EisTau - Ilija Trojanow

  • Hanser Verlag, 2011
    Gebundene Ausgabe: 176 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Ein Mann, der die Gletscher so sehr liebt, dass er an ihrem Sterben verzweifelt: Zeno hat sein Leben als Glaziologe einem Alpengletscher gewidmet. Als das Sterben seines Gletschers nicht mehr aufzuhalten ist, heuert er auf einem Kreuzfahrtschiff an, um Touristen die Wunder der Antarktis zu erklären. Doch auf seiner Reise verzweifelt er an der Ignoranz der Urlauber, der mangelnden Achtung vor der fremden Welt und der fortschreitenden Schmelze des Eises. Ilija Trojanows neuer Roman erzählt mit gewaltiger Wortkunst von einem Mann, der auszieht, um für die Gletscher zu kämpfen. Ein poetischer und leidenschaftlicher Roman über die Erhabenheit der Natur und die Gefährdung unserer Welt.


    Über den Autor:
    Ilija Trojanow, geb. 1965 in Bulgarien, aufgewachsen in Kenia, studierte und arbeitete viele Jahre in Deutschland. Seit 1998 lebt er in Bombay. Trojanow ist Autor, Herausgeber und Verleger. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit afrikanischer Geschichte, Kultur und Literatur. Der Autor erhielt zahlreiche Preise: 1995 den Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, ein Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf sowie ein Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds e.V., 1996 den Marburger Literaturpreis, 1997 den Viktor-von-Scheffel-Preis und Thomas-Valentin-Preis der Stadt Lippstadt und 2000 den Adelbert-von-Chamisso-Preis. 2009 wurde ihm der Preis der Literaturhäuser verliehen und 2010 wurde er als 'poetischer Chronist der großen Exil- und Migrationsphänomene der Moderne' mit dem Würth-Preis geehrt.


    Mein Eindruck:
    Dieser kurze, kompakte Roman ist sprachlich eigenwillig und wegen seiner Erzählstruktur ein klein wenig sperrig, aber eigentlich auch deswegen besonders interessant und nicht zuletzt wegen des Schauplatzes in der Antarktis atmosphärisch stark. In der Mischung liegt der Reiz, man liest keinen alltäglichen Roman. Die Hauptfigur Zeno ist ein unbequemer Protagonist, dessen Verhalten voller Weltschmerz und Wutausbrüche ihn eigentlich nicht für einen Kandidaten für den Beruf eines Expeditionsleiters für Touristen machen. Natürlich ist er aber genau dieses, da er über die fachlichen Kenntnisse verfügt. Deswegen hat er den Job auf der MS Hanse, der Touristen in die Antarktis führt.
    Trojanow setzt sowohl seine Figur als auch die Antarktis wirkungsvoll ein, manche Passagen sind wirklich brillant zu nennen und entsprechen dem “eiskalten” Cover.
    Bei anderen Figuren geht der Autor nicht so sehr in die Tiefe, die idealistische Mrs. Morgenthau wird so naiv dargestellt wie angeblich alle Touristen sind. Auch die Bordkellnerin Paulina, mit der Zeno eine Liebesbeziehung hat, wird nur kurz angerissen.


    Trojanow schafft es, Zenos Empörung über Eingriffe in die Umwelt und über Gleichgültigkeit der Menschen glaubhaft zu beschreiben. Dadurch werden auch seine kommenden Handlungen nachvollziehbar. Davon abgesehen ist die "Message" reichlich plakativ geraten.
    Neben dem erzählenden Plot, gibt es auch noch kommentierende Seiten zwischen den Kapiteln.


    Durch die komprimierte Art zu schreiben, bleibt es bei einem kurzen Roman, der so aber auch funktioniert.

  • Bei diesem Buch bin ich mir total unsicher. Die allgemeinen Rezensionen sind ja doch sehr durchwachsen.


    Herr Palomar :


    Mir ist durchaus bewusst, daß der Autor mit seinem Buch das Schutzbedürfnis dieses einzigartigen Lebensraumes herausstellen wollte, aber seitenlange Tiraden aus Wut und Selbstmitleid will ich mir derzeit nicht antun.
    Liegt denn der Schwerpunkt auf ebendiesen Gefühlen des Protagonisten oder auf der Atmosphäre des Schauplatzes?

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • auf beiden, ungefähr zu gleichen Teilen!


    Die Wut und das Selbstmitleid entspringen der Hilflosigkeit des Protagonisten. Und das ist ein wichtiger Punkt, den der Autor herausarbeiten wollte. Ein Einzelner kann wenig ausrichten, wenn es um Umweltschutz geht. Es ist letztlich die Gemeinschaft gefordert!

  • @ Herr Palomar:


    vielen Dank für die Info. Dann ist das Buch derzeit wahrscheinlich nichts für mich und ich genieße weiter mein "Alles Land" von Jo Lendle, welches ich derzeit lese.


    Ich behalte "EisTau" aber mal auf meiner gedanklichen Merkliste (wenn, dann werde ich mir wahrscheinlich sowieso am ehesten das Hörbuch zulegen).

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Zitat

    Original von grottenolm
    ich genieße weiter mein "Alles Land" von Jo Lendle, welches ich derzeit lese.


    Oh, das will ich auch noch unbedingt lesen.
    Ich habe Jo Lendle dieses Jahr in Hamburg im Nachhaltigkeitspavillion bei einer Lesung aus dem Buch gesehen. War wirklich interessant! :-)

  • @ Herr Palomar:


    tu das!
    Mir gefällt es bislang wirklich gut- die Sprache, die Atmosphäre, die Beschreibung dessen, was den Protagonisten antreibt usw (wobei ich mir nicht zutrauen würde die erste Rezension dafür zu schreiben... :schuechtern).


    Aber ich sollte diesen Thread in meinem Überschwang wohl nicht zu sehr OT werden lassen.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Der einzelne Mensch ist ein Rätsel, einige Milliarden Menschen, organisiert in einem parasitären System, sind eine Katastrophe“ ( S.167). Ilija Trojanow thematisiert in seinem Buch - auch mit viel Zynismus und Ironie - die Umweltthematik, die sukzessive Zerstörung der Umwelt durch den Menschen und gleichzeitig die Ignoranz, die Gleichgültigkeit, mit der wir diese Zerstörung zulassen. Das Buch ist unangenehm, sehr unangenehm sogar, denn die Ausrede, man fahre ja nicht mit einem Luxusdampfer in die Antarktis, gilt nicht. Ein Leben ohne oder gegen die Natur ist nicht möglich, Umweltzerstörung geschieht jeden Tag zu jeder Zeit auf jedem Flecken der Erde. Trojanow prangert v.a. die Ignoranz der Gesellschaft an, zweifelt aber gleichzeitig auch an seinen Möglichkeiten als Schriftsteller, hier eine Lösung anbieten zu können: "


    Zitat

    „Lebende Autoren hingegen, das erfuhr ich, wann immer ich die Zeitung aufschlug, sollen sich bescheiden, ein wenig anregen, ein wenig erregen, ein wenig aufregen, aber auf gar keinen Fall die Welt verändern wollen. Wie soll man noch zu Lebzeiten aufrütteln? Beschämung funktioniert nicht, da sich jeder selbst öffentlich bloßstellt, Pathos funktioniert nicht, da alles kleingeredet wird. Und Gewalt? Gewalt ist die einzige Sprache, die noch nicht von den Etiketten der Sponsoren überklebt ist.“ (S. 146)


    Das Buch ist mit seinen knapp 170 Seiten, eingeteilt in 12 Kapitel, verhältnismäßig dünn. Jedem Kapitel ist eine Art „Logbuch“ angehängt, ein Sammelsurium aus wirren Schlagzeilen, Seemannsfloskeln und Funksprüchen, das eklatante Stilbrüche darstellt und den Erzählfluss stark hemmt, doch das Buch soll ja nicht nur inhaltlich, sondern auch lesetechnisch unangenehm sein.
    Eine Leseempfehlung an jedermann!

  • Heute ausgelesen. Tolles Büchlein :-)


    Am Anfang kam ich nicht ganz rein, aber dann fand ich es doch gut erst nach und nach die Hauptperson kennenzulernen. Durch neue Erkenntnisse erscheint dann auch seine Liebesbeziehung im neuen Licht :grin.


    Auch gefällt mir wie der Autor hier seine Kritik an der heutigen Lebensweise auf Kosten der Natur verpackt. Mir gefällt es so besser, als wie in den ganzen "Promi-Schlaumeier"-Büchern in einfachster Sprache.


    Dies war mein erstes Buch von Trojanow und ich bin von seiner sprachlichen Ausdrucksweise begeistert.

  • Ich habe das Buch als Hörbuch geschenkt bekommen. Bestimmt schon vor 2 Jahren und bis jetzt habe ich mich immer davor gedrückt. Da ich aber mittlerweile wieder arbeite und einen relativ langen Fahrtweg habe, ist das Hörbuch letztlich doch in meinem Player gelandet.


    Anfangs hatte ich etwas Probleme den Sprüngen des Autors zu folgen, denn er erzählt nicht chronologisch, das kann aber sein, daß es dem Format des Hörbuches geschuldet ist. Eindrücklich fand ich hingegen das Stimmengewirr, welches im Hörbuch natürlich plastischer herauskommt als im Buch. So hat wohl jedes Medium seine Vor- und Nachteile.


    Es gibt eine Passage im Buch, in dem der Protagonist anmerkt, daß heutzutage scheinbar kein Autor mehr Gesellschaftskritik üben darf so lange er noch lebt (im Gegensatz zu den klassischen Autoren, welche ganz ungehemmt den moralischen Zeigefinger erhoben). So oder ähnlich habe ich es jedenfalls in Erinnerung, ich kann ja nicht nachblättern :grin
    Ich denke, damit hat er sicher auch das Verhältnis der Leser zu sich selbst gemeint. In vielen Rezensionen, welche ich im Vorfeld gelesen habe, wurde moniert der Autor sei zu moralisch, wolle zu viel.
    Mich interessiert die Arktis und die Antarktis, ich lese viel in diesem Bereich, träume von einer Kreuzfahrt in den Norden (oder Süden) und gleichzeitig macht es mich traurig, daß diese Lebensräume durch unsere Schuld immer mehr verschwinden, weshalb ich gleichzeitig vor einer Kreuzfahrt dahin zurückschrecke. Diese Ambivalenz ist mir bewusst, aber ehrlich, ich bin zu bequem, um mein Verhalten radikal zu ändern.
    Zeno würde mich nicht mögen, so wie ich ihn als unbequem empfinde, da er mir ständig das Gefühl vermittelt ich sei nicht so ein guter Mensch wie ich sein könnte.


    Ob mir das Buch gefallen hat? Ich weiß es nicht.
    Bei all den tollen Beschreibungen des Eises war es anstrengend Zeno zu folgen und hat mich gepiekst in meiner Selbstzufriedenheit. Wirklich berührt hat es mich dabei jedoch (leider) nicht. Warum kann ich noch nicht einmal genau sagen... Nicht, daß ein Buch für mich weniger Wert hat, wenn ich es mir erarbeiten muß, aber vielleicht kam Zenos Kompromisslosigkeit letztlich doch zu sehr als Selbstmitleid bei mir an.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Für ein so dünnes Büchlein habe ich lange gebraucht. Es liest sich nicht so flott daher.
    Das liegt einmal am Protagonisten Zeno. Er ist kein einfacher Mensch. Nachdem er eine schwere Krankheit überlebt hat, ist der von ihm untersuchte Alpengletscher verschwunden, weggetaut.
    Er schmeißt sein bisheriges Leben hin und landet ausgerechnet als Lektor auf einem Kreuzfahrtschiff in der Antarktis.
    Diesen Wahnsinnsakt zu beschreiben, ist Trojanow hervorragend gelungen. Zenos immerwährendes Scheitern in einer atemberaubend schönen aber verletzlichen Umgebung. Die Gleichgültigkeit und das Unverständnis seiner Mitmenschen.
    Als zusätzliche Zumutung: die Ansammlung von Plattitüden, Schlagzeilen und zusammengetragenen Kommentaren zwischen den einzelnen Kapiteln. Bei jedem Lesen wurden die Fragezeichen in meinem Kopf größer.
    Insgesamt hat mich weniger die Darstellung der Natur und ihrer Zerstörung beeindruckt als das Mitleiden mit einem Menschen, der innerlich ebenfalls zerstört ist und weder für sich selbst noch für die Welt Hilfe oder gar Rettung findet.