Dokumentarfilm
88 Min
Eine Koproduktion von
SCHNITTSTELLE Film Köln ⁄ THURN FILM
mit WDR, NDR, Buddhist Broadcasting Foundation Niederlande, KOCCA — Creativ Content Agency Südkorea, CREO Contents Südkorea, EED ⁄ EZEF
Der Stuttgarter Dokumentarfilmer Valentin Thurn hat sich einem Phänomen der Konsumgesellschaft angenommen, das die logische Folge des Massenkonsums ist, KonsumentInnen aber - so Thurn - Unbehagen verursacht: dem Wegwerfen von Lebensmitteln, die als Überschuß enden.
Der Film beginnt mit zwei jungen Männern aus Österreich, die nächtlich Müllcontainer von Supermärkten nach Lebensmitteln durchwühlen, die de facto noch einwandfrei verzehebar sind, infolge bestimmter Verhaltensregeln des Handels aber als ‚Müll’ gelten. Von da an zeigt der Regisseur und Autor Berge von Lebensmittelmüll rund um die Welt, in Deutschland, Japan, Frankreich, Österreich, Kamerun und den USA. Überall das gleiche Bild. Bauern berichten von Normen, die ihr Gemüse und Obst zu erfüllen habe, sonst wird es aussortiert. Aufnahmen aus Großmärkten folgen, in denen aussortiert wird. Eine Gruppe von österreichischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird gezeigt, die Haushaltsmüll durchsehen, um herauszufinden, was weggeworfen wird. Eine Wissenschaftlerin benennt deutlich, daß nicht nur Lebensmittel im Müll landen, sondern damit auch die zu ihrer Herstellung aufgewandte Energie. ‚Was weg ist, ist weg’, sagte ein anderer. Die Konsumgesellschaft ist eine Gesellschaft der Vernichtung, um es auf den Punkt zu bringen.
Die Aussage, daß ProduzentInnen sich an sinnlose Normen halten müssen und daß nicht nur das Endprodukt, sondern auch die dafür aufgewandte Energie einschließlich der menschlichen Arbeit im Wortsinn für die Tonne ist, hört man noch verschiedene Male in diesem Film. Der Regisseur schweigt dazu, er produziert weiter Bilder.
Diese werden im Verlauf der Films immer beliebiger und auch gleichförmiger. Müllberge irgendwo, irgendewelche Leute wühlen darin herum, Containerplünderer, WissenschaftlerInnen. SortiererInnen, FuttermittelherstellerInnen, alle machen die gleichen Handbewegungen, die gleichen ernsten Gesichter. Alle reden von Normen, die zu erfüllen sind. Mal ist ‚der Handel’ daran schuld, mal ‚die EU’, mal sind die Normen offenbar vom Himmel gefallen. Menschen sind daran nicht beteiligt, es gibt keine PolitikerInnen, keine Verantwortlichen in Konzernen, einmal wird Getreidespekulation erwähnt, es gibt weder Wirtschafts - sonst noch sonstige Politik und ihre Mechanismen. Einmal spricht ein Interviewpartner vom Versagen des Landwirtschaftsministeriums, fast erschrocken schwenkt die Kamera fort. In Kamerun dürfen betroffenen Bauern etwas deutlicher werden, von Afrikanern ist man Ausbeutung gewöhnt.
Irgendetwas haben die Müllberge auch mit dem Klimawandel zu tun. Das Stichwort ‚Methan’ fällt. Für einmal wird’s auf der Leinwand etwas wacher, es wird nicht nur auf das Problem der Fleischproduktion verwiesen, sondern darauf, daß Methan eben auch aus den Bergen sich zersetzenden Obsts und Gemüses entsteht. Mengen von Methan. Die Frage vegetarisch ja oder nein wird jedoch ebensowenig diskutiert, wie etwa die Frage bio oder nicht oder etwa sieben Dutzend andere Fragen, die sehr wohl auf der Hand liegen, wenn man sich diesen Film anschaut. Diskutiert wird gar nicht, die Kamera guckt nur betroffen.
Zwischen den bunten Bildern vom Abfall aus Lebensmitteln aus aller Welt erscheinen in regelmäßiger Folge Merksätze aus weißen Buchstaben auf schwarzem Hintergrund, der ein wenig ans Weltall erinnert. Die Merksätze enthalten die eine oder andere Zahl. Soundso viele Tonnen Abfall aus Lebensmitteln, soundso viele Lastwagen, die aneinandergereiht eine Kette rund um den Äquator bilden würden, sounso oft könnte man allein von den Abfällen die gesamte Weltbevölkerung ernähren. Täglich? Jährlich? Keine Aussage. Wozu auch. Das Ziel des Film ist es nicht, zu informieren, sondern, ja, was?
Ich habe es nicht herausgefunden. Bereits nach einer halben Stunde bot der langsam weiterrückende Zeiger auf dem Zifferblatt meiner Armbanduhr weitaus mehr Information und Spannung.
Auf seiner Reise durch die oben genannten Länder, die offenbar rein assoziativ ausgewählt wurden, möglicherweise nach Reisevorlieben des Regisseurs, traf Thurn auch Menschen, die versuchen, sich gegen die Entwicklung zu stemmen. Das wurde aber genauso stereotyp abgefilmt, wie die Müllberge auch. Ein Bäcker macht aus seinem Brotüberschuß Pellets, die mit Holzpellets vermischt, wieder zur Feuerung seiner Backöfen dienen. Würde man den Brotüberschuß in ganz Deutschland so verwenden, könnte man ein Atomkraftwerk abschalten.
Nett. Wie wäre es damit, den Überschuß gar nicht erst zu produzieren?
Eine junge Frau hat einen großen Garten hoch über den Straßen von New York angelegt, einschließlich Hühnern. Ihr Ziel ist es nicht nur, sich mit den Produkten zu versorgen, sondern sie will den EinwohnerInnen dieser Riesenstadt nahe bringen, woher Früchte, Eier, Gemüse stammen. Das Wissen darüber ist nämlich dabei, verloren zu gehen. Ein wunderbares Projek, nur .... Auch die junge Frau ist nicht ganz glücklich darüber. Sie braucht nämlich beträchtliche Mengen Wasser für ihren Garten. So kann man mit freundlichen Gedanken ganz schnell in der nächsten Bredouille landen. Der Film vermerkt’s und geht weiter.
Ich ging dann auch, die letzte Viertelstunde habe ich mir erspart. Mein Begleiter hielt durch (ein Fall für die Tapferkeitsmedaille), aber er konnte auch nicht mehr berichten, als er schließlich (mit leichter Schaumbildung vor dem Mund) aus dem Saal gestapft kam.
Der Film ist, insgesamt gesehen, ein Rückfall in eine über die Zusammenhänge von Weltwirtschaft und weltweiter Nahrunsgmittelprduktion dermaßen unaufgeklärte Zeit, daß man sich fragt, ob der Regisseur den Beginn des 20.(!) Jahrhunderts schon wahrgenommen hat. Assoziativ, Kraut und Rüben durcheinander, penetrant wohlmeinend, undurchdacht (es gibt Aufnahmen, die stehen zu dem gerade Gesagten in direktem Widerspruch), oberflächlich. Die Kamera ist noch dazu sehr unruhig, das soll wohl Authentizität vermitteln, ist aber zusammen mit der fehlenden klaren Zielsetzung nur als amateurhaft zu werten.
Das Seltsamste und auch das Schlimmste an diesem Film ist, daß Thurn in Interviews zu diesem Machwerk durchaus in der Lage ist, Auskunft über das zu geben, was im Film fehlt. Die Zahlen, die Hintergründe. Vorschläge zum Handeln gegen die herrschenden Verhältnisse. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge sind ihm zwar immer noch eher fremd, er ist nicht eben ein politischer Kopf, sondern eher ein freundlicher Weltverbesserer, aber er wirkt nicht so vage. In seinem Filmessay werden aber nicht einmal diese schlichten Zusammenhänge klar. Alles steht unverbunden nebeneinander.
Wer kein Vorwissen hat und sich den Film aus dem von Thurn zurecht konstatierten anerzogenen leichten Unbehagen über Lebensmittelverschwendung ansieht, wird sich danach vor allem hilflos fühlen, für den Rest des Abends von Leitungswasser und Knäckebrot leben und in der Folge bei jedem Supermarktbesuch den bittersüßen Stachel des Schuldbewußtseins spüren.
Wer ein wenig Ahnung hat, kann sich den Film sparen und auf dem aufbauen, was an eigenem Wissen vorhanden ist. Ein Wikipedia-Artikel oder ein Newsletter von foodwatch enthält mehr als dieser Film. Viel mer. Ich werde ihn schleunigst vergesssen.
Was jemand tut, die sich bei dem Thema gut auskennt, wag ich nicht einmal zu vermuten. Dieser Film ist eine ebenso eklatante Ressourcenverschwendung wie die, die er anprangern will.