Gebundene Ausgabe: 927 Seiten
Verlag: Dumont Buchverlag; Auflage: 1 (24. August 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3832196285
ISBN-13: 978-3832196288
Kurzbeschreibung
Ein Dorf in Ostfriesland, Kühe grasen auf den Wiesen, ab und zu zerreißt der Lärm eines Tieffliegers die Stille. Hinter den getrimmten Tujenhecken des Neubauviertels blühen die Blumen, in den Auffahrten glänzen frisch gewachste Neuwagen.
In diese Welt wird Mitte der Siebzigerjahre Daniel Kuper, Spross einer Drogistendynastie, hineingeboren. Ein schmächtiger, verschlossener Junge mit viel zu viel Fantasie und zu wenigen
Möglichkeiten. Doch bald geschehen seltsame Dinge: Mitten im Sommer kommt es zu heftigem Schneefall, ein Kornkreis entsteht, ein Schüler stellt sich auf die Bahngleise, Hakenkreuze tauchen an den Hauswänden auf. Für all das wird Daniel Kuper verantwortlich gemacht. Und je mehr er versucht, die Vorwürfe zu entkräften, desto stärker verstrickt er sich in ihnen. Daniel Kuper beginnt einen Kampf gegen das Dorf und seine Bewohner. Sie sind es, gegen die er aufbegehrt, und sie sind es, gegen die er am Ende verliert. Gegen die Welt ist ein großer deutscher Roman: über die Wende in Westdeutschland, über Popkultur in der Provinz und über Freundschaften, die nie zu Ende gehen.
Über den Autor
Jan Brandt, geboren 1974 in Leer (Ostfriesland), studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in Köln, London und Berlin und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seine Erzählungen sind in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung erschienen. "Gegen die Welt" ist sein erster Roman.
Meine Meinung
"Egal was er sagt und macht, das Urteil steht schon fest."
Jan Brandt erzählt in seinem Debütroman die Geschichte von Daniel Kuper. Daniel Kuper wird Mitte der siebziger Jahre in einer kleinen Stadt in Ostfriesland geboren, der Stadt Jericho. Jericho ist keine reale Stadt, sondern fiktiv - ich kann mir aber vorstellen, dass Jan Brandt diesen Namen nicht ohne Hintergedanken gewählt hat (der biblische Bezug ist ja offensichtlich).
Daniel Kuper ist ein verträumter Junge, der viel Science Fiction liest. Als es Mitten im September einen plötzlichen Temperatursturz in Jericho gibt und es sogar zu einem heftigen Schneefall kommt, verläuft Daniel sich auf dem Heimweg von der Schule und gerät in ein Maisfeld. Dort verliert er für eine Zeit das Bewusstsein und irrt als er aufwacht nackt nach Hause. Im Maisfeld zurück bleibt ein riesiger Halbkreis, der den Verdacht nahelegt, dass dort ein UFO gelandet sei, was eine Vielzahl an Journalisten und Fernsehteams in das kleine ostfriesische Dorf lockt. Dies ist das erste Ereignis, bei dem Daniel den Bezug zur Wirklichkeit verliert, aber im Laufe der Zeit werden noch einige weitere folgen. Nach diesem Ereignis gilt Daniel im Dorf als Sonderling, als komisch, als nicht ganz normal. Jan Brandt zeigt auf, wie schnell man in so kleinen Gemeinschaften für immer aus allen Bezügen und Strukturen herausfallen kann, ohne daran Schuld zu sein.
Im Mittelpunkt von Jan Brandts Debütroman "Gegen die Welt" steht jedoch nicht nur Daniel Kuper, sondern es wird detailliert und bis auf kleinste Begebenheiten das Dorfleben und deren Bewohner seziert. Jan Brandt erzählt über das Leben von Daniels Familie, seinem Vater Hard und dessen Frau Birgit, denen die örtliche Drogerie gehört. Von Daniels Schulfreunden Onno, Rainer und Stefan. Von dem Pastor Hans Meinders. Von Hards Freunden Klaus und Günter. Alle scheinen zwar den Strukturen und Notwendigkeiten der Stadt Jericho zu entsprechen, aber keiner scheint damit glücklich zu sein.
Zitat"Das Unkraut ist gejätet, die Rasenflächen sind gemäht, in den Vorgärten blühen die Blumen, die Autos glänzen im Sonnenlicht. Morgens stehen sie auf und arbeiten - wenn sie Arbeit haben -, und abends sitzen sie vor dem Fernseher, eingelullt von Serien, Talk- und Quizshows, den Nachrichten aus aller Welt. Am Samstag machen sie sauber oder fahren in die Kreisstadt und laufen die Fußgängerzone rauf und runter [...]. Einmal im Jahr fliegen alle in den Süden oder Osten oder Westen, in ein fremdes Land, dem man die Armut vom Hotel aus nicht sofort anmerkt, auf eine Insel oder Halbinsel, mit oder ohne Palmen, das ist nicht so wichtig, wichtig ist, woanders zu sein, den Alltag hinter sich zu lassen, wenigstens für ein paar Tage, bevor es weitergeht, mit dem, was sie ihr Leben nennen."
Die FAZ schreibt, dass Brandt beinahe "mikroskopisch" vorgeht, alles, was in diesem Dorf eine Rolle spielt, wird bis in das kleinste Detail hinein beschrieben. Es gibt auch typographische Spielereien: an manchen Stellen verblasst die Schrift, an anderen Stellen ist die Seite zweigeteilt, während in der oberen Hälfte weiter von Daniel erzählt wird, wird auf dem unteren Teil der Seite die beeindruckende Geschichte eines Eisenbahnfahrers erzählt, der einen jungen Mann überfährt.
Jan Brandt hat einen Debütroman geschrieben, der etwas wagt, der etwas probiert, der experimentiert. Das gelingt natürlich nicht an allen Stellen, an manchen Stellen gibt es auf über 930 Seiten auch Längen, es gibt zähe Passagen oder auch einfach nur langweilige Stellen.
Für mich ist "Gegen die Welt" aber insgesamt und trotz dieser Abstriche ein sehr sehr gelungener Roman und ein fantastisches Debütwerk. Ich würde Jan Brandt wünschen, dass er mit diesem mutigen Versuch auf der Shortlist landet!
10 Punkte.