Ill. von Jutta Bauer
erstmals erschienen 1983
Das Wort ‚Wunder’ im Titel sollte man wörtlich nehmen, wenn man mit der Lektüre dieses Buchs beginnt. Die Geschichte handelt von einem kleinen Mädchen, Silke, das in einem Industriegebiet lebt. Silke ist todkrank. Um ihr ihre letzten Lebensmonate so schön wie möglich zu gestalten, wollen ihr ihre Eltern ihren größte Wunsch erfüllen. Silke muß nicht lange überlegen, ihr größer Wunsch ist es, auf einem Segelschiff in die Südsee zu reisen. Papa und Mama staunen. Dann aber setzen sie alles daran, Silkes Wunsch zu erfüllen. Papa lernt segeln, schließlich verkaufen sie ihr Häuschen und verwenden das Geld zum Kauf eine Segelboots. Es wird ein wunderbares Abenteuer, vor allem, als sie sich auch noch ein ungebetener Passagier samt Hund an Bord schleicht. Übers Mittelmeer und den Suezkanal tuckern sie in den Pazifik. Natürlich gibt es dort außer vielen Inseln auch die spezielle Wunderinsel. Und natürlich wird Silke gesund. Das stellt ein Arzt in Djakarta fest. Er erklärt auch den Grund der Krankheit, die schlechte Luft an Silkes Heimatort. Nun sind alle glücklich und unglücklich zugleich. Sie haben nämlich kein Geld mehr, um noch länger zu segeln. Wohin sollen sie nur?
Wie schön, daß es noch eine Wunderinsel gibt, Kreta nämlich. Dort gibt es überdies ein Gasthaus, das nur darauf wartet, von einem deutschen Besitzer übernommen zu werden. Nun lernt Papa, wie man ein Gasthaus führt. Und dann sind sie nur noch glücklich, sogar der Hund.
Es gibt nicht wenige Gründe, warum einer bei einer Lektüre ab einem gewissen Zeitpunkt der Mund offenstehen bleibt. Manche sind positiv, manche nicht. Dieses Buch war ein solcher Fall für mich und der Grund war blanke Fassungslosigkeit angesichts eines solchen Unsinns. Man kann diese Geschichte nicht einmal als Märchen lesen, denn sie erfüllt nur die biedersten Wunschvorstellungen. Es gibt zwar Probleme im Leben, aber diese sind absolut individuell und deswegen auch nur individuell lösbar.
Wenn Kinder gute Luft brauchen, bringt man sie eben dorthin. Keine Rede davon, sich z.B. grundsätzlich mit Luftverschmutzung auseinanderzusetzen. Ich stelle mir vor, alle Eltern lungenkranker Kinder beführen die Weltmeere. Der Pazifik wäre im Handumdrehen so dicht, wie die A1 am Freitagabend. Und ebenso verdreckt.
Wenig schön ist auch die Darstellung von Figuren, die Vertreter anderer Kulturen sind. In der Ägypten tragen Menschen nachthemdartige Gewänder, wickeln Tücher um den Kopf und sagen lustige Wörter, die keiner versteht. Wenn man ihnen Geld gibt, lachen sie einen an. Das soll den Blick der kindlichen Heldin wiedergeben, wirkt aber, da nicht gegengesteuert wird, gelinde gesagt, herablassend. Einmal im Pazifik wird die Welt ohnehin sehr fremd, gut, daß die Natur so schön und lieb ist, sogar die Haie flüchten schließlich.
Die Elternliebe bis zur Selbstaufgabe ist ein weiterer Kritikpunkt. Sie ist nur auf den ersten Blick schön. Die Probleme, die so etwas mit sich bringt, werden nicht einmal angedeutet. Familie heißt Opfer um jeden Preis. Man liebt sich doch! Wie der Alltag von Eltern mit schwerstkranken Kindern wirklich aussieht, ist keinen halben Gedanken wert. Braucht man auch nicht, Wunder gibt es immer wieder.
Und wenn man als braver Deutscher, der bewiesen hat, wie opferbereit er ist, dann endgültig in der finanziellen Bredouille sitzt, darf man sich auch anderswo billig niederlassen. Wie schön ist die doch die Welt, voller Wunder.
Dieses Buch kann man auf keinen Fall empfehlen, wer Märchen lesen will, lese bitte Märchen. Das einzig Gute an dem Buch sind die Illustrationen von Jutta Bauer, vielleicht kann man sie herausreißen und in einer Mappe sammeln. Aber bloß nicht die Texte auf der Rückseite lesen!