaren dieses Buches einen solchen Aufkleber verpassen. Und dafür den eigentlichen Klappentext streichen. Der sagt nämlich ungefähr so viel über das Buch aus, wie ein Kochrezept über den Geschmack eines Gerichts. Eigentlich geht es hier schlicht und einfach um die Vergangenheitsbewältigung einer etwas verkorksten Frau Mitte 50, und nicht etwa um einen Wochenendausflug einer Erwachsenen und eines Teenagers.
Ich muss mich wirklich ein wenig über den deutschen Verlag ärgern. Den der hat in meinen Augen dem Leser gegenüber Etikettenschwindel betrieben. Das, was der Klappentext hier anpreist, ist wenig mehr als Auslöser für die Handlung - insofern man das als Handlung bezeichnen kann, was man hier serviert bekommt. Es fängt schon damit an, dass einem vorgegaukelt wird, eine erwachsene Frau fahre mit "der Tochter einer Bekannten" in ihr Ferienhaus, um die Folgen eines Einbruchs zu verdauen. Schon zweimal falsch. Erstens, das Mädchen ist eine völlig Fremde für die Frau; sie ist die Tochter der Innenarchitektin, welche diese bei der Protagonistin ganz einfach für ein paar Tage "abgeladen" hat. Von wegen Bekannte. Zweitens, die Heldin wollte sowieso in das Ferienhaus fahren, um an einem Vortrag zu arbeiten. Der Einbruch wird nie wieder erwähnt, und war für die Handlung mehr als überflüssig.
Was dann folgt, las sich zwar oft poetisch und schön, kann aber meiner Meinung nach nur sehr ansatzweise als "Handlung" bezeichnet werden. Der Ausflug in das Ferienhaus ist wenig mehr als ein loses Gerüst, an dem die Kindheitserinnerungen von Gunnur, der Protagonistin, aufgehangen werden. Denn Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen, erweist sich kurioserweise als einziges Mittel, um den renitenten Teenager einigermaßen bei Laune zu halten - wo es doch in dieser Einöde schon keine funktonierenden Medien gibt.
Schon diese Tatsache allein fand ich, man entschuldige mich bitte, schlicht unglaubwürdig. Mir ist die Absicht der Autorin zwar durchaus klar: eigentlich wollte sie von Anfang an die Vergangenheit Gunnurs in den Mittelpunkt stellen. Aber warum das ausgerechnet anhand einer Rahmenhandlung funktionieren soll, in der ein pubertierendes Gör bei einer Mittfünfzigerin festsitzt - das ist mir ein Rätsel. Dann hätte man sich die Rahmenhandlung gleich ganz sparen können, zumal alles völlig in der Schwebe bleibt, und das schwierige Verhältnis Gunnur / Gast weder in den Alltag zurückgeführt, noch wirklich "gelöst" wird. Das Buch endet einfach mit einer mehr als schwer zu dechiffrierenden Andeutung, Gunnur habe nun ihren Frieden mit ihrer Vergangenheit und vor allem mit ihrer Mutter geschlossen.
Ich möchte meine vorangegangenen Bemerkungen insofern "entschärfen", als ich nicht grundsätzlich von der Lektüre abraten würde. Die Widmung im Vorsatzblatt hätte eigentlich für mich auf den Umschlag gehört; dort sagt die Autorin nämlich, Männer läsen dieses Buch "auf eigene Gefahr", weil es hier um sehr weibliche Themen gehe. Stimmt zu 100 %! Es geht um eine schwieriges Verhältnis einer vaterlosen Tochter zu ihrer Mutter, um die Versuche dieser Tochter, sich selbst zu behaupten, eine eigene Identität zu finden. Es geht um schöne Naturschilderungen, um die Rolle der Frau in Island, und um poetische Sprache. Nur geht es eben fast gar nicht um die Rahmenhandlung. Und das sollte man eben berücksichtigen, wenn man denn doch zu diesem Buch greift. Ich bescheinige der Autorin durchaus schriftstellerisches Talent. Nur eben kein glückliches Händchen darin, auf den Punkt zu kommen, dem Leser wirklich das zu reichen, worum es ihr eigentlich geht.