OT: The Egg and I 1945
Anfang Oktober 1945 kündigten einige größere Zeitungen in den USA das Erscheinen eines Romans an, dessen Inhalt knapp als ‚Bericht vom Leben auf einer abgelegenen Hühnerfarm’ angegeben wurde. Ganz unbekannt war der Roman nicht, im Sommer hatte es bereits einen dreiteiligen Vorabdruck im Atlantic Monthly gegeben. Ob es am Vorabdruck lag oder an der Mundpropaganda, läßt sich heute nicht mehr sagen. Innerhalb eines knappen Jahres jedenfalls waren eine gute Million Exemplare des Buchs verkauft und der Name der Autorin, damals Ende dreißig, in aller Munde. Das sollte sich in den folgenden fünfzig Jahren kaum ändern, nicht nur in den USA, auch in Europa.
Betty Macdonalds Buch ist ein Phänomen. Es brachte die autobiographischen Berichte der Pionier-Frühzeit der USA zusammen mit der humorvollen Schelmentradition in einem Land, das noch stark von der Landwirtschaft geprägt war, sich aber deutlich in einem wirtschaftlichen Umbruch befand. Und es hatte eine Frau als Hauptfigur.
Macdonald erzählt, deutlich autobiographisch gefärbt, vom Leben einer sehr jungen Frau auf einem Bauernhof in einem Ende der 1920er noch sehr ländlich geprägten und abgelegenen Gebiet, auf der Olympic Peninsula, im Nordwesten des Bundesstaats Washington, der an sich schon als abgelegen galt. Die Ich-Erzählerin zieht mit ihrem frischgebackenen und um einiges älteren Ehemann dorthin. Sie stammt aus städtischen Umfeld, Bauernhöfe und Landleben kennt sie nicht aus eigener Anschauung. Ein Leben, in dem man jedes Feuer selbst anzünden, warmes Wasser selbst erwärmen und Licht nur machen kann, wenn die Petroleumlampen gefüllt sind, ist ihr mehr als fremd. Gar nicht erst anzufangen davon, daß man das, was man essen will, zu einem guten Teil selbst säen, hegen, ernten oder auch schlachten muß, ehe man sich vor eine dampfende Suppenschüssel setzen kann.
Die Ereignisse sind meist haarsträubend, nicht selten gefährlich und zeugen vor allem davon,. was für eine Plackerei ein Bauernleben auch im zwanzigsten Jahrhundert noch war. Das Buch ist auch heute noch geeignet, allzu romantische Ideen vom einfachen Leben auf dem Land aus den Köpfen zu vertreiben. Seinen Erfolg verdankt es aber seinem Humor und zwar vor allem seinem spitzen bis sarkastischem.
Macdonald hat einen untrüglichen Sinn dafür, die richtigen Dinge auf die richtige Art aufzuspießen. Sie ist ungemein humorvoll, vor allem aber selbstironisch, das mildert das Gift, das sie durchaus versprüht, ab. Gleich, ob es um Hühner, Ehemann, NachbarInnen oder BesucherInnen aus der Stadt geht, die das Landleben vornehmlich als rosarote Idylle betrachten, sie werden zum Thema. Es gibt immer etwas zu lachen, und meist laut. Die Autorin bringt dem Landleben mit seinen Mühen aber zugleich eine tiefe Abneigung entgegen, obwohl sie sich mit aller Kraft dafür einsetzt, daß Farm, Hühnerzucht und ihre Ehe in Schwung bleiben. Diese dunkle Grundstimmung durchzieht das ganze Buch und rettet es davor, eine in letzter Konsequenz doch idealisierende Darstellung zu werden. Wer den Roman liest, darf sich auf über 280 Seiten nie nachlassender Haßliebe freuen.
Erzählt wird anekdotenhaft, aber thematisch gegliedert. Spannung ist immer da, einfach, weil man nie weiß, was als nächstes passiert. Nichts kann geplant werden und wenn es geplant ist, geht es bestimmt daneben. Die Komik ist in erster Linie Situationskomik, Macdonald wetzt ihre Zunge hin und wieder aber auch an den Nachbarinnen und Nachbarn. Sie ist eine äußerst temperamentvolle Erzählerin.
Wo sie sich leider nicht beherrschen kann, sind ihre Vorurteile gegenüber Indianern. Als sich ihr Mann dann noch auch mit einem anfreundet, wird sie regelrecht bösartig. An solchen Stellen werden dann auch Ehekonflikte, die es in ihrem Leben tatsächlich gegeben hat, ganz offenbar.
Abgesehen vom Humor, der dazu beiträgt, daß die Geschichte bis heute nicht völlig verstaubt wirkt, ist Macdonalds Buch auch deswegen hochinteressant, weil es einen Einblick in den US-amerikanischen Alltag in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts gewährt, einschließlich der herrschenden Vorurteile. Macdonald erzählt ihre Geschichte von ihrer Kindheit an. Auch wenn nicht wenig davon fiktionalisiert, d.h. überzogen anders zusammengesetzt, gewichtet oder auch erfunden ist, schenkt es eine Fülle von Einblicken über das Leben in verschiedenen Staaten, in einer ziemlich verrückten Familie, die zu Lebzeiten des Vaters, eines Bergwerksingenieurs auch reich genug war, sich diese Verrücktheiten leisten zu können.
Zugleich enthält das Buch eine seltsame Warnung an die Leserinnen, was geschehen kann, wenn eine als braves Frauchen, wie es die Erziehung verlangt, alles mitmacht, was dem Ehemann einfällt. Das ist ein weiteres Spannungsfeld, in dem dieser Romanbericht eingebettet ist, und der ihn aus dem eher versöhnlich angelegten Genre des klassischen Hausfrauenromans bis heute heraushebt.
Das Buch ist komisch und bitter, resignierend und aufmüpfig. So langsam verschwindet es aus den Regalen und das ist so falsch nicht. Es hat seine Verdienste, heute noch, man sollte es jedoch mit wachem Blick lesen. Aber der ist bei der Betrachtung der Vergangenheit ja nie verkehrt.