Bei Tichon - Fjodor M. Dostojewskij

  • Erzählung


    Aus dem Russischen übertragen und mit einem Vorwort versehen von Wolfgang Kasack

    Broschiert: 72 Seiten
    Verlag: Insel


    Kurzbeschreibung:
    Rückseite:
    „In seiner Sünde hat jeder Mensch allen gegenüber gesündigt, und jeder Mensch ist irgendwie an des anderen Sünde schuld. Es gibt keine vereinzelte Sünde.“


    Über den Autor:
    Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1821-1881) zählt zu den bedeutendsten Dichtern der Weltliteratur. Er war der Sohn eines Armeearztes aus Moskau. Nach kurzer Tätigkeit als technischer Zeichner im Kriegsministerium wurde er freier Schriftsteller. Vier Jahre Zwangsarbeit als politischer Häftling und beständige Geldnot wegen seiner Spielleidenschaft zeichnen den unermüdlich Schaffenden. St. Petersburg wird die zweite Heimat dieses bedeutendsten russischen Realisten und Hauptschauplatz seiner berühmtesten Romane, die bis heute weltweit bewundert und gelesen werden.


    Mein Eindruck:
    Die Erzählung ist eine fesselnd und eigenständig lesbare Geschichte, die eigentlich für den großen Roman „Die Dämonen“ geschrieben wurde, dann in der ersten Originalfassung nicht aufgenommen wurde. Erst in neueren Fassungen der Dämonen ist sie ergänzt.
    So geht das jedenfalls aus dem informativen Vorwort „Das gerettete Kapitel“ von Wolfgang Kasack hervor.
    Dieses Kapitel ist auch treffend als Stawrogins Beichte bekannt.


    Stawrogin sucht den Priester Tichon im Kloster auf und gibt ihm einen Text zu lesen. Eine Aufzeichnung von ihm selbst aus den sechziger Jahren des 19.Jahrhunderts, in der er von seinem schändlichen Treiben in Petersburg berichtet. Auf diffuse Art belastet ihn sein Verhalten gegenüber einem Mädchen, dessen Leben er zerstört hat.
    Abschließend kommt es zum psychologischen Zweikampf im Dialog zwischen den Stwarogin und Tichon.


    Selbst bei diesem kurzen Text fällt auf, wie leicht Verwirrung beim Leser durch die komplizierten Namen entsteht. Es fängt mit einem Nikolai Wsewolodowitsch an, plötzlich mitten im Abschnitt spricht ein Stawrogin. Dass das ein und dieselbe Person ist, muss man wissen. Der volle Name lautet also Nikolai Wsewolodowitsch Stawrogin.
    Davon abgesehen ist Dostojewski Art des Stilwechsels und seine Intensität wirkungsvoll.


    Beherrschend wie die beiden gegensätzlichen Figuren psychologisch gegeneinander gestellt werden. Stawrogin getrieben, leidend, das aber auch genießend. Tichon hingegen gelassen, in sich ruhend, durchschaut Stawrogin und interpretiert dessen Text.

  • Ich habe diese "Erzählung" gerade gelesen, allerdings im Zusammenhang des Romans "Die Dämonen" an der dort üblichen Position. Zur Entstehungsgeschichte und wie das in den Roman kam, finden sich im Nachwort meiner Ausgabe (Ausgabe innerhalb der Werkausgabe in 10 Bänden von 1980) Erläuterungen.


    Erst nach dem Tod der Witwe Dostojewskis (1918) wurde der Text erstmals vollständig veröffentlicht (1925 Sonderveröffentlichung als "Beichte Stawrogins"). Bei Sichtung des Nachlasses stieß man dann auf zwei Fassungen, von denen die Moskauer (= vollständige) in meiner Ausgabe enthalten ist.


    Da Nikolai Wssewolodowitsch Stawrogin eine der Hauptfiguren im Roman ist, hatte ich mit den abweichenden Namensnennungen natürlich keine Schwierigkeiten. Interessant hier vielleicht noch der Hinweis aus dem schon erwähnten Nachwort (das den Roman auch in den historischen Kontext stellt), was denn dieser Name übersetzt bedeutet: Nikolai Allwillsohn vom Kreuz. "Er ist der religiöse Rebell, der gleichsam ruhelos umgeht im ganzen Pentateuch des Dichters, wie A. S. Sternberg die fünf großen Bücher Dostojewskis nennt, und der doch zugleich der menschlichste der Menschen ist (...)" (Nachwort der der Ausgabe "Die Dämonen", Übersetzung von E. K. Rashin, Piper Verlag München/Zürich, 1980, S. 1007).
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")