Inhaltsangabe (dem Klappentext entnommen):
Berlin Tegel, im Herbst 1944: Der 37 Jahre alte Jurist und Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke wartet auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof – und auf seine Hinrichtung. Während sowjetische Truppen auf seine Heimat Kreisau in Schlesien vorrücken und Weggefährten gehenkt werden, wechselt er täglich Briefe mit seiner Frau Freya, die vom Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter Einsatz seines Lebens fast täglich an der Zensur vorbeigeschmuggelt werden. Es geht um ihre Liebe und die Lage in Kreisau, die Situation im Gefängnis und die Vorbereitung auf den Tod, aber auch um den Widerstand und um Wege zur Rettung.
Die Autoren:
Helmuth James von Moltke wurde 1907 geboren, am 23.01.1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Er war Jurist, einer der bedeutendsten Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialsmus und Begründer des „Kreisauer Kreises“.
Freya von Moltke, geboren 1911, starb hochbetagt am 01.01.2010. Auch sie war Widerstandskämpferin, Juristin und Schriftstellerin.
Beide heirateten 1931.
Die Herausgeber:
Helmuth Caspar von Moltke wurde 1937 geboren. Er ist der älteste Sohn von Helmuth James und Freya von Moltke.
Ulrike von Moltke wurde 1944 geboren. Sie war mit Konrad von Moltke, dem jüngeren Bruder von Helmuth Caspar von Moltke verheiratet und ist die Tochter des Widerstandskämpfers Hans Bernd von Haeften.
Meine Meinung:
Die Ausstattung des Buches ist schlicht großartig zu nennen:
Nach dem Vorwort der Herausgeber Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke eine sehr informative Einleitung nebst eingestreuten Fotos, nach den Briefen ein opulenter Anhang, der weitere Dokumente auflistet, biografische Notizen aufzeichnet, Literaturhinweise gibt, neben Bildnachweisen auch noch ein ein Abkürzungsverzeichnis sowie eine Auflistung der Gesangbuchlieder darbringt und zum guten Schluss ein Personenverzeichnis aufführt, das mich einfach begeistert, sind dort nicht nur die Verweise auf die Seitenzahlen, sondern oft auch Lebensdaten und kurze Hinweise auf die Person zu finden.
Als überaus lesefreundlich habe ich es empfunden, dass sich die Anmerkungen sofort an den jeweiligen Brief anschließen, so dass ein großes Blättern entfällt.
Das Einzige, was diesem Buch fehlt, ist ein Lesebändchen.
„Wunder“ - ein arg strapaziertes Wort ist als erstes zu gebrauchen, um dieses Buch zu beschreiben.
Es ist ein Wunder, dass die Briefe geschrieben werden konnten, ein zweites, dass sie übermittelt werden konnten, ein drittes, dass sie aufbewahrt wurden.
Ein Wunder, dass bei einem Luftangriff das Gefängnis Lehrter Straße, in dem Helmuth James Moltke inhaftiert war, so getroffen wurde, dass er in ein anderes „evakuiert“ werden musste, dass es ausgerechnet Tegel war, in dem Harald Poelchau als Gefängnispfarrer Dienst versah, der – unentdecktes - Mitglied des Kreisauer Kreises war und für den Transport der Briefe sorgte.
Ein Wunder, dass Helmuth James von Moltke so lange am Leben gelassen wurde, um eine solche Vielzahl von Briefen schreiben und empfangen zu können. Ein Wunder auch, dass sie die Zeit unbeschadet überstanden.
Und auch das für mich ein Wunder: Dass diese Briefe ungekürzt veröffentlicht werden konnten, denn dazu gehörte für die Herausgeber, Sohn und Schwiegertochter der beiden Briefeschreiber, sicherlich ein gut Stück Mut.
Diese Briefe sind nicht unbedingt leichte Kost, und trotzdem: Das bereit gelegte Taschentuch blieb zusammengefaltet, nicht ein einziges Mal stand ich in Gefahr, es gebrauchen zu müssen. Freya und Helmuth James von Moltke waren sich der ständigen Gefahr des Prozesses mit anschließender Hinrichtung bewusst, angesichts dieser Situation können Briefe selten heiter daherkommen. Allenfalls die Berichte Freyas über die „Söhnchen“ verschafften mir Gelegenheit, wieder zu Atem zu kommen, etwas von der Anspannung, die die Lektüre in mir auslöste, abklingen zu lassen. Trotzdem ich immer wieder die Lektüre unterbrechen musste, entfalteten die Briefe eine ganz eigene Sogwirkung. Manchmal fühlte ich mich wie ertappt, so überaus privat und intim sind die allermeisten Briefe, aber ein schlechtes Gewissen wollte sich bei mir nicht einstellen, zu sehr haben sie mich bereichert.
„Nur wir zusammen sind ein Mensch. Wir sind … ein Schöpfungsgedanke.“ (Seite 481), so bezeichnet Helmuth James in einem Brief vom 11.01.1945 diese außergewöhnlichen Eheleute – und genau so erscheinen sie vor meinem geistigen Auge. Selten habe ich zwei Menschen so sehr geeint gesehen, so eins im Denken wie im Fühlen, so im besten Sinne voneinander abhängig. Ein so unbedingtes Aufeinandereingehen, ein solches einander Aufbauenkönnen, ein solches Miteinander – ob dies für ihre gesamte Ehezeit gegolten hat, wage ich ein wenig zu bezweifeln, aber für die Zeit des Briefwechsels, diese vier Monate vom 29. September 1944 bis zum 23. Januar 1945 sind sie für mich nicht mehr „nur“ zwei Ehepartner, sondern ein Paar, eine Einheit.
In diesen Briefen kommt alles zur Sprache, was zur Sprache kommen musste: Die Sorge umeinander, um die Kinder, um Kreisau, das Eingestehen des Sterbenmüssens und doch davor Zurückscheuens, die Versuche, alles zu regeln und den Prozess zu verzögern, der Prozess selber (bewegend und beklemmend zugleich die Schilderung desselben von Helmuth James, wobei ich bei den beiden Briefen über den Prozessverlauf den Eindruck hatte – das einzige Mal im Übrigen -, diese seien auch ein wenig für die Öffentlichkeit formuliert), auch einiges über andere Widerstandskämpfer bzw. -gruppen. Erstaunlich seine Hellsichtigkeit in Bezug auf Freyas weiteres Leben, für das er sie gut gerüstet wusste, ebenso erstaunlich Freyas Hellsichtkeit, das Helmuth James nicht alt werden würde. Ein großes Thema der Briefe ist der immer stärker werdende Glaube der Eheleute, besonders auf seiner Seite. Sie wissen sich in diesem Glauben geborgen, auch wenn Krisen naturgemäß nicht ausbleiben können. „Er kann dich prüfen, aber nicht verlassen“ (Seite 195) – vielleicht ist das das Glaubens-Credo der beiden.
Diese Briefe zu lesen habe ich auch deswegen genossen, weil sie so wunderbar formuliert sind, weil man als Außenstehender merkt, wie viel Zeit sie sich für diese Briefe und damit auch fürden jeweils anderen genommen haben. Sie sind von einer großen Intensität und Emotionalität, die man sicherlich durch die extreme Situation erklären kann – aber für mich ist das nur die halbe Erklärung. Es liegt für mein Empfinden auch in den Personen, in ihren Charakteren begründet, die sie ja beide auch in den Widerstand und in Helmuth James Fall auch in den Tod geführt haben.
Diese Abschiedsbriefe gehören, trotz des so ernsten und schweren Themas, trotz der steten gegenwärtigen Todes“ahnung“ bzw. -“androhung“, für mich zum Schönsten, das zu lesen ich je das Glück hatte – auch, weil sie nicht nur vom Abschied und vom Sterben sprechen, sondern vom Leben und von der Liebe der beiden zueinander.
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