Inhaltsangabe (laut Klappentext)
Der 5. April 1943 - Dietrich Bonhoeffer wird in seinem Elternhaus verhaftet. Aus dem Kampf gegen Hitler wird für ihn ein Ringen um die Freiheit und das eigene Überleben. In der Einsamkeit der Zelle ganz zurückgeworfen auf sich selbst bricht die Frage sich Bahn: Wer bin ich? Wer ist Bonhoeffer?
Spannend erzählend und einfühlsam wahrnehmend folgt Paul Barz den Erfahrungen Bonhoeffers in der Haft und seinen Erinnerungen an die Stationen, die Begegnungen und die Entscheidungen seines Lebens. So könnte es gewesen sein. So könnte Bonhoeffer gedacht und gefühlt haben.
Der Autor
Paul Barz, geboren 1943, ist seit 1981 freier Schriftsteller und Journalist. Er arbeitet regelmäßig für „Welt am Sonntag“, „Hamburger Abendblatt“ und „Westdeutsche Zeitung“. Außerdem ist er als Bühnen- und Funkautor tätig.
Meine Meinung
311 Seiten Romantext, vorangestellt das Gedicht „Wer bin ich?“, abgeschlossen durch das Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“.
Kurze Zeittafel, zwei Seiten Literaturhinweise, ausführliches Namensregister.
Keine Fotos, kein Leseband.
Bemerkenswert die Gestaltung des Schutzumschlages: Nahaufnahme Bonhoeffers, so nah, dass das ganze Gesicht keinen Platz findet, schwarz-weiß Foto, natürlich, das Wort „Bonhoeffer“ im Titel grün. Ein Nahaufnahme, grobkörnig, die Konturen sind daher nicht ganz deutlich.
So gesehen ist er für mich fast programmatisch: Können wir Bonhoeffer über seine Texte und die Erinnerungen seiner Freunde, Verwandten und Bekannten hinaus überhaupt klar erkennen? Bleibt da nicht immer ein Hauch Unschärfe, für den einen mehr, für den anderen weniger?
Und die Farbe Grün, steht sie nicht für die Hoffnung? Bonhoeffer wusste, worauf und auf wen er seine Hoffnung setzte.
Und jetzt wird es schwierig, ganz schwierig. Vielleicht kenne ich zu viele Bonhoeffer-Biografien, habe ich zu viel von ihm selbst gelesen, um das Buch wirklich würdigen zu können. Dabei hat es eigentlich einen mich doch überzeugenden Aufbau: Kurze Passagen auf grau unterlegte Seiten zeigen den inhaftierten Bonhoeffer im Gefängnis Tegel, lassen ihn sich erinnern, unterhält er sich mit Gefängniswärter Knobloch, berichten von seinem Alltag und den Gedanken in der Zelle, am Schluss die (Irr-)Fahrt in das KZ Flossenbürg, in dem er ermordet wurde. Dann – auf den weißen Seiten – das Leben Bonhoeffers, von der Kindheit bis zur Festnahme 1943; das letzte Kapitel ist dem Vater gewidmet, der 1948 noch einmal einen bitteren Kelch gereicht bekommt in Form des Briefes jenes Bielefelder Pastors, der partout im Sohn einen – wenn überhaupt, dann – politischen „Märtyrer“ sehen wollte, nach dem Straßen nicht zu benennen seien, sowie in einem Zeitsprung ins Jahr 1976 der Verlobten Maria von Wedemeyer und dem treuen Freund Eberhard Bethge.
„Jeder, der ihn kannte, hat wohl seinen eigenen Bonhoeffer.“
(Seite 307)
Vielleicht beschreibt genau dieser Satz mein Problem mit dem Buch: Ich habe „meinen“ Bonhoeffer, er ist so klar umrissen, dass er Paul Barzs Bonhoeffer fast vollständig überlagert. Und das ging mir nicht nur mit der Hauptfigur so, sondern mit beinahe jedem anderen. Sei es der Bruder Klaus, die Schwestern, die Schwäger Hans von Dohnanyi und Gerhard Leibholz, Freunde wie Eberhard Bethge oder George Bell, aber auch Nazis wie Hitler und Goebbels, sie alle wurden mir nicht anhand des Buches präsent, sondern meine Vorstellung von und über sie blieb immer im Vordergrund; es blieben „meine“ Figuren, die die ihnen von Paul Barz in den Mund gelegten Worte zu sprechen versuchten. Die vom Klappentext prognostizierte „überraschende Neuentdeckung“ blieb so für mich – leider – aus.
„Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?“
(Seite 11 – aus dem Gedicht „Wer bin ich“ von Dietrich Bonhoeffer)
Das Buch trägt als Untertitel „Roman eines glaubwürdigen Lebens“. Paul Barz folgt den Fakten, soweit sie denn en detail bekannt sind. Für das, was darüber hinaus geht, gilt in Anlehnung an den Klappentext: Natürlich hätte es so wie beschrieben sein können, natürlich hätte Bonhoeffer so wie dargestellt handeln und denken können. Über die dokumentierten Worte Bonhoeffers hinaus hat mich das Buch aber nicht immer davon zu überzeugen vermocht, was durchaus daran gelegen haben mag, dass für mein Empfinden etwas zu viel Wert auf den handelnden Mann gelegt wurde.
Mehr als deutlich gehört die Sympathie des Autors diesem außergewöhnlichen Charakter und großen theologischen Denker. Dankenswerterweise scheut er auch nicht davor zurück, „Roß und Reiter“ zu benennen, spricht beispielsweise die „Grabenkämpfe“ in der evangelischen Kirche, besonders der Bekennenden Kirche an oder, ein anderes Beispiel, die Weigerung vieler anderer europäischer Länder, vornehmlich der britischen Regierung, den deutschen Widerstand überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Der dokumentarische Anteil des Romans kann ja per se nur hoch sein, trotzdem meine ich in der Darstellung der unterschiedlichen Personen mehr oder minder deutliche Wertungen wahrgenommen zu haben. In einem Roman hat so etwas seine Berechtigung, ein wenig problematisch wird es für mich dann, wenn diese Personen tatsächlich existent waren und allein durch die mehr oder minder kurzen szenischen Darstellungen zwar ihre Wirkung entfalten sollen, gleichzeitig dadurch aber auch eingeengt werden.
Die eigentliche Frage ist ja: Kann es überhaupt gelingen, einen so faszinierenden, facettenreichen Denker und Theologen in einem Roman in seiner Gänze darzustellen? Meine Antwort darauf würde eher in Richtung „nein“ tendieren. Mit Sicherheit ist „Ich bin Bonhoeffer“ ein Buch, das neugierig zu machen imstande ist, neugierig auf diesen Menschen, neugierig vielleicht auch auf die Zeit, neugierig hoffentlich auf den Widerstand in seinen unterschiedlichsten Ausrichtungen.
Das Buch ist lesenswert, auch wenn es mich in der Ausgestaltung der handelnden Personen nicht immer zu überzeugen wusste. Dass Dietrich Bonhoeffer weit mehr als der Verfasser der Verszeilen „Von guten Mächten wunderbar geborgen ...“ ist, macht dieser biografisch-dokumentarische Roman deutlich.
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Edit wollte unbedingt noch darauf hinweisen, dass der Verlag hier eine Leseprobe zum Buch anbietet.
Außerdem ist es im Preis deutlich reduziert.
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