erstmals erschienen 1997
Es sind Sommerferien, aber Martin hat nichts davon. Findet er. Der Urlaub mit seinen Eltern ist ausgefallen, weil sich überraschend Besuch angesagt hat. Der Besuch heißt Onkel Richard, lebt in Australien und ist Mamas älterer Bruder. Martin, gerade zehn, hat keine Ahnung, was er mit einem so uralten Typen anfangen soll. Zumal dieser ihm die Ferien vermasselt hat. Einziger Lichtblick ist, daß Martins Klassenkameradin Sylvie auch nicht verreist. Ihre Mutter steht kurz vor der Geburt. Sylvie ist höchst gespannt auf das Baby. Ein bißchen geht Martin ihr Gerede über das Baby schon auf die Nerven, aber so schlimm, wie die Sache mit diesem Onkel ist es wenigstens nicht.
Der Onkel landet ausgerechnet am Tag der Zeugnisvergabe, und bis die Eltern ihn am Flughafen abgeholt haben, ist das Zeugnis vergessen. Dabei war Martin so stolz auf die Eins in Erdkunde. Und nun interessiert sich niemand dafür. Megamistig, stellt Martin fest.
Doch der eigentlich Schock steht ihm noch bevor. Onkel Richard sieht ziemlich schäbig aus, hat graue Haare, einen wilden, ebenfalls grauen Bart - und nur noch ein Bein. Martin kann es nicht fassen.
Die nächsten Tage zwischen überfürsorglicher Mutter, einbeinigem Onkel und Babygeschwätz von Sylvie sind nicht eben Glanzpunkte in Martins Leben. Daß der etwas ältere Dennis ihn auch noch dauernd auf der Straße schikaniert, paßt zu dem ganzen Pech. Martin schimpft sich in seinem Logbuch (Für Unbefugte öffnen verboten!!!) aus. Dort ist er Captain Marty, ein todesmutiger Held, der mit allen Schwierigkeiten lässig zurecht kommt.
Der Alltag will es anders. Martins Vater hat einen Autounfall in einer anderen Stadt, die Mutter fährt zu ihm und Martin steht mit Onkel Richard allein da. Der Schock ist fast zu groß.
Onkel Richard aber ist, das zeigt sich schnell, mit allen Wassern gewaschen. Nicht nur weiht er Martin in das größte Geheimnis seines Lebens ein, nein, er macht sich auch auf Verbrecherjagd, zähmt den gefährlichen Dennis und hilft dabei, Sylvies Probleme zu lösen, die diese mit dem neugeborenen Schwesterchen hat. Und das auf einem Bein.
Dieser Kinderroman überrascht durch unerwartete Wendungen. Graw spielt mit den Erwartungen, tatsächlich bekommt man keine Kinder-Detektiv -, sondern eine geschickt verschachtelte Familiengeschichte zu lesen. Kern des Ganzen ist das Problem, das Kinder, die nicht mehr ganz klein, aber auch noch keine Teenager sind, zu lösen haben, wenn ihre Eltern sich für einige Zeit intensiv um anderes kümmern.
Martin wie auch Sylvie fühlen sich zurückgesetzt und vernachlässigt, zunächst zurecht. Sie reagieren uneinsichtig, eigensüchtig und machen dabei auch Dummheiten. Martin benimmt sich nicht nur gegenüber Onkel Richard unfreundlich, seinen Egoismus bekommt auch Sylvie zu spüren.
Eingeflochten ist passend für die Altersgruppe (und einige Jahre vor dem Piratenhype) der klassische Piratenmythos. Onkel Richard kann wunderbares Seemannsgarn spinnen, die nächtliche Piratentaufe im Teich ist ein echter Höhepunkt nicht nur für Martin.
Sprachlich richtet sich die Autorin an einem salopp-schnoddrigen Slang aus, der wohl kindgerecht sein soll, aber zwischen altmodisch und albern schwankt. Das mag Angehörige der Zielgruppe ansprechen, ist der Geschichte jedoch nur mäßig zuträglich. Über die Jahre gesehen, wirken nicht wenige Ausdrücke verstaubt. Kaum etwas ist eben so zeitgebunden wie Slang.
Insgesamt ist die Geschichte unterhaltsam, durchaus spannend, witzig (nicht zuletzt die Zeichnungen von Sibylle Hammer) und enthält einige wichtige Aha-Effekte für die junge LeserInnenschaft, die dankenswerterweise nicht im mindesten belehrend wirken.
Verlinkt habe ich die TB-Ausgabe von 2002