"Fasten des Herzens" von Martina Darga

  • Dies ist ein Buch, von dem ich nicht sagen kann, ich hätte es "durchgelesen". Klingt merkwürdig? Nein, ist nur logisch. Denn dieses Buch versteht sich selbst ja nicht als ein in sich geschlossenes Etwas, sondern eher als eine (längst überfällige) und eher kompakt ausgerichtete Einführung. Man soll nicht aus der Lektüre hervorgehen und denken, "nun wüsste man endlich Bescheid". Nein, dieses Buch öffnet lauter Türen, hinter denen oft genug weitere Fragen lauern.


    Viele haben schon von etlichen Einzelaspekten chinesischer Kultur, Medizin oder Weltanschauung gehört. Qi-Gong, Tai-Chi, chinesische Medizin, die Verehrung von Weisen, ruhige Unerschütterlichkeit - all das mag einem schon begegnet sein. Aber nur in den seltensten Fällen wird man wissen, dass dahinter tatsächlich etwas viel Umfassenderes steht. Chinesen sind nicht einfach nur "anders", sondern ihre Weltsicht ist über die Jahrtausende hinweg gewachsen, und fußt auf einem Glaubenssystem, das bis heute lebendig erhalten und in zahlreichem Schrifttum verehrt wird. Denn der Daoismus ist neben dem Konfuzianismus und dem Buddhismus eine der drei Säulen chinesischer Religiosität.


    Martina Darga ist Sinologin, und hat sich mit diesem Buch vorgenommen, dem interessierten Leser die Augen zu öffnen, und ihm den weiten Horizont, der sich hinter dem im Westen noch viel zu unbekannten Wort "Daoismus" verbirgt, zumindest zu zeigen- wenngleich auch nicht in allen Ansätzen zu "erklären". Denn einerseits ist es ein Kennzeichen dieser uralten Weisheitstradition, dass sie sich eben nicht handlich "erklären" lässt. Man lebt sie, man praktiziert sie. Andererseits hat der Daoismus nicht die eine Wurzel, oder den einen heiligen Text zur Grundlage, wie das Christentum beispielsweise. Der Daoismus schöpft aus einer Vielzahl von Quellen und Autoren, deren wichtigste Vertreter in diesem Buch zu Wort kommen.


    In einem Vorwort, geschrieben von einem berühmten praktizierenden Daoisten und Weisen, und in einer Einführung der Autorin wird der Leser auf genau diese Sachverhalte hingewiesen. Er wird vorbereitet darauf, dass er sich mit diesem Buch intensiv wird beschäftigen müssen, und dass es ihm nicht abgenommen wird, sich bei Interesse und weiteren Fragen an der beigefügten Literaturliste und einem Sachverzeichnis "entlangzuarbeiten".


    Es folgen drei große Abschnitte, die beinahe schon chinesisch betitelt sind: "Die Welt", "Der Mensch", und "Der Mensch in der Welt". Hier werden eine Fülle an teils durchaus praktischen Themen behandelt, wie eben Weltsicht, die Sicht des Körpers, religiöse Praktiken und Riten, oder die Einstellung zu Leben und Tod. Jeder dieser drei ist gleich strukturiert: Zuerst fasst die Autorin in leicht lesbarer und doch poetisch angehauchter Sprache, gut portioniert, das Wesentliche zusammen, und verschweigt dabei weder abweichende Ansichten, noch Querverweise. Daran schließen sich ausführliche Auszüge aus den verschiedensten, teils weltberühmten Werken chinesischer Weisheit an. Das ist eben nicht nur das "Tao-Te-King", sondern z.B. auch das "Zhuangzi" ("Meister Zhuang"), das "Neiye" ("Inneres Arbeiten") oder das "Neiguan Jing" (wunderschön: "die Schrift der Innenschau"!). Besonders gelungen finde ich, dass die Literaturauszüge auf grauem Papier gedruckt wurden, ein sanfter, unaufdringlicher Farbton, der sich dennoch vom Rest des Buches in normalem Buch-Weiß abhebt! Eine große Hilfe ist auch das Lesebändchen.


    Ich mag mich nun nicht in inhaltlichen Einzelheiten verlieren. Denn, wie bereits oben gesagt, wirkt das Buch in mir noch nach. Ich werde sicherlich noch öfters dazu greifen. Ich möchte nur kurz anmerken, dass mich der Inhalt sehr berührt und "wachgerüttelt" hat. Mir ist klargeworden, dass Chinesen eben keine "kulturlosen Barbaren" sind, für die sie seit Mao leider allzu oft gehalten werden. Nein, der Daoismus ist eine ganz umfassende Weltsicht, die dem Einzelnen, so er sie denn ernst nimmt, eine Menge an Selbstdisziplin, aber auch an ruhiger Hinnahme abverlangt. Sicher mag das manche moderne Entwicklungen begünstigt haben - so mancher Schuss ist im modernen China ja leider nach hinten losgegangen. Aber in seinem Kern, seiner Absicht, ist Daoismus, ganz wie der Buddhismus auch, darauf ausgerichtet, den Einzelnen zu persönlicher Vervollkommnung und zur Harmonie mit dem Weltall zu führen. Daoismus ist nichts, was man, wie leider häufig den christlichen Kirchgang, an einem bestimmten Wochentag "abhakt". Daoismus zielt darauf ab, die ganze Person zu wandeln. Und das bedeutet in erster Linie Arbeit an sich selbst.


    Dies ist ein wunderschönes Buch, auch von der Aufmachung her, was ich einmal ausdrücklich betonen möchte! Allerdings ist es wohl nicht für jeden Leser gleichermaßen geeignet. Es hilft sicherlich, sich ein wenig mit China befasst zu haben. Oder mit asiatischer Religion überhaupt. Und man darf keine dieser ach so typisch westlichen Haltungen haben, wie etwa "erklär mir China in 200 Seiten". Das kann nur schiefgehen. ist man jedoch offen für einen Einblick in eine faszinierende Gedankenwelt, dann ist dieses Buch eine wahre Offenbarung.