Im Eis - Melanie McGrath

  • Originaltitel: White Heat (2011)
    Kindler Verlag 2011, 460 S.


    Über den Inhalt:
    Ellesmere Island, ein paar hundert Kilometer südlich des Nordpols. Eine gewaltige, einsame Eislandschaft. Zwei amerikanische Touristen reisen zu einem Jagdausflug an. Sie werden geführt von Edie Kiglatuk, einer Inuk-Frau und erfahrenen Arktis-Jägerin. Der Ausflug endet für einen der Männer tödlich. Die Umstände seines Todes bleiben mysteriös. Ayaynuaq heißt es in der Sprache der Inuit: Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Als die Dorfältesten beschließen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, geht Edie ihren eigenen Weg. Sie will die Wahrheit. Und ahnt nicht, dass sie sich damit mächtige Feinde macht. Sehr mächtige Feinde...


    Über die Autorin:
    Melanie McGrath wurde in Essex geboren. Als Journalistin schreibt sie für diverse britische Zeitungen und arbeitet außerdem als Radio-Redakteurin. Sie hat diverse, zum Teil preisgekrönte Sachbücher geschrieben. «Im Eis» ist ihr erster Roman. Melanie McGrath lebt in London.


    Meine Meinung:
    Auf Ellesmere Island, einer weiten Eislandschaft im nördlichen Polarkreis, sind zwei Touristen zusammen mit der erfahrenen Führerin Edie Kiglatuk auf einem Jagdausflug. Als einer der Männer unter mysteriösen Umständen erschossen wird, beschließt der Ältestenrat der kleinen Inuit-Siedlung Autisaq, den Vorfall als Unfall abzutun. Edie ist damit nicht einverstanden, sie glaubt, es war Mord und als es bei einer weiteren Expedition ebenfalls zu einem Unglück kommt, beginnt sie Nachforschungen anzustellen.


    Die kanadische Arktis: ein ungewöhnlicher und faszinierender Schauplatz, so bildhaft beschrieben, dass ich die weiten Eisflächen vor mir sah und die Kälte im Gesicht spüren konnte. Deutlich merkt man Melanie McGrath die Leidenschaft für Land und Leute an. Wunderbar beschreibt sie die harte Realität des Lebens der Einwohner in dieser komplett fremdartigen Welt mit ihren angepassten Lebensgewohnheiten und ihrem eigenen Rechtssystem. Die Klimaveränderung macht den Menschen Sorgen, die fehlende Ausbildung der Jugendlichen, die ihre Perspektivlosigkeit oft in Alkohol und Drogen ertränken. Die Selbstmordrate ist hoch bei den jungen Inuit. All das schildert die Autorin nüchtern und eindringlich, sie verknüpft ihr umfangreiches Wissen mit einer ungewöhnlichen, mit vielen Wendungen versehenen Geschichte, die selbst in den ruhigeren, handlungsärmeren Passagen eine so nicht erwartete Faszination auf mich ausübte. Die eingestreuten Begriffe und Namen der Inuit-Sprache füllen die Seiten mit Leben, auch wenn sie nicht leicht auszusprechen sind.


    Vor allem in der Anfangsphase ist es eher ein Porträt der Menschen und ihrer Lebensumstände in der kanadischen Tundra als ein Krimi. Eingebettet in die atemberaubende Landschaft entwickelt sich die Krimihandlung erst allmählich, streckt sich über mehrere Monate, in denen auch mal außer dem Alltagsleben nichts passiert. Erst als Edie, aus deren Perspektive die Geschichte hauptsächlich erzählt wird, keine Ruhe gibt und immer mehr eigene Nachforschungen anstellt, kommt Bewegung ins Geschehen.


    Edie, 33, geschieden, Alkoholikerin, mit einer Vorliebe für alte Stummfilme, ist eine originelle und sympathische Figur. Kraftvoll und entschlossen auf der einen Seite, auf der anderen unsicher und geplagt von Selbstzweifeln.


    Ein weiterer sympathischer Charakter ist Derek Palliser, der eher ruhige und bedächtige Polizist des Ortes. Er kümmert sich mehr um seine Lemming-Forschung als um Recht oder Unrecht in der Tundra. Edie braucht einiges an hartnäckiger Überzeugungsarbeit, bis auch er begreift, was für eine große Sache hinter den Vorfällen steckt, die Edie keine Ruhe lassen.


    Am Ende ist es der Autorin gelungen, die Lebens- und Denkweise der Inuit so verständlich rüberzubringen, dass man akzeptiert, dass sich die Dinge dort oben eben nur auf Inuit-Art klären lassen.


    Der Schauplatz stiehlt der eigentlichen Krimihandlung die Show. Die epischen Beschreibungen dieser anspruchsvollen Erzählung machen das Buch zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis.


    Ach ja: Ich habe schnell aufgegeben, die Inuit-Wörter und –Namen vollständig zu lesen. Hätte ich es getan, hätte ich für das Buch wesentlich länger gebraucht.

  • Krimis sind definitiv mein Lieblingsgenre, und "Im Eis" zählt definitiv ab sofort zu den besseren Exemplaren dieser Gattung! Somit kann ich Jane einfach nur zustimmen!!


    Die eisige Stimmung, die sich schon allein aus dem Ort der Handlung fast schon am Nordpol ergibt, ist konsequent im ganzen Buch zu finden: Edie, die mit mehreren Spitznamen gesegnet ist, ist Jägerin, Lehrerin, Ex-Alkoholikerin, Ex-Stiefmutter von Joe und Willa und mit ihren 33 Jahren eigentlich noch garnicht so alt, wie sie auf mich zu Beginn des Buches den Eindruck machte. Ihre Tante Martie fliegt das "örtliche Flugzeug" und ihr Ex-Schwager wird wohl wieder Bürgermeister. Und in diese Idylle hinein platzen ein paar Tote, die mehr oder weniger Edie direkt betreffen und sie nicht nur als Zuschauerin tangieren, sondern durchaus auch in ihrer Inuit-Ehre packen (auch wenn sie nur eine halbe ist).


    Allen Widrigkeiten zum Trotz beginnt sie, zuerst auf eigene Faust und dann mit Hilfe von Derek, dem Polizisten, zu ermitteln. Selbstverständlich wird ihr der ein oder andere Eisbrocken zwischen die Füße geworfen, aber da Blut doch stärker ist als Wasser, und in der fiktiven Stadt Autisaq doch alle miteinander verwandt sind, erhält sie immer wieder Hilfe - auch oft von unerwarteter Seite.


    Trotz der zahlreichen Inuit-Begriffe, der doch eher seltsam anmutenden Namen und Ortsnamen und auch den für einen "normalen Mitteleuropäer" wohl nicht ganz nachvollziehbaren verlangsamten Lebensart mitten im Eis (denn Schnee gibts ja dort schon fast keinen mehr), konnte ich mich sofort auf Edie einlassen, sie ist spröde, aber man will doch alles mit ihr "durchleiden" und wissen, was nun als nächstes passiert.


    Besonders toll fand ich, dass immer wieder die vielen und doch oft komplizierten Stränge in ihrer Ermittlung von ihr zusammengefasst wurden, wenn sie z.B. Derek erzählt, was sie nun wie herausgefunden hat. Das ist nicht nervend und wiederholend, sondern wie ein kleiner "Service" für den Leser. Auch ansonsten ist die Sprache gut zu lesen, alles ist flüssig und ich hatte stets das Gefühl, dass "Im Eis" sowohl von einer Autorin als auch von Übersetzerinnen bearbeitet wurde, die durchaus wussten, um was es hier geht - sowohl sprachlich als auch landschaftlich (und von der Handlung natürlich nicht ausgenommen!).


    "Im Eis" ist ein Krimi, der so ganz anders ist als die schnelllebigen Stadt-Ermittler, auch die nordischen, man lernt (hoffentlich viel authentisches) über eine mehr oder weniger unbekannte Kultur und wird auch noch mit einem spannenden Fall belohnt!

  • Zitat

    Original von JaneDoe
    Danke Suzann . Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass das Buch was für dich ist :wave


    Ich bin nicht der klassische Krimileser, aber solche "Nischenkrimis" mit besonderer Atmosphäre interessieren mich sehr.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von Bell
    Das Buch klingt mal wieder nach einem guten Krimi, ich habe heute auch kurz reingelesen, da wimmelte es ja nur so von Inuit-Wörtern, trotzdem war der Stil erstmal ansprechend. Ich pack's erstmal auf die Wunschliste.


    Zu Beginn hatte ich auch etwas "Angst" dass alles zu unverständlich wird mit den Inuit-Wörtern. Die Namen sind halt immer etwas lustig und gewöhnungsbedürftig :grin Aber ansonsten sind die Bezeichnungen nicht überstrapaziert, also immer wieder eingestreut, aber auch gut erklärt bzw. so im Zusammenhang, dass man das versteht. Mich hat das garnicht gestört oder genervt, es hat eher dazu beigetragen, dass das Buch realistischer gewirkt hat.