Island auf dem Höhepunkt der Finanzblase: Die Dokumentarfilmerin Eva steht vor den Trümmern ihres Lebens. Sie säuft zu viel, wurde gerade von der Liebe ihres Lebens verlassen und steckt auch beruflich in einer Sackgasse. Trotzdem folgt sie ihrem Ex nach Reykjavik, einer Stadt, die sie mit ihrem Vater im Alter von 12 Jahren in Richtung USA verlassen hat, in der sie folglich kaum jemanden kennt und deren Wetterverhältnisse nicht unbedingt zur Besserung ihrer psychischen Verfassung beitragen. Zu ihrem vermeintlichen Glück kann sie kostenlos ein Luxusappartment im obersten Stock eines dieser neuen Hochhäuser nutzen. Doch leider muss sie sehr schnell feststellen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Seltsame Nachbarn, ein Kater, der, so unvermittelt, wie er aufgetaucht ist, wieder verschwindet und beängstigende Hightech führen teilweise zu einer nahezu surrealen Stimmung. Doch trotz aller Warnungen bleibt sie und treibt so unaufhaltsam in einen unvorstellbaren Albtraum.
Verstörend dabei ist Evas Passivität, die Emotionslosigkeit, mit der sie sich in ihr Schicksal fügt, wie sie den schleichenden Kontrollverlust bis auf wenige Ausnahmen hinnimmt. Obwohl ich diese Figur, deren Charakter sich aus ihrer Vergangenheit schlüssig erklärt (oder ihre Vergangenheit aus ihrem Charakter), durchaus stimmig fand, konnte ich ihrem Verhalten nur bedingt folgen.
Dazu passt auch die sehr kühle, sachliche Sprache, die mehr dokumentiert als beschreibt, form follows function., wenn sich das in diesem Zusammenhang so sagen lässt.
Vordergründig ist dieses Buch ein Horrortrip, dessen sexuelle, physische und psychische Gewalt an manchen Stellen für mich nur schwer zu ertragen war. Und doch steckt mehr dahinter: die konsequent zu Ende gedachten Auswüchse einer Gesellschaft, in der für Geld alles zu haben ist, ja, in der jeder mit ausreichend Geld das Recht auf alles hat. Dass es hier besonders die Kunst ist, die ihre Grenzen immer weiter ausdehnt und kein Tabu mehr kennt, ist wohl kein Zufall, sondern entspringt der Tatsache, dass während der isländischen Boomjahre die Kunstszene allzu sehr mit den Reichen und Mächtigen verbandelt war. Überhaupt ist dieses Buch eine Realität gewordene Schreckensvision eines ungezügelten Kapitalismus, auch wenn dieses Motiv nur unterschwellig und durch kleine Nebensätze deutlich wird.
So zumindest würde ich den Subtext lesen, womöglich ist es aber doch nur ein simpler Horrorroman, der mit den Ängsten vor Freiheits- und Kontrollverlust spielt und dabei auch vor drastischen Szenen nicht zurückschreckt.
Mit der Genreeinteilung habe ich mich schwer getan. Am ehesten ist das wohl ein (Psycho)Thriller mit großen Schnittmengen zum Zeitgenössischen und kleineren zum Horror.
Und ehrlich gesagt hoffe ich, dass die Isländer nicht noch mehr solche Bücher schreiben, denn so sehr mich dieses Buch auch fasziniert hat: gefallen hat es mir eigentlich nicht.