Drei Tage und kein Ende - Cili Wethekam (ab ca. 12 J.)

  • erstmals erschienen 1967


    Unter meinen Kinder - und Jugendbüchern gibt es eine Handvoll, die mir, als sie mir als Kind geschenkt wurden, nicht gefielen. Nach spätestens zwei Seiten klappte ich das Buch enttäuscht zu. Ende der 1960er, Anfang der 1970er aber war der Kinderbuchmarkt recht klein, im Vergleich zu heute geradezu winzig. Die Bücher waren meist gebunden, gut ausgestattet und wenn nicht unbedingt teuer, so doch alles andere als preiswert. Sie galten also als etwas Wertvolles. Deswegen gab man sie bei Nichtgefallen nicht einfach weg, sondern stellte sie brav ins Regal, ein wenig abseits vielleicht, aber durchaus sichtbar.
    So konnte es vorkommen, daß ich, wenn ich wieder einmal überhaupt nichts zu lesen hatte (weil alle Lieblingsbücher zum zwanzigsten Mal gelesen waren und die Bücherei geschlossen), einen Blick auf die ungeliebten Kinder warf. Zuweilen sprang der Funke beim zweiten Anlauf tatsächlich über.


    Bei dem Roman Drei Tage und kein Ende von Wethekam gab es mehr als einen Anlauf. Dann jedoch war die Liebe da und sie ist bis heute nicht geringer geworden. Wethekam erzählt eine Familiengeschichte. Familie Helgers lebt in Bremen, der Vater ist Graphiker mit Vorlieben für Technik, die Mutter Hausfrau. Es gibt drei Schwestern, Katrin, mit achtzehn die älteste, macht gerade eine Ausbildung als Kindergärtnerin (so hieß das früher), Julia, die zu ihrem Mißvergnügen ‚Jule’ gerufen wird, steckt mit ihren dreizehn in den Fängen der ersten Pubertät. Saskia, zehn Jahre, ist noch ganz kindlich und eigentlich mit sich und der Welt recht zufrieden. Vor allem an dem Tag, an dem die Handlung einsetzt. Sie hat nämlich in der Schule eine Eins geschrieben und eine Hausregel der Familie besagt, daß einer bei einer Eins ein Kinobesuch zusteht.
    Beim Durchblättern der Zeitung auf der Suche nach dem Kinoprogramm aber hat Saskia aus heiterem Himmel eine ganz andere Idee. Für das Wochenende ist der Auftritt eines Knabenchors aus Paris angekündigt und für die Jungen werden Gasteltern für drei Tage gesucht. Saskia möchte unbedingt, daß die Familie einen der Jungen aufnimmt. Die Familie läßt sich überreden. Und so kommt Frédéric, 14, Solist, Waise und ein ganz eigener Charakter in die Familie Helgers.


    Aus diesen auf den ersten Blick einfachen Zutaten webt Wethekam eine hochkomplexe Geschichte über Eltern und Kinder, über Pubertät und die Wirrungen der ersten Verliebtheit, über das Ende der Kinderzeit und, untergründig, über die problematischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich.
    Die Autorin ist eine Meisterin des Minimalismus. Skizzen charakteristischer Szenen, pointierte Dialoge und Reflexionen der handelnden Figuren gehen nahtlos ineinander über und bilden den dichten Teppich eines Familienalltags voller Lebendigkeit. Man leidet mit Katrin, die an den Falschen geraten ist, mit Jule, die ihre Launenhaftigkeit oft selbst nicht erträgt, und staunt über Saskia, die sich mit ganz unkindlichen Gedanken oft genug selbst überrascht. Und man leidet und lacht mit Frédéric, dem Wethekam ein ganz besonderes Schicksal zugedacht hat.
    Die Sprache ist modern, präzise und knapp. Viele Dialoge sind im wunderbar komischen französisch-deutschen Kauderwelsch geschrieben, das Frédéric spricht. Die Zuneigung zum Frankophonen ist unübersehbar.


    Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern werden sehr ernsthaft diskutiert. Vater-Töchter-Beziehungen, Vater-Sohn-Beziehungen. Das Leben von Frédéric in Paris, das oft einsame Leben auf Tournee. Dem wird das Familienleben gegenübergestellt, das zwar grundsätzlich harmonisch, aber keineswegs konfliktfrei ist. Es geht der Autorin durchaus darum, zu zeigen, daß man hinter Fassaden sehen soll und nicht alles für verbürgt nehmen, was auf den ersten Blick richtig zu sein scheint. Dinge haben nicht nur zwei, sondern drei, vier und mehr Seiten.


    Die Szenen aus dem Familienleben sind dementsprechend gestaltet, lustig, traurig, chaotisch, oft alles gleichzeitig. Sie ändern sich sogar beim Lesen, je nachdem, auf wessen Seite man steht. Zwischendurch sind sie einfach nur schön. Zu den schönen gehört die Beschreibung eines harmonischen Weihnachtsfests, die zu den besten gehört, die ich je gelesen habe.
    Das Thema bedingt, daß es in dieser Geschichte um Gefühle geht, auch um ganz große. Es wird innig, emotional und hin und wieder sentimental. Es wird geweint und gelitten. Der frische Stil und der frische Blick der Autorin gleichen das aber aus. Die eine oder andere Träne kann einer aber durchaus abgerungen werden.


    Seine Frische hat sich das Buch bis heute erhalten, es ist immer noch gut lesbar. Für Jugendliche vielleicht weniger, weil all das, was unseren Alltag ausmacht, völlig fehlt. Drei Tage und kein Ende ist aber auf jeden Fall ein Beispiel dafür, wie modern und originell ein Jugendbuch Ende der 1960er sein konnte, auch wenn es de facto rundum konservative Werte vertritt.


    Cecilia ‚Cili’ Wethekam wurde 1921 in Belgien geboren, lebte in Holland und Frankreich und ab 1946 in Bremen. Sie hat über zwanzig Kinder - und Jugendbücher geschrieben, ihr erstes stammt von 1952. Bekannt war sie in den 1960er und 70ern, sie starb 1975.




    edit: die schöne gebundene Ausgabe läßt sich leider nicht verlinken.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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