Die Frau mit den fünf Elefanten - Vadim Jendreyko

  • Deutsch-Schweizerischer Dokumentarfilm 2009, 93 Min.


    Dieser Dokumentarfilm ist das Filmporträt der Übersetzerin Swetlana Geier. Die fünf Elefanten des Titels sind eine Anspielung auf das, wofür Geier einem breiteren Publikum bekannt geworden ist, ihre Übersetzung von fünf Romanen Fjodor Dostojewskis. Der Schwerpunkt des Films liegt auf der Person hinter dieser Übersetzungsleistung.
    Gegenstand von Kamera und Ton ist fast ausschließlich Swetlana Geier, im Haus, bei Hausarbeiten, am Schreibtisch. Hin und wieder im Kreis der Familie oder in Zusammenarbeit mit Hanna Hagen, seit Jahren Haushaltshilfe und Sekretärin in einer Person und dem ehemaligen Pianisten Jürgen Klodt, der punktgenaue Korrektor und Kritiker der Übersetzungen.


    Jendreyko entwickelt die persönliche Geschichte Geiers sehr langsam, er baut eine eigene Atmosphäre auf, deren Intensität rasch bannt. Kern dieser Intensität ist tatsächlich Geier, was eine zunächst verblüfft, wenn die zierliche, höfliche, auf den ersten Blick rundum sanfte und sanftmütige Person vor die Kamera tritt und zu erzählen beginnt. Die Energie, die dahinter steckt, reißt eine dann mit, ehe man merkt, was passiert ist.


    Das ursprüngliche Drehbuch mußte sich aktuellen Ereignissen anpassen, als Geiers Sohn während der Dreharbeiten schwer verunglückte. Das macht diesen Filmbiographie zu einem sehr intimen Einblick in das Leben Geiers, das ohnehin schon Tragik genug aufzuweisen hat. Der Film wird damit auch zu einem hochinteressanten Beispiel für die schwierigen Fragen nach den Grenzen zwischen Privatheit und Voyeurismus. Er selbst, das sei gleich gesagt, überschreitet sie nicht. Das Wissen darum, daß hier vor laufender Kamera nicht nur Trauer über vergangenes, sondern auch über aktuelles Unglück verarbeitet wird, macht das Sehen des Films aber zu einer emotional herausfordernden Angelegenheit.


    Geier (1923 - 2010) erzählt aus ihrem Leben, nicht unbedingt chronologisch, und auch beschränkt auf ihre Jugend und die Aufnahme der Arbeit an den Dostojewski-Romane. Jendreyko gibt die Puzzlestücke wieder, setzt daraus aber ein stimmiges Bild zusammen. Was zunächst als scheinbar beliebige Folge von Impressionen jeglicher Art, bildlich wie in Worten erscheint, wird am Ende tatsächlich zu einer Komposition aus Bildern (schließlich ist das ein Film) und den Worten Geiers.
    Man muß hinsehen bei diesem Film. Beim Tischdecken fällt das Auge infolge einer kleine Bemerkung über Texte auf das Gewebe des Stoffs, Gewebe, das auch hinter einem geschriebenen Text steckt. Auf der Fahrt nach Kiew werden die Eisenbahnwagen auf andere Schienen gesetzt, über-(ge)setzt. Geier macht, im Zugabeteil sitzend, ein paar Bemerkungen über die Unterschiede zwischen dem Russischen und dem Deutschen. Die Verschmelzung von bildlicher und gesprochener Aussage ist immer da, zugleich entwickeln beide eigene Dimensionen, Obertöne, Untertöne, Assoziationen. Sprache und der Umgang mit ihr, Probleme des Übersetzungen, seine Möglichkeiten und Grenzen sind immer präsent, selbst wenn Geier am Herd steht und für ihre große Familie kocht. Nichts ist harmlos an diesem Film, das Leben und das Übersetzen sind gleichermaßen gefährlich. Lebensgefährlich mitunter, der Film erzählt es.


    Geiers Intensität, ihr Engagement sowohl für Russisch und Deutsch wie speziell für Dostojewski machen den Dokumentarfilm so lebendig, daß es förmlich bebt in den so ruhigen Bildern. Wenn sie Gedichte vorliest, kommt es einer vor, als hätte man selbst Texte, die man genau kennt, nie zuvor gehört. Die unbekannten von russischen Dichtern, die sie auch in der Originalsprache vorträgt, bekommen eine eigene Innigkeit, weil Geier selbst mit dem Text so verbunden ist. Erzählt sie einer Schulklasse von ca. Vierzehnjährigen in Kiew Märchen, sind die Teenager tatsächlich gebannt. Geier selbst hat infolge ihrer Lebensumstände eine eigene Lebensphilosophie entwickelt, die eine staunen läßt. Man kann auch darüber streiten. Überzeugend ist sie.


    Die DVD ist sehr schön aufgemacht. Das Ganze hat die Form eines schmalen Buchs, es gibt Textbeilagen, angefangen mit Ausschnitten aus Korrekturbögen von Übersetzungen, einem kleinen Bericht des Schweizer Verlegers Egon Amman, der Geier in den 1960er Jahren kennenlernte, einem Interview mit dem Regisseur, den deutschen Texten der russischen Gedichte und den technischen Daten zum Film, sowie ein paar Fotos. Zusätzlich zum Film gibt es auf der DVD noch geschnittene Szenen, vor allem Aussagen von Geier zu Dostojewski sowie Einblicke in die harte Arbeit des Übersetzens unter den strengen Augen ihres Korrektors. Das sind Momente, in denen man beim Zuschauen zwischen tiefem Respekt, Gelächter und kaltem Grausen schwankt angesichts der Strenge, die an den Tag gelegt wird. Professionalismus pur.
    Ein ganz besonderer Film über eine ganz besondere Persönlichkeit.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • unbedingt sehenswert.


    auch die Geschichten hinter der Geschichte: eine Russin, die für die Deutschen arbeitet, nach Deutschland reisen darf und dort aufgenommen wird, während des Krieges,


    Das Leben ist nicht schwarz oder weiss, wer von uns kann nachvollziehen, was es für sie bedeutet hätte, wieder unter Stalin zu leben.


    Das ist aber nur ein Aspekt.



    Was auch packend und zugleich anrührend ist: wie Svetlana Geier an die Übersetzungen herangeht. Mit welcher Liebe und Intensität zum Buch.
    Faszinierend, wie sie nach Wort und Ausdruck ringt, diskutiert, ...


    Ihre Aussage: ein gutes Buch bietet mir immer wieder etwas Neues, neue Aussagen und Aspekte beim Wiederlesen.


    Aber auch ihre Probleme, Texte von einer Sprache in eine andere zu bringen:
    wenn das Lautmalerische dazukommt, geht dies in der Übersetzung verloren.
    Ein wunderbarer Film, dem ich viele Zuschauer wünsche.

    Etwas Besseres als den Tod findest du überall (Die Bremer Stadtmusikanten)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von filemon ()