Verlag: Kinzelbach, 1996
Aus dem Arabischen übersetzt von Monika Hoffmann und Salah Tamen
Kurzbeschreibung:
Rückseite: Die Auflösung
...ein Roman, auf der Suche nach den Spuren des verlorenen Vaters, die zur Verlogenheit innerhalb einer Familie führen...
… Mein Vater war ein großer Weltenbummler, stets rastlos getrieben, der von Zeit zu Zeit an jede seiner vier muslimischen Ehefrauen sowie an seine jüdische Geliebte eine Ansichtskarte schickte. Auf die Rückseite dieser Karten schrieb er nichts weiter als den Namen des Ortes (Stadt - Dorf - Wüste - Gebirge), Datum und Unterschrift (Hassan)...".
Über den Autor:
Der algerische Schriftsteller Rachid Boudjedra schreibt Prosa, Lyrik und Essay.
Zu seinen Büchern gehören unter anderen: Das Palästina-Tagebuch, Prinzip Hass, Befruchtung, Topographie, Fluchten, Bars in Algier und viele andere.
Er ist geboren in Ain-Beida, Ostalgerien. Nach dem Schulabschluß 1959 nimmt er am Befreiungskampf teil. Danach studiert er Mathematik und Philosophie in Algier und Paris.
Mein Eindruck:
Rachid Boudjedras Roman Die Auflösung ist ein langer Text von 1984 mit großer Kraft, eine konzentrierte, leuchtende Sprache, Algerien als Handlungsort ist prägend. Der Erzähler, ein Schriftsteller, wacht noch manchmal (wenn er nicht seiner chronische Schlaflosigkeit erliegt) mit Alpträumen vom Krieg auf, der bereits 20 Jahre zurückliegt. Genauso belastet ihn die familiäre Situation. Die fünfte Frau seines Vaters, die dieser aber nie geheiratet hat, liegt 80jährig im sterben. Sie ist Jüdin, aber wegen seinem Vater zum Islam konvertiert, sie hat ihn zwei Kinder geboren. Doch da er sie nie heiratete, ist sie offiziell noch immer Jüdin. Der Ich-Erzähler kümmert sich sowohl um seinen alten Vater als auch um die sterbende Frau.
Dieser verbitterte Erzähler ist besonders sensibel und nimmt Stimmungen besonders intensiv wahr.
Boudjedra nutzt Formen der Wiederholungen von zentralen Sätzen um sich an die Motive heranzutasten. Im Mittelpunkt stehen das Leben des Vaters und die Auswirkungen seines Handelns auf den Sohn. Dazu kommen immer wieder die heraufbeschworenen Ereignisse, im Kern immer um den abwesenden Vater kreisend.
Die Reisen des Vaters sind Leitmotiv des Romans. Sie werde transportiert durch Postkarten, die der Vater in Jahrzehnten von verschiedenen Orten der Welt an die Familie schickt: Cordoba, Kairo, Marrakesch, Bratislava, Teheran, Venedig, San Francisco und viele andere.
Die Erzählweise ist nicht linear. Kurioserweise nehmen die Kindheitserinnerungen gegen Ende des Buches zu.
Immer wieder sind es beiläufige Dinge, die das Bild des Abscheus des Protagonisten verstärken: Die Haschischbrüder mit ihren Tätowierungen, die Notwendigkeit des Heuchelns, die Koranlehrer, die ihre Schüler brutal mit Stöcken schlagen, die Erinnerungen an Gräueltaten während des siebenjährigen Krieges. Aber es gibt auch drastische, eindeutige sexuelle Passagen, zwischen der Hauptfigur und seiner unkonventionellen Geliebten.
Wie man merkt, ist der Roman ziemlich überfrachtet.
Durch die Vielzahl von Tabubrüchen ist Rachid Boudjedra das Enfant terrible der algerischen Schriftsteller.
Boudjedras Prosa ist radikal. Er teilt sicherlich die Einstellung seiner Hauptfigur:
"Ich beschloss, von all diesen Kindereien und brechreizerzeugenden Banalitäten Abschied zu nehmen und mich in der Hölle der Rache und des Grolls einzurichten.“
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ASIN/ISBN: 3927069353 |