Nana Plaza - Christopher G. Moore

  • Vincent Calvino lebt seit vielen Jahren in Bangkok und hält sich als Privatdetektiv mehr schlecht als recht über Wasser. Da kommt ihm der neue Auftrag gerade recht: Er soll gegen ein üppiges Gehalt zusammen mit einem thailandstämmigen Polizisten aus Los Angeles den amerikanischen Anwalt Naylor beschützen, der zum Abschluss einer geschäftlichen Transaktion nach Bangkok kommen will. Nur ist dieser Anwalt nicht nur Anwalt, sondern auch Betreiber einer Internetseite namens Causeway, die, wie ein exklusiver Klub organisiert, als Plattform und Forum für westliche Sextouristen dient. Ungünstig, dass gerade in letzter Zeit einige Mitglieder dieses Clubs mit einer tödlichen Dosis Heroin im Blut in Bangkok aufgefunden wurden.
    Obwohl Calvino alle Hände voll damit zu tun hat, Naylor vor durchgeknallten Lastwagenfahrern, Killerkommandos und aufgebrachten Bardamen zu beschützen, klärt er nebenbei noch diese dubiose Geschichte mit den Drogentoten auf. Denn natürlich hängt alles mit allem zusammen.


    Eins muss man diesem Roman lassen: er ist wirklich sehr gut geplottet, die Handlungsstränge sind ordentlich ausgearbeitet und gekonnt miteinander verwoben. Es bleiben kaum lose Enden und die Finten und Wendungen sind gekonnt platziert. Die Story selbst ist auch stimmig in den Schauplatz, zumindest wie ich ihn mir vorstelle, integriert. Und so hat der Roman eigentlich alles, um als Buch aus dem Moloch durchgehen zu können: Scheißwetter (Monsun) bei desolater öffentlicher Infrastruktur (Überschwemmung), Drogen und Prostitution, Armut und Korruption, Slums und Rotlichtviertel.
    Warum nur hatte ich dennoch immer das Gefühl, den Helden nicht durch eine Megacity, sondern eher durch eine amerikanische Kleinstadt zu begleiten? Trotz teilweise recht drastischer Sprache wirkt das Milieu so anrüchig wie der montägliche Stammtisch im Schützenhaus. Man kennt sich, und statt im Dorfkrug trifft man sich hier eben in der Tabledance-Bar.
    Die Sexindustrie darf in einem Bangkok-Roman natürlich nicht fehlen, nur wirken die Nutten aus „dem armen Norden des Landes“ wie freundliche, zufriedene Dienstleisterinnen. Würde man ihnen die F-Worte abgewöhnen, könnten sie glatt als Subway-Brötchenschmiererinnen durchgehen. Prostitution, wo liegt das Problem? Ganz nebenbei, die Freier sind ebenso langweilige, gesichtslose amerikanische Jungs, die, so sind Jungs eben nun mal, sich ein wenig austoben müssen. Schlimm genug, dass sich der eine oder andere tatsächlich von „Frauen mit fünfjähriger Grundschulbildung“ den Kopf verdrehen lässt und die Schöne dann mit nach Amerika nehmen will.
    Auch die Schilderungen des Slums sind seltsam oberflächlich, und mit dem Auftreten des Paters Andrew kommt noch eine ärgerliche, überheblich-kolonialistische, ja sogar rassistische Komponente ins Spiel, die in krassem Gegensatz der multiethnisch-toleranten Attitüde des Romans steht: wer dem Pater den erwarteten Respekt verweigert, wird geächtet und gemäß des Gesetzes der Straße abgestraft. Eine Szene, die die thailändische Art, Dinge zu regeln, drastisch veranschaulichen soll, wird so zu einer unfreiwillig entlarvenden Demonstration westlichen Überlegenheitsgefühls, das auch sonst immer Mal wieder in dem Roman durchblitzt.


    Eine gute Geschichte also, fragwürdig umgesetzt. Kein Vergleich zu Burdetts Jadereiter mit ähnlicher Thematik, das aber ungleich tiefgründiger, origineller aber auch humorvoller ist.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Herzlichen Dank für diese sehr interessante Rezi. :wave
    Allerdings lässt du mich schon ein wenig unschlüssig zurück. Kaufen und lesen oder nicht kaufen und somit auch nicht lesen. :gruebel
    Von der Thematik her sicher sehr interessant - aber auch deine Vorbehalte sprechen schon eine deutliche Sprache. :gruebel
    Wieviele Punkte gibst du diesem Buch?

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zunächst danke für die Rezension.


    Ich muss gestehen, den ersten Teil ("Haus der Geister") um die Vincent-Calvino-Reihe gelesen und noch nicht rezensiert zu haben. Zum einen liegt es daran, dass Moore schwer zu fassen ist, zum anderen daran, dass ich Bangkok als stimmig geschildert empfand, aber die Story mir nichts "gab".
    Im übrigen kommt der Stil von Moore wesentlich bedachter, weniger cool als der von Burdett daher.
    Eines sollte auf jeden Fall noch erwähnt werden: Es bleibt unerklärlich, warum der Unionsverlag den ersten Teil übersetzen lässt, einen dritten Teil folgen lässt und weitere Bände sich lose anschließen. So wird es Christopher G. Moore in Deutschland äußerst schwer haben, sich eine Fangemeinde zu erschreiben.

  • hm, ich und Punkte :gruebel


    Plot: 8, Figurenzeichnung: 5, Sprache: 6, Atmosphäre: 4, Erkenntnisgewinn:3.


    Wenn du dir jetzt eine Gewichtung überlegst, kannst du ja den Mittelwert ausrechnen :grin


    Ich kann es dir aber auch gerne mal ausleihen: nicht kaufen, aber trotzdem lesen :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)


  • Ich pack es dann doch mal auf meine Wunschliste..... :-)
    Deine Bepunktung macht mich jetzt doch neugierig. :grin

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    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von DD: Obwohl Calvino alle Hände voll damit zu tun hat, Naylor vor durchgeknallten Lastwagenfahrern, Killerkommandos und aufgebrachten Bardamen zu beschützen, klärt er nebenbei noch diese dubiose Geschichte mit den Drogentoten auf. Denn natürlich hängt alles mit allem zusammen.


    Hmm, Du hast tatsächlich den fünften Teil gelesen?
    Drogentote und ein durchgeknallter Lastwagenfahrer sind bereits im ersten Teil aufgetaucht.


    Spielt Kiko ebenfalls noch eine Rolle?

  • Eine Kiko ist mir nicht begegnet, die weibliche Hauptperson heißt Noi. Alle anderen Frauen sind weitestgehend gesichtslose Yings.


    Drogentote muss es in Bangkok ja geben. Vielleicht gehören ja auch durchgeknallte Lastwagenfahrer zum alltäglichen Straßenbild?


    Was findest du an Burdett cool, und was ist daran schlecht? Ich habe nochmal nachgedacht, was mich an diesem Buch so stört:
    Ich war noch nie in Bangkok und habe mich dafür auch noch nie sonderlich interessiert. Sollte ich nun einen Bangkok-Roman schreiben, würde ich mit den Klischees aus Auslandsjournal und Problem-Tatorten in meinem Kopf einen sehr ähnlichen Roman zusammenbasteln. Mit einer Gesellschaft, die im Großen und Ganzen so funktioniert wie unsere.
    Bei Burdett hatte ich dagegen das Gefühl, in ein völlig fremdes Universum zu stürzen, wo die Menschen nicht nur seltsame Dinge tun, sondern diese Dinge innerhalb eines vollkommen verschiedenen Wertesystems schlüssig sind. :gruebel


    Das Übersetzungschaos habe ich auch irritiert zur Kenntnis genommen. Vielleicht hat Union ja den zweiten Teil weggelassen, weil darin auch Drogentote und ein durchgeknallter Lastwagenfahrer eine Rolle spielen :grin

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  • Hallo DraperDoyle,


    zunächst muss ich mich berichtigen. "Nana Plaza" ist der fünfte Teil der Reihe um Vincent Calvino.


    Von Burdett habe ich vor längerer Zeit "Bangkok Tattoo" gelesen.
    Auf mich wirkte Burdetts Stil völlig abgeklärt und extrem belehrend, so als wolle der Schriftsteller eine Grenze zwischen dem unwissenden Leser und dem in Bangkok lebenden und somit priviliegierten Schriftsteller ziehen.
    Als Leserin ertrage ich das nicht lange. Offensichtlich mein Fehler. Und diese ständige Anrede des Lesers mit Falang hat mich dazu gebracht, den Roman schließlich abzubrechen.


    Auch die Geschichte und der Stil von Christopher G. Moore sind äußerst gewöhnungsbedürftig. Nach den ersten achtzig Seiten habe ich stark überlegt, den Kriminalroman abzubrechen.
    Doch die eigenwillige Kombination aus thailändischem Polizisten und amerikanischem Privatdetektiv, wenn auch mit etwas aufgesetzter Vita, hat mir gefallen, später gab es dann noch Schilderungen aus den Armenvierteln mit der sozialengagierten Japanerin Kiko, die mich haben durchhalten lassen.
    Und da die Rezensenten auf der Krimicouch von einer Steigerung der Story in späteren Teilen schrieben, bin ich neugierig auf den Fortgang geblieben.


    Ach ja, Thailand und Bangkok standen auf meiner geistigen Reiselandkarte lange auf Grün (und somit zu bereisen); mittlerweile habe ich viel über dieses Land gelesen und es hat sich einiges geändert, weshalb mein Reisewunsch nur noch gering ausgeprägt ist.


    http://www.krimi-couch.de/krimis/christopher-g-moore.html

  • Vielen Dank für die interessante Rezi, DD. Ich habe das Buch vor vielen Jahren gelesen, sodass meine Erinnerung daran bereits etwas verschwimmt; geblieben ist ein Gesamteindruck, der sich weitgehend mit deinem deckt. Sehr aufschlussreich finde ich, was du über die Rolle Bangkoks als Schauplatz schreibst. Ich kenne die Stadt (und auch die im Buch beschriebenen Lokalitäten) recht gut und kann dir zustimmen, dass sie ziemlich eindimensional und klischeehaft dargestellt wird. Einer meiner engsten Freunde, der seit über dreißig Jahren in BKK lebt und über den Foreign Correpondents Club persönlich mit Moore bekannt ist, versicherte mir, dass der Autor durchaus über ein aureichendes Verständnis der Stadt und ihrer kulturellen Gepflogenheiten verfügt, um den Lesern tiefere Einsichten als die hier gegebenen zu vermitteln. Vermutlich verzichtet er darauf, um einer Zielgruppe entgegenzukommen, die in erster Linie an der Krimihandlung interessiert ist und sich nicht mehr als ein gemäßigt exotisches Lokalkolorit wünscht. Und der Plot ist durchaus, wie von dir geschrieben, spannend und versiert ausgearbeitet. Stilistisch finde ich das Buch mäßig, die Personalgestaltung eher abgedroschen (Calvino hätte mit einigen Anpassungen auch im LA der Vierziger ermitteln können- sein thailändischer Counterpart wirkt so gewollt originell, dass er schon wieder ins Klischeehafte abdriftet).


    Natürlich drängt sich auch mir der Vergleich mit Burdett auf, der dem Leser weitaus mehr abverlangt - aber für meinen Geschmack auch sehr viel mehr zurückgibt. Der entscheidende Unterschied ist mMn die Perspektive, aus der sich die beiden Autoren Bangkok und der fremden thailändischen Kultur nähern. Während Burdetts Sonchai zum Innenleben der Stadt gehört, bleibt Calvino in der beschränkten Perspektive der (oftmals selbst eher beschränkten :grin) Expats verhaftet. Er bewegt sich als Außenseiter hauptsächlich in einem sehr begrenzten und deshalb vertrauten Milieu (was den Kleinstadt-Eindruck erklären mag). Der Leser lernt durch die Augen eines Westlers ein sehr schmales Segment Bangkoks kennen, das ihm ohnehin schon bekannt vorkommt - weil es genau jenes ist, dem unsere Medien fast ausschließlich ihre Aufmerksamkeit schenken. Wo es Burdett häufig gelingt, die Oberfläche zu durchdringen und kulturelle Inhalte zu vermitteln, unternimmt Moore nicht einmal den Versuch. Bangkok bleibt Kulisse.


    Zitat


    Bei Burdett hatte ich dagegen das Gefühl, in ein völlig fremdes Universum zu stürzen, wo die Menschen nicht nur seltsame Dinge tun, sondern diese Dinge innerhalb eines vollkommen verschiedenen Wertesystems schlüssig sind. Grübeln


    :write



    Zitat

    Die Sexindustrie darf in einem Bangkok-Roman natürlich nicht fehlen, nur wirken die Nutten aus „dem armen Norden des Landes“ wie freundliche, zufriedene Dienstleisterinnen. Würde man ihnen die F-Worte abgewöhnen, könnten sie glatt als Subway-Brötchenschmiererinnen durchgehen.


    An dieser Stelle muss ich Moore in Schutz nehmen. Aus der westlichen Perspektive des Buches betrachtet ist diese Darstellung absolut korrekt, auch wenn ich "zufrieden" durch "fröhlich" ersetzen würde. Allein der Begriff "Nutten" (den ich wegen seines verabsetzendes Klangs ohnehin verabscheue) lässt mich zurückschrecken, weil er ein völlig falsches Bild von den hier angesprochenen Frauen entwirft. Um einen Blick auf die hinter der Fassade der Leichtigkeit selbstverständlich reichlich vorhandene Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu bekommen, müsste das Buch andere, kritischere Fragen stellen. Moore unterlässt es - im Gegensatz zu Burdett, obwohl auch der bei seinen Antworten für meinen Geschmack zu sehr vereinfacht oder in Schubladen denkt.


    P.S. Bevor ich hier für meine Ansichten seltsam angeschaut werde, ein kurzes Wort zur Erklärung: Ich habe für mein gerade fertiggestelltes Buchprojekt viele Gespräche und Interviews mit thailändischen "Bargirls" geführt und bin dabei mit erstaunlichen Biographien, Selbsteinschätzungen und Einsichten konfrontiert worden.


    Zitat

    Auch die Schilderungen des Slums sind seltsam oberflächlich, und mit dem Auftreten des Paters Andrew kommt noch eine ärgerliche, überheblich-kolonialistische, ja sogar rassistische Komponente ins Spiel, die in krassem Gegensatz der multiethnisch-toleranten Attitüde des Romans steht: wer dem Pater den erwarteten Respekt verweigert, wird geächtet und gemäß des Gesetzes der Straße abgestraft. Eine Szene, die die thailändische Art, Dinge zu regeln, drastisch veranschaulichen soll, wird so zu einer unfreiwillig entlarvenden Demonstration westlichen Überlegenheitsgefühls, das auch sonst immer Mal wieder in dem Roman durchblitzt.


    Das ist ein sehr spannender und aufschlussreicher Gedanke, DD. Vielen Dank dafür!


    @ Salonlöwin: Kiko taucht nicht wieder auf. Die Japanerin scheint irgendwo zwischen den beiden Bänden verlorengegangen zu sein.


    Die Veröffentlichungspolitik des Verlages scheint mir ebenfalls mehr als seltsam. Wenn ich richtig informiert bin, ist auch "Haus der Geister" nicht der erste Band der Reihe, sondern "The risk of infidelity index" (Erschienen Ende Juli 2011 als HC im Unionsverlag)


    edit: Rechtschreibung korrigiert

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

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  • Liebe Salonlöwin, wir haben uns ja schon privat über Burdett ausgetauscht, ohne einen gemeinsamen Nenner zu finden, aber was die direkte Ansprache des Farangs angeht, muss ich dir leider seufzend zustimmen. Ganz schlimm, für mich der größte Minuspunkt bei seinen Büchern. :-(


    Nach deiner Farbskala beurteilt stand Thailand für mich lange auf grün, fiel dann nach ausführlichem Bereisen des Landes für eine Weile auf gelb zurück, bis es mir schließlich gelang, erste kleine Lücken in die meterdicke, kulturell bedingte Verständnis-Barriere zu picken. Seitdem ist es für mich "dunkelgrün". Ich könnte mir mittlerweile gut vorstellen, in Thailand zu leben, auch wenn ich Malaysia dafür bevorzuge - was allerdings weniger an den Thais als vielmehr an den mir größtenteils sehr unsympathischen westlichen Ausländern im Land liegt. Ausnahmen bestätigen auch hier selbstverständlich die Regel.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Hallo harimau,


    Zitat

    Original von harimau: Die Veröffentlichungspolitik des Verlages scheint mir ebenfalls mehr als seltsam. Wenn ich richtig informiert bin, ist auch "Haus der Geister" nicht der erste Band der Reihe, sondern "The risk of infidelity index" (Erschienen Ende Juli 2011 als HC im Unionsverlag)


    die Webseite von Moore sagt etwas anderes zur Reihenfolge:
    Christopher G.Moore


    Danach handelt es sich bei "Haus der Geister" um Teil 1.
    Nun ist die Verwirrung komplett :lache.


    Zitat

    Original von harimau: Der Leser lernt durch die Augen eines Westlers ein sehr schmales Segment Bangkoks kennen, das ihm ohnehin schon bekannt vorkommt - weil es genau jenes ist, dem unsere Medien fast ausschließlich ihre Aufmerksamkeit schenken. Wo es Burdett häufig gelingt, die Oberfläche zu durchdringen und kulturelle Inhalte zu vermitteln, unternimmt Moore nicht einmal den Versuch. Bangkok bleibt Kulisse.


    Die Sicht des Expats - zumindest für "Haus der Geister" würde ich gern noch einmal aufgreifen. Im vorgenannten Roman schildert Moore natürlich die Dinge aus Calvinos amerikanischer Sicht. Dass die Ansichten dabei durch Pratt, Calvinos thailändische Sekretärin und Kiko (und die geschilderten Innenansichten) zurechtgerückt werden, empfand ich als äußerst angenehm und glaubwürdig. Moore hat meines Erachtens völlig richtig erkannt, dass sein westlicher Privatdetektiv einheimische Gegenspieler benötigt.
    Zumindest im "Haus der Geister" hatte ich den Eindruck, dass Thailands Hauptstadt mehr als Kulisse, wenn nicht gar Hauptakteur ist und die Kriminalgeschichte zur Staffage wird. Positiv erwähnt werden sollten noch die sozialkritischen Töne, die den Roman insgsamt aufgewertet haben.


    Lieber harimau,
    natürlich werden wir uns bei Burdett nicht einig ;-), aber das ist nicht weiter tragisch. Die von DraperDoyle verfasste Rezension hat zumindest eines geschafft: Wir diskutieren leidenschaftlich über ein Buch.


    Liebe Grüße
    Salonlöwin


    P.S. Was die Farbskala betrifft, diskutieren wir die Angelegenheit bei einem Eulentreffen aus. Ich möchte ungern Anlass zu Spekulationen geben.

  • Zitat

    Original von harimau
    Einer meiner engsten Freunde, der seit über dreißig Jahren in BKK lebt und über den Foreign Correpondents Club persönlich mit Moore bekannt ist, versicherte mir, dass der Autor durchaus über ein aureichendes Verständnis der Stadt und ihrer kulturellen Gepflogenheiten verfügt, um den Lesern tiefere Einsichten als die hier gegebenen zu vermitteln. Vermutlich verzichtet er darauf, um einer Zielgruppe entgegenzukommen, die in erster Linie an der Krimihandlung interessiert ist und sich nicht mehr als ein gemäßigt exotisches Lokalkolorit wünscht.


    Dass Moore marketingmäßig gut unterwegs ist, habe ich mitgekriegt. Dass er den Fundus, aus dem er schöpfen könnte, aus Zielgruppenkonformismus freiwillig beschneidet, katapultiert mich leider aus eben jener Zielgruppe eher raus


    Zitat

    Original von harimau
    Der Leser lernt durch die Augen eines Westlers ein sehr schmales Segment Bangkoks kennen, das ihm ohnehin schon bekannt vorkommt - weil es genau jenes ist, dem unsere Medien fast ausschließlich ihre Aufmerksamkeit schenken. Wo es Burdett häufig gelingt, die Oberfläche zu durchdringen und kulturelle Inhalte zu vermitteln, unternimmt Moore nicht einmal den Versuch. Bangkok bleibt Kulisse.


    Genau so habe ich das empfunden :wave


    Zitat

    Original von harimau
    An dieser Stelle muss ich Moore in Schutz nehmen. Aus der westlichen Perspektive des Buches betrachtet ist diese Darstellung absolut korrekt, auch wenn ich "zufrieden" durch "fröhlich" ersetzen würde. Allein der Begriff "Nutten" (den ich wegen seines verabsetzendes Klangs ohnehin verabscheue) lässt mich zurückschrecken, weil er ein völlig falsches Bild von den hier angesprochenen Frauen entwirft. Um einen Blick auf die hinter der Fassade der Leichtigkeit selbstverständlich reichlich vorhandene Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu bekommen, müsste das Buch andere, kritischere Fragen stellen. Moore unterlässt es - im Gegensatz zu Burdett, obwohl auch der bei seinen Antworten für meinen Geschmack zu sehr vereinfacht oder in Schubladen denkt.


    Das ist ein spannendes Thema. Was ich bisher so mitgekriegt habe, ist die südostasiatisch resp. thailändische Sexualmoral eine ganz andere als die westliche. Da ist es genauso heuchlerisch, die Bargirls pauschal als Opfer abzustempeln, die am besten von wohlmeinenden christlichen Organisationen gerettet werden müssen wie die von dir erwähnte westliche Perspektive, die sie lediglich als aufregendes Spielzeug betrachten. Bei Burdett hatten sie wenigstens eine eigene Stimme, bei Moore sind sie nur Staffage. Für mich klingt übrigens Nutte selbstbewusster als Prostituierte, das impliziert irgendwie schon vom Klang einen Straftatsbestand. Vor diesem Hintergrund würde es mich wirklich interessieren, wie diese Frauen sich und ihr Leben selber sehen.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    die Webseite von Moore sagt etwas anderes zur Reihenfolge:
    Christopher G.Moore


    Danach handelt es sich bei "Haus der Geister" um Teil 1.
    Nun ist die Verwirrung komplett :lache.


    Stimmt. :wow Amazon.uk verkauft "The risk of infidelity index" mit dem eingeklammerten Zusatz "Vincent Calvino 1". Nun, Moore selbst sollte es wohl am besten wissen. :grin


    Zitat

    Die Sicht des Expats - zumindest für "Haus der Geister" würde ich gern noch einmal aufgreifen. Im vorgenannten Roman schildert Moore natürlich die Dinge aus Calvinos amerikanischer Sicht. Dass die Ansichten dabei durch Pratt, Calvinos thailändische Sekretärin und Kiko (und die geschilderten Innenansichten) zurechtgerückt werden, empfand ich als äußerst angenehm und glaubwürdig. Moore hat meines Erachtens völlig richtig erkannt, dass sein westlicher Privatdetektiv einheimische Gegenspieler benötigt.
    Zumindest im "Haus der Geister" hatte ich den Eindruck, dass Thailands Hauptstadt mehr als Kulisse, wenn nicht gar Hauptakteur ist und die Kriminalgeschichte zur Staffage wird.


    Hmm. Auch wenn ich beide Bücher nicht mehr so präsent habe, wie es für diese Diskussion wünschenswert wäre, behalte ich bei meinen Standpunkt bei. Gefühlt, wenn auch nicht mit Beispielen belegbar, blieb bei mir der Eindruck zurück, dass die beiden von dir angeführten Thais hauptsächlich eine Alibifunktion erfüllen, indem sie Authentizität und einen einheimischen Blickwinkel suggerieren. Vielleicht ist es zu harsch, wenn ich unterstelle, dass der Autor hier eine asiatische Brille aufsetzt, das Szenario aber weiterhin mit seinen eigenen, also westlich geschulten Augen betrachtet und deutet - obwohl er sich, wie weiter oben von mir vermutet, durchaus davon lösen können sollte. Hatte er Angst, die Leser zu überfordern, sie durch die Konfrontation mit dem vermeintlich Unverständlichen zu verprellen? Natürlich kann ich über die Gründe nur spekulieren, aber im Endergebnis hat Moore mich - anders als Burdett, dem dies häufiger gelingt - nicht an das eigentliche Wesen Bangkoks herangeführt, mich den Herzschlag der Stadt nicht spüren lassen.


    Zitat

    Positiv erwähnt werden sollten noch die sozialkritischen Töne, die den Roman insgsamt aufgewertet haben.


    Ja. Dennoch muss ich auch hier in die Suppe spucken relativieren, indem ich noch einmal DDs Gedanken bezüglich des westlichen Überlegenheitsgefühls ins Gespräch bringe. Es ist gut, dass Moore auf soziale Missstände und die Existenz von Slums hinweist; andererseits impliziert er, dass es großherziger Menschen aus den entwickelten Nationen bedarf, um Verbesserungen für die Ärmsten zu erstreiten. Das ist wirklich sehr überheblich, auch wenn Moore es vielleicht nur als Vehikel nutzt, um die Problematik glaubwürdig und verständlich in die Romanhandlung einzubauen. Richtig ist durchaus, dass die sozial Schwächsten in Thailand von ihrer Regierung nicht viel Hilfe zu erwarten haben, dafür ist die aus den Slums selbst heraus erwachsende soziale Dynamik nicht zu unterschätzen. Im Schlechten bedeutet das Kriminalität und Ausbeutung, im Guten aber eine enorme emotionale und auch ganz praktische Solidarität unter den Bewohnern. Es ereignete sich übrigens vor einigen Jahren die erstaunliche Geschichte, dass die Regierung (ich glaube, es war noch unter Thaksin Shinawatra) plante, Teile des im Roman erwähnten Slums Klong Toey abzureißen und die Anwohner auf Staatskosten in billige Wohnblocks umzusiedeln, worauf es zu massiven Protesten seitens der Betroffenen kam. Ich meine, ohne Gewähr, dass Burdett diese Anekdote in einem seiner Romane aufgreift (Sorry, dass ich dich immer wieder mit diesem Burschen nerven muss :lache).


    Zitat

    Die von DraperDoyle verfasste Rezension hat zumindest eines geschafft: Wir diskutieren leidenschaftlich über ein Buch.


    Jo! Und das finde ich auch ganz wunderbar. :-)


    Die Farbskala diskutieren wir, wie von dir vorgeschlagen, von Angesicht zu Angesicht. Ich werde meine Spekulationssucht bis dahin im Zaume halten. :grin


    LG harimau :wave


    edit: Komma umgesetzt.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

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  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Das ist ein spannendes Thema. Was ich bisher so mitgekriegt habe, ist die südostasiatisch resp. thailändische Sexualmoral eine ganz andere als die westliche. Da ist es genauso heuchlerisch, die Bargirls pauschal als Opfer abzustempeln, die am besten von wohlmeinenden christlichen Organisationen gerettet werden müssen wie die von dir erwähnte westliche Perspektive, die sie lediglich als aufregendes Spielzeug betrachten. Bei Burdett hatten sie wenigstens eine eigene Stimme, bei Moore sind sie nur Staffage.


    In der Tat ein spannendes Thema - für mich ausreichend genug, um einen 470-seitigen Roman darüber (und die Rolle der Frau in der thailändischen Gesellschaft ganz allgemein im Kontrast zur in Europa verbreiteten Wahrnehmung) zu schreiben, den bisher allerdings kein Verlag haben möchte, weil es in Deutschland angeblich kein ausreichendes Interesse an dieser Thematik, nicht einmal in sehr emotionale Fiktion verpackt, gibt. Mehr sage ich dazu nicht, sonst wird dieser schöne Fred noch in die Autoren-Eigenwerbungsrubrik verschoben, wo ich schon immer nicht hin wollte. :lache


    Aber nun zur Sache: Es gibt in Südostasien aus kulturellen, geschichtlichen und religiösen Gründen keine auch nur annäherungsweise einheitliche Sexualmoral. Rein für Thailand gesprochen unterscheidet sie sich allerdings erheblich von der deutschen Version, ist aber keineswegs liberaler - ganz im Gegenteil. Wie diese gesellschaftlich vorgegebene Moral persönlich umgesetzt wird, ist dann - wie bei uns - eine sehr individuelle Geschichte und variiert in ganzer Breite. Die Bargirls pauschal als Opfer abzustempeln halte ich für ebenso falsch wie du, wobei man bedenken muss, dass die im Roman und hier auch von mir angesprochene Gruppe der mit Ausländern ihr Geld verdienenden Frauen nur etwa 5 % der Prostitution in Thailand ausmachen - und zwar diejenigen, die es mit am besten getroffen haben. Für diese Frauen gilt (verallgemeinert), dass sie sich selbst für diese Arbeit entscheiden, sie von einem Tag zum nächsten aufgeben können und ihren Verdienst mit keinem Zuhälter teilen müssen. Das geht in Thailand leider auch ganz anders, bis hin zur lupenreinen Sex-Sklaverei unter den allerschlimmsten Umständen. In diesem Bereich werden zumeist, aber nicht nur, Frauen aus Laos, Kambodscha und vor allem Burma zu Opfern - die Wehrlosesten, wie immer. Das damit verbundene Elend ist mit Worten kaum zu beschreiben.
    Zurück zu Moore: Auch ich sehe die Bargirls im Roman eher in der Rolle als Erfüllerinnen einer westlichen Erwartung denn als menschliche Wesen mit originärer Motivation. Den Respekt vor ihnen spreche ich dem Autor nicht ab; allzu viel Interesse an ihnen kann ich allerdings auch nicht erkennen.


    Zitat

    Für mich klingt übrigens Nutte selbstbewusster als Prostituierte, das impliziert irgendwie schon vom Klang einen Straftatsbestand. Vor diesem Hintergrund würde es mich wirklich interessieren, wie diese Frauen sich und ihr Leben selber sehen.


    Meine Ablehnung von "Nutte" beruht wohl darauf, dass ich diese Bezeichnung bisher ausschließlich aus dem Mund von nicht wohlmeinenden Männern (Zu Deutsch: Arschlöchern) gehört habe, während mir "Hure" als selbstbewusste Eigenbezeichnung aus dem Gewerbe geläufig ist. Reine Empfindungssache also, kein inhaltliches Problem mit dieser Bezeichnung aus deiner Feder. :-)


    Auf die Frage, wie Bargirls in Thailand sich selbst und ihr Schicksal sehen, gibt es naturgemäß so viel Antworten wie betroffene Frauen. Die Bandbreite in meinen Gesprächen reichte von unglücklich über zynisch funktionierend bis zufrieden und ganz mit sich im Reinen, von erschreckender Naivität zu souveräner Reflektion, von Scham bis Stolz, von abgründigen Selbstzweifeln hin zur hart erarbeiteten, ehrlichen Wertschätzung der eigenen Person. Das wirklich Schöne und auch Lehrreiche war für mich daran, dass diese Frauen durch ihre - oft erstaunlich vertrauensvolle - Öffnung mir gegenüber aus einer großen, gern verleumdeten Masse heraustraten und individuell wurden. DAS erst ermöglicht - im Gegensatz zu jeder theoretischen Auseinandersetzung - wirkliches Verständnis über alle kulturellen und sozialen Grenzen hinweg. Für dieses Erlebnis bin ich mindestens so dankbar wie für die das Buch betreffenden Erkenntnisse.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Für mich klingt übrigens Nutte selbstbewusster als Prostituierte, das impliziert irgendwie schon vom Klang einen Straftatsbestand. Vor diesem Hintergrund würde es mich wirklich interessieren, wie diese Frauen sich und ihr Leben selber sehen.


    Der Beruf der Prostituierten ist bei uns nicht verboten - wer diesem Gewerbe also nachgeht, der begeht keine Straftat. Auch das Versäumen der notwendigen gesundheitsamtlichen Untersuchungen stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit da.


    Die Damen die in diesem Gewerbe tätig sind, sehen sich in Deutschland als "Huren" und bezeichnen sich auch so. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Der Beruf der Prostituierten ist bei uns nicht verboten - wer diesem Gewerbe also nachgeht, der begeht keine Straftat. Auch das Versäumen der notwendigen gesundheitsamtlichen Untersuchungen stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit da.


    Die Damen die in diesem Gewerbe tätig sind, sehen sich in Deutschland als "Huren" und bezeichnen sich auch so. :wave


    Sorry, bin keine intime Kennerin der Szene ;-) Ich meinte nur, dass das Wort Prostitution im Sprachgebrauch meistens im Zusammenhang mit Kriminalität auftaucht, nicht, dass Prostitution illegal wäre. Nutte klingt deshalb für mich weniger nach "Behördensprache" als Prostituierte.


    harimau : für emotionale Fiktion bin ich leider nicht zu gewinnen, auch wenn mich deine Interviwes brennend interessieren. Denn die erwähnte Vielfalt an Schicksalen und Einstellungen könnten ja mal die Extreme "Opfer" und "Sexobjekt" vom Kopf auf die Beine stellen. Könntest du nicht eine Reportage schreiben? Ich könnte mir vorstellen, dass man zwar damit keinen
    Bestseller landen kann, aber doch zumindest ein interessiertes Publikum erreicht. Und mir fallen spontan zwei, drei Verlage ein, in deren Programm ein solches Sachbuch durchaus passen könnte.


    rienchen, danke für den Tip :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Für eine Reportage waren die Gespräche zu unstrukturiert und im Nachhinein viel zu schlecht dokumentiert, da ich mir kaum Notizen gemacht habe.


    Es gibt allerdings ein sehr interessantes Buch zum Thema, auf das ich hinweisen möchte: "Hello my big big honey" von Dave Walker und Richard S. Ehrlich (soweit ich weiß, nicht ins Deutsche übersetzt). Im Buch werden Liebesbriefe von Farangs und Interviews mit den angeschriebenen Bargirls anonym gegeneinander gestellt. Traurig, gelegentlich anrührend und sehr aufschlussreich. Durchschnittlich gute Englischkenntnisse sind für die Lektüre absolut ausreichend.


    Der Autor über sein Buch:
    Greetings from Dave Walker, co-author
    Hello My Big Big Honey is a work of non fiction. All of the love letters contained in the book are real. Only the writer's names have been left out and the spelling corrected. WARNING! Some letters and interviews contain explicit adult language and situations...

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann