Morawa-Wühlkistenfund:
Michael A. Stackpole
Der Weg des Richters orig: Talion Revenant
Der Autor:
Michael A. Stackpole, geboren 1957 in Wausau in Wisconsin, studierte Geschichte in Vermont bevor er SF und Fantasy zu schreiben begann. Der erste veröffentlichte Roman war laut Nachwort ‚Es war einmal ein Held‘. Seinen Ruf als Fantasy-Autor zementiert haben Episoden zu den Serien BattleTech und Star Wars, und sein eigener Zyklus ‚Düsterer Ruhm‘. Er entwickelte auch Computerspiele und lebt in Arizona, und ist auffindbar auf: www.stormwolf.com.
Bei ‚Der Weg des Richters‘ handelt es sich um den ersten geschriebenen Roman des Autors, der laut den Herausgebern zwar gut aber zu voluminös für einen unbekannten Erstlingsautor war. – Inzwischen aber gut genug, um ihn letztendlich angesichts Stackpole‘s gefestigtem Ruf mit einigen wenigen Korrekturen doch noch auf den Leser loszulassen.
Das Buch:
Das zerbrochene Reich besteht aus den Nachfolgestaaten eines einst mächtigen Kaiserreichs. Die einzige, nach dem Zerfall verbindliche Klammer ist das alte, kaiserliche Rechtssystem, das von den Tahlion aus Tahlianna verwaltet wird, einer strengen, Kampfordensmässig geführten Ausbildungsstätte für die militärischen Führer der einzelnen Reiche.
Eine Klasse der Tahlion stellen die oft gefürchteten Rechtsprecher, die auf das Geheiss der jeweiligen Lokalkönige durch die Nachfolgestaaten ziehen, und ähnlich den US-Marshalls in den Western gefährliche Verbrecher jagen, diese stellen und auch hinrichten. Ihnen dabei gelegentlich hilfreich ist die verpönte und mit rituellen Tabus umgebene magische Kunst des Seelenabsaugens, welche die Seele und die Erinnerungen eines Verbrechers auf sie überträgt.
Einer dieser Rechtsprecher ist Nolan ra Sinjaria, dem der Leser zuerst auf der Jagd nach dem Banditenführer Morai begegnet, der ihm die Mitglieder seiner Bande entgegen schickt, um ihn abzufangen.
Nolan, der ausnahmsweise als Zwölfjähriger in die Reihen der üblicherweise von Geburt an auserwählten Tahlion aufgenommen wurde, ist ein Waisenkind aus Sinjaria, dessen völlig verarmte, landadelige Familie bei der gewaltsamen Eingliederung seines Landes in das Königreich Hamis ermordet wurde.
Er erhält den unwillkommenen Auftrag ausgerechnet den König von Hamis vor einem unbezwingbar scheinenden Attentäter mit übermenschlichen Kräften zu beschützen, der bereits einige Tahlion getötet hat.
Nolan steht bald vor schweren Entscheidungen, was in seinem Leben mehr wiegt: die Loyalität gegenüber seiner toten Familie, seinen Mit-Tahlion, seinen alten und neuen Freunden und Geliebten, und seiner Mission als Rechtsprecher im zerbrochenen Reich.
Meine Meinung:
Eine Fantasy-Gemme aus der Wühlkiste – Wobei man - wie immer - nicht weiß, wieviel der Güte des Buches nicht dem Übersetzer, Reinhold H. Mai geschuldet ist.
Das Buch ist sehr raffiniert aufgebaut.
Während sich langsam und immer schneller werdend abwechselnd Kapitel für Kapitel die Handlung wie auch die Lebensgeschichte des Rechtsprechers vor dem Leser abrollt, verknüpfen und verdichten sich die Handlungsfäden, formen und lösen sich Rätsel, und man erfährt mehr über die Rituale und Gebräuche der Tahlion, die Gesetzmässigkeiten der Welt, und die bitteren Geheimnisse aus Nolan’s Vergangenheit.
Es wird am Rand der Erzählung mit Prophezeihungen über den Untergang und das Wiedererstehen von Reichen und Vorzeichen gespielt, und man erwartet schon halb ein Ende, wie es das traditionelle Muster von mythischen und bekannteren modernen Heroengeschichten verlangen würde, aber Nolan und seine letzte verblüffende Entscheidung, und das offene, aber dennoch stimmige Ende machen das Buch interessant, und heben es von ähnlichen Büchern ab.
Interessant sind auch die ans Mittelhochdeutsche/Yiddische angelehnten Passagen des Tahlion-dialekts.
Ein kleiner Abstrich ist die Magierin in Tahlianna, die stark an diverse Jedi-Ausbildner erinnert, und auch deren eingeschränkte Grammatik hat - obwohl das hier zwischen den Zeilen mit der Gefährlichkeit von durch 'Magicker' ausgesprochenen korrekten Sätzen erklärt wird, die werden anscheinend wahr. Leider ist es nicht konsequent durchgeführt, belanglose Sätze bleiben verdreht, andere verständlich.) Überhaupt erscheint es stellenweise wie eine Fanfiction zu Star Wars, obwohl die Tahlion ein ganz andersartiger ‚Jedi-Orden’ sind.
Aber wir wollen dem Autor, der schliesslich auch Star Wars-Geschichten schrieb, das nicht zum Vorwurf machen. Im Endeffekt überwiegt der Lesegenuss, da sind Magierinnen mit verdrehter Grammatik, und die kuriose Aelven-Wald-Episode mit den kriegerischen, menschenmordenden Xne’kal-Einheiten, die an Feist’s Silverthorn oder beidem zugrunde liegende Tolkien‘sche Lothlorien-Episode erinnert, entschuldbar.
Nicht ganz entschuldbar ist, dass der Leser in letzterem Fall blöd stirbt, denn Nolan fällt in eine seiner strategisch-positionierten Cliff-hanger Ohnmachten samt dazugehörigem Blackout mit Gedächtnislücke.
Man könnte sagen: mit 667 Seiten ist das Buch fast zu kurz geraten, denn eigentlich verlangten die fehlenden Details
Weiters könnte man unter Negativa einreihen, dass die Handlung zwar geschickt gestrickt ist, und nach und nach einen Sog der Faszination entwickelt, die Personen jedoch charakterlich und Motivations-mässig nicht gut genug analysiert und gezeichnet sind; man wird mit ihnen nicht richtig warm, und kann ihre Beweggründe nicht ganz nachvollziehen, nichtmal die des Ich-Erzählers Nolan. Besonders krass trifft dieses Manko Marana und ihren Charakterwandel. - Wahnsinn ist in dem Fall eine etwas platte Entschuldigung.
Der Autor entschuldigt sich im Nachwort mit seiner 1986 noch mangelnden Weisheit.
Trotzdem: Wenn jemand an einer Wühlkiste vorbeikommt, und darin dieses Buch findet: für Fantasy-Liebhaber ist es jeden Cent wert.