Die Vertraute des Königs, Campion, Emma, Orig.titel „The King’s Mistress“, Übersetz. Jens Plassmann, Wilhelm Heyne Verlag, München, September 2011, 768 S., ISBN 978-3-453-54533-5
Zur Autorin (lt. Klappentext):
Emma Campion, geboren in North Carolina, hat nach ihrem Studium der mittelalterlichen Literatur und Geschichte als Lektorin für wissenschaftliche Publikationen und freischaffende Schriftstellerin gearbeitet, während sie sich weiter mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigte. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Seattle und reist regelmäßig nach Großbritannien.
Da sich hinter dem Pseudonym Emma Campion die Schriftstellerin Candace Robb verbirgt, hier der Link zur deren Homepage.
Meine Meinung:
Emma Campion lässt in ihrem historischen Roman „Die Vertraute des Königs“ Alice Perrers die Geschichte ihres Lebens und ihrer erstaunlichen Entwicklung von den jungen Jahren beginnend 1355 n. Chr. als Bürgerliche, über ihren Weg an den englischen Königshof als Dienerin von Königin Philippa, ihrer Zeit als Mätresse des deutlich älteren Edward III. bis hin zu den schwierigen Jahren nach dessen Tod bis 1384 n. Chr. erzählen. Inspiriert wurde die Autorin durch die Aufzeichnungen des Mönchs Thomas Walsingham, der Alice Perrers als schamlose, machtgierige Verführerin darstellt. Die Annahme, dass Edward III. von Alice Perrers derart massiv manipuliert wurde, leuchtet Emma Campion gemäß ihres Nachworts nicht ein, sie glaubt vielmehr, dass eine Gemeine in keiner Weise eine Wahl gehabt haben kann, Mätresse des Königs zu werden und mit irgendwelchen Hexenkräften dessen Kopf zu verdrehen. Ebenso erscheint es der Autorin nicht nachvollziehbar, weshalb Alice Perrers von ihren Zeitgenossen dafür verurteilt wurde, dass sie auch während der langen Krankheitszeit des Königs an dessen Seite blieb und nicht mit ihrem Vermögen die Flucht ergriff. So entstand nach intensiver Recherche ein historischer Roman über Alice Perrers Leben, in dem die Autorin die Protagonistin sich immer wieder fragen lässt „wann hatte ich je die Wahl, anders zu sein, als ich war?“, und das Bild einer intelligenten, leidenschaftlichen Frau, einer treuen Freundin, einer klugen Geschäftspartnerin und liebenden Mutter entwirft.
Emma Campion lässt die Ich-Erzählerin ihre Geschichte in leichter, flüssiger Sprache erzählen, lässt sie alltägliches Leben und besondere Lebensstationen beleuchten und über ihre Beziehungen zu Geliebten, Verwandten, Höflingen, Freunden und Menschen, die sich als solche ausgeben, reflektieren. Lücken im historisch nachweisbaren Material versucht die Autorin plausibel zu schließen und so entsteht ein historischer Roman, wie er sein sollte, ein Roman, der beim Leser den Gedanken hinterlässt „ja, so könnte es aus Sicht von Alice gewesen sein“. Allerdings schlichen sich manchmal bei mir Zweifel ein, dass dies doch ein bisschen zu schön und konfliktarm beschrieben ist, um Realität gewesen zu sein. Obwohl Alice Perrers Leben von Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist, viele Schicksalsschläge von ihr hingenommen und verarbeitet werden mussten, und sie stets einen hohen Preis für ihre enge Beziehung zum Königshaus bezahlen musste, hat ihr Emma Campion ein schönes Leben gestaltet, ein Leben von dem die Autorin selbst annimmt, dass es Alice gefallen hätte. Teilweise bewirkt natürlich auch die Erzählperspektive den Eindruck der zu positiven Darstellung. Die Ich-Erzählerin beleuchtet ihre persönlichen Schwächen nahezu gar nicht und sie erzählt ihr Leben im Rückblick, also mit der menschlichen Eigenheit sich besser an Positives zu erinnern als an Negatives. Die von Emma Campion angenommenen Ereignisse um die Ehe Alice Perrers mit Janyn Perrers erscheinen mir etwas weit hergeholt, fügen sich aber sehr gut in die Erzählstruktur des Romans. Das Erzähltempo des Romans ist nicht immer schnell fortschreitend, die Ich-Erzählerin versinkt gelegentlich in Szenen oder Beschreibungen, die für den Leser im weiteren Handlungsverlauf nicht entscheidend sind, atmosphärisch sind sie aber allemal.
„Die Vertraute des Königs“ ist in vier Bücher gegliedert. Das erste Buch „Unschuld tritt ins Leben“ beginnt 1355 und beleuchtet Alice Perrers Jugend bis sie 1358 an den englischen Königshof kam. Die Ich-Erzählerin Alice stellt sich im Rückblick in dieser Phase ihres Lebens sehr reif für ihr Alter dar. Im zweiten Buch „In Diensten der Queen“ erzählt Alice ihre ersten Jahre am englischen Königshof, einschließlich ihrer beginnenden Leidenschaft für den König. Das dritte Buch „Mätresse des Königs“ beleuchtet Alice Beziehung zum König, ihr Wirken und ihren zunehmend wachsenden Einfluss am Königshof, aber auch die Schwierigkeit ihrer Position am Königshof bis zum Tod Edward III.. Das vierte und letzte Buch, „Ein Phönix“ betitelt, thematisiert Alice Fall nach dem Tod Edward III. und ihren Weg in die weitere Zukunft. Sämtlichen Kapiteln der Bücher sind hervorragend passende Zitate aus „Troilus und Criseyde“ von Alice Perrers Zeitgenossen Geoffrey Chaucer vorangestellt. Interessanterweise nutzt Emma Campion hier nicht die Erzählung „The Miller’s Tale“ aus Chaucers Canterbury Tales, in der Chaucer die Müllerin Alison angeblich nach Alice Perrers Vorbild gestaltet haben soll.
Die bei Heyne erschienene Taschenbuchausgabe des Romans „Die Vertraute des Königs“ von Emma Campion, im Original unter dem Titel „The Kings` Mistress“ veröffentlicht, enthält eine Karte mit Besitzungen von Alice und Residenzen der Königsfamilie, die jeweils im Roman Erwähnung finden, ein Personenverzeichnis der könglichen Familie und anderer historischen Figuren, eine Nachbemerkung der Autorin, in der sie auf ihre Quellen eingeht und zwischen Fakten und Fiktion differenziert, sowie Danksagungen der Autorin. In ihren Danksagungen wird klar, dass Emma Campion ein Pseudonym der Schriftstellerin Candace Robb ist, die bisher zwei Reihen historischer Kriminalromane verfasst hat, von denen einige auch in Deutschland veröffentlicht wurden. Soweit ich mich erinnere orientierte Candace Robb in der Owen-Archer-Reihe die Darstellung Alice Perrers gemäß ihres schlechten Rufs der historischen Quellen.
Einigen Lesern ist Alice Perrers eventuell als Nebenfigur in Rebecca Gablés Roman „Das Lächeln der Fortuna“ bekannt. Wer gerne englischsprachige Romane liest, kann Alice Perrers als Nebenfigur in Anya Setons „Katherine“ oder als Hauptfigur in Vanora Bennetts „The People’s Queen“ wiederbegegnen.
Die Frage und das Motiv, ob sie jemals die Wahl hatte eine andere zu sein, und ob sie ein Opfer der Umstände und ihrer Zeit geworden ist, beantwortet Emma Campion nicht abschließend, sondern lässt uns als Leser darüber nachdenken, welchen eigenen Anteil Alice Perrers an ihrer eigenen und der historischen Entwicklung hat.
Gerne bin ich dem interessanten Leben von Alice Perrers und ihrer Zeit gefolgt, da „die Vertraute des Königs“ nicht nur ein sehr gut recherchierter, flüssig zu lesender historischer Roman, sondern auch eine überzeugende Charakterstudie ist, der man auf jeder Seite die Faszination der Autorin am Leben ihrer Protagonistin anmerkt. Ich bin gespannt, ob Candace Robb weitere historische Romane unter ihrem Pseudonym Emma Campion schreiben und veröffentlichen wird.
8 von 10 Punkten