Rosa Riedl, Schutzgespenst - Christine Nöstlinger (ab ca. 11 J.)

  • Wenn eine so klardenkende Autorin von Kinder - und Jugendbücher wie Christine Nöstlinger über ein Gespenst schreibt, muß das einen besonderen Grund haben, dachte ich und nahm das Buch mit. Der Grund erschloß sich bereits im ersten Kapitel ‚n dem erklärt wird, warum die Geschichte doch nicht im Jahr 1944 ihren Anfang nimmt..
    Er ist das Thema. Das Buch handelt vom Leben kleiner Leute in Zeiten der Bedrängnis. Auf den ersten vier Seiten gelingt Nöstlinger eine der gelungensten Raffungen von vierzig Jahren Geschichte und der pointierten Darstellung unterschiedlicher Einstellungen von Menschen, die unter die Nationalsozialisten gefallen sind, die ich je gelesen habe. Mit dem Ende des Kapitels sind wir im Jahr 1978 angelangt, in dem Jahr, in dem die Geschichte dann tatsächlich spielt.


    Zuerst treffen wir Nasti - Anastasia - , elf Jahre alt und ein bißchen verwöhnt, weil sie ein Einzelkind ist. Nasti hat es gut, das weiß sie durchaus. Was sie leider auch weiß, ist, daß sie Angst hat. Vor der Dunkelheit, vor Hunden, vor dem Keller, vor dem Alleinsein. Die Angst ist unüberwindbar.Nasti ist auch ein Mensch in Bedrängnis. Nastis Freundin Tina hat keine Angst und deswegen ist Nasti tief im Herzen neidisch. Als sie durch eine Zufall entdeckt, daß Tina ein Amulett eines Schutzengels besitzt und sich deswegen vor nichts fürchtet, ist die Sache klar. Nasti braucht auch einen Schutzengel. Aber woher soll sie ihn nehmen? Sie ist ja nicht einmal getauft, wie ihr Tina nicht eben nett mitteilt. Nasti ist am Boden zerstört.


    Dann geschieht das Wunder. Sie trifft Rosa Riedl. Diese ist das Gespenst einer Frau, die früher (wir erinnern uns an das erste Kapitel) im Haus gegenüber gewohnt hat. Die Geschichte, wie sie zum Gespenst wurde, und was für ein Gespenst sie ist, ist ein Einfall sondergleichen. Rosas Ansichten vom Gespensterdasein sind bestechend logisch, politisch deutlich positioniert und höchst humorvoll präsentiert. Rosas Einstellung und das, was Nasti von ihr lernt, machen diesen Kinderroman zu einem sehr wichtigen Buch nicht nur über den Nationalsozialismus, sondern gleich über die Weiterführung all dessen, was man in puncto Zivilcourage und zivilisiertem Miteinander an Lehren aus den Zeiten einer Diktatur nur ziehen kann.


    Die Handlung lebt von der Spannung, die die Existenz eines Gespensts unter Menschen mit sich bringt. Nasti ist bald nicht mehr die einzige, die mit Rosa zu hat, und das hat durchaus Folgen. So mischt sich die Gespenstergeschichte und die von Nastis Ängsten rasch mit den Schwierigkeiten, die Kinder untereinander haben sowie mit Problemen in der Schule. Oft nur skizzenhaft angerissen, gelingt es Nöstlinger eine urlebendige Welt entstehen zu lassen, in der sich viele Beziehungsfäden kreuzen. Die unterschiedlichen Rollen, die Kinder im Alltag einnehmen, als Tochter, Freundin, Nachbarskind, Schülerin, während sie immer neue Erfahrungen machen, Gutes tun und Dummes, richtige Entscheidungen treffen und Unsinn anstellen, sind punktgenau erfaßt und beschrieben. Dabei regieren die Überraschung und das Unvermutete. Wie meist bei Nöstlinger, verändern sich nicht nur die kindlichen ProtagonistInnen, sondern auch die Erwachsenen. Nur Rosa bleibt sich treu, aber sie wußte schon im Leben, wo’s entlang geht. Ihre Schwierigkeiten hat sie aber trotzdem. Dinge ändern bringt nicht nur Freude, noch eine wichtige Lehre, die man aus diesem Buch ziehen kann.


    Die Geschichte lebt, wie üblich bei Nöstlinger, von der frischen, unverblümten Sprache österreichischer Art. Dialektausdrücke bzw. Austriazismen werden in einem Anhang erklärt. Natürlich werden Leserinnen und Leser zum Mitdenken aufgefordert. Was mich ein wenig gestört hat, waren die Kommentare in Klammern, die im Text stehen und Verhaltensweisen handelnder Personen deutlich machen sollen. Das hätte ich lieber in Szenen umgesetzt gesehen oder in einem Dialog. Es trübt das Vergnügen an diesem höchst unterhaltsamen, gescheiten und ziemlichen spannenden Buch aber nur wenig.
    Das Buch erschien erstmals 1979, in Deutschland 1982.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Was hab ich die Geschichte von der Rosa Riedl als Kind geliebt !!!!!!!!!!


    Danke, das ich hier daran erinnert wurde. Ich hab sie gleich mal aus dem Schrank gekramt und gönne mir das nochmal. Das Schutzgespenst mit den alten Plattfüssen ist wirklich liebenswert. Und wie Nasti durch die Freundschaft mit Rosa immer selbstbewusster wird ist wirklich eine schöne Wandlung.


    Und über den Vilsmaier-Anruf zigmal nachts wegen der Truhe kann ich mich auch heute noch weglachen.

    "We are ka-tet...We are one from many. We have shared our water as we have shared our lives and our quest. If one should fall, that one will not be lost, for we are one and will not forget, even in death."Roland Deschain of Gilead (DT-Saga/King)

  • Diese Rezension hat mich bewogen, mir das Buch zu beschaffen.
    Ich hatte viel Lesevergnügen (naja, bis auf die Stelle, bei der nach der Anzahl benötigter Maurer gefragt wird, die in 8 Stunden eine Mauer bauen sollen, welche von 9 Maurern in 14 Stunden erstellt werden konnte :wow :lache) und schließe mich daher den lobenden Worten an.
    9/10 EP
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)