Alles über Lulu, Evison, Jonathan, Orig.titel „All about Lulu“, Übersetz. Brigitte Jakobeit, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2011, ISBN 978-3-462-04333-4
Zum Autor (lt. Klappentext):
Jonathan Evison, 1968 in Kalifornien geboren, gelang mit „Alles über Lulu“ ein Riesenerfolg. Kritiker verglichen ihn mit J. D. Salinger, Charles Dickens und John Irving. Für das Buch erhielt der den Washington State Book Award.
Meine Meinung:
Bereits als ich las, dass Jonathan Evison mit John Irving, Charles Dickens und J. D. Salinger verglichen wird, war meine Neugier für seinen Roman „Alles über Lulu“ geweckt, obwohl ich gleichzeitig sehr misstrauisch war, haben mich in der Vergangenheit doch solche Lobpreisungen oft sehr enttäuscht. Aber schon die ersten beiden Sätze des Romans zogen mich magisch an.
„Zuerst erzähle ich euch den ganzen David-Copperfield-Mist, und ich denke nicht daran, mich dafür zu entschuldigen, nicht für einen Absatz. Und wenn es euch nicht interessiert, wie ich die Zukunft sah oder wie ich erkennen musste, dass die größte Wahrheit in meinem Leben eine Lüge war, oder wie meine Abscheu vor Hotdogs mir einen 84er RX-7 und ein neues Selbstbewusstsein bescherte, dann tut euch den Gefallen und hört jetzt einfach auf.“
So beginnt William Miller jr. seine Erzählung über sich, Lulu und seine Familie und deren Geheimnisse. Der kurzsichtige Will wird im Alter von sieben Jahren Vegetarier, obwohl sein Vater, genannt Big Bill, leidenschaftlicher Bodybuilder, und seine Brüder Doug und Ross Berge von Fleisch vernichten. Im selben Jahr stirbt Wills Mutter. Während sein Vater und seine Brüder versuchen ihre Trauer durch weiteren Muskelaufbau zu kompensieren, hört Will einfach auf zu wachsen. Erst als zwei Jahre später Lulu mit ihrer Mutter bei Big Bill und seiner Familie einzieht, beginnt Will aus seiner Trauer zu erwachen. Von Beginn an verspürt er eine tiefe Verbundenheit mit Lulu, mit der er viele Interessen gemeinsam hat, und schnell werden die beiden unzertrennlich. Die Grenzen zwischen Verbundenheit, Freundschaft, Verliebtheit und Liebe verschwimmen. Als Lulu nach den Sommerferien in einem Cheerleading-Camp nach Hause kommt, ist auf einmal alles anders. Sie ist vollkommen verändert und will nichts mehr von Will wissen, der ihr aber keine Ruhe läßt. Erst nach Jahren erfährt er, welche Geheimnisse Lulu und seine Familie umgeben...
Viele Elemente des Romans „Alles über Lulu“ haben mich an John Irvings Romane erinnert, beginnend mit der Bodybuilding-Leidenschaft der Miller-Männer, die der Leidenschaft für das Ringen der Protagonisten einiger Irving-Romane sehr ähnelt. Auch die Verbindung von Will und Lulu erinnerte mich an einige Szenen in John Irvings Roman „Hotel New Hampshire“, ganz zu schweigen vom Sprachstil Jonathan Evisons. Dennoch hatte ich niemals das Gefühl, dass Jonathan Evison kopiert, mir schien es eher, als wolle er Autoren, die er vielleicht selbst sehr schätzt, seine Reminiszenz erweisen.
Jonathan Evison nimmt seine Leser auf eine Achterbahn der Gefühle mit. Manche Szenen sind hinreißend komisch, andere zutiefst traurig oder sogar dramatisch, häufig sind sie sehr berührend, aber immer lässt er den Leser ganz nah bei seinen Protagonisten sein, auch wenn diese sich nicht so verhalten, wie das der Leser für richtig empfindet oder sich wünschen würde. So ist die Lektüre des Romans „Alles über Lulu“ sicher nicht immer eine Lesevergnügen, aber auf jeden Fall sehr fesselnd.
Mein Leseeindruck wurde lediglich ein bisschen getrübt, weil mir sehr schnell klar war, worin das Familiengeheimnis wohl bestünde, und ich mir ausmalen konnte, welche Dramatik die Geschichte noch bekommen würde. Das geht aber vielleicht nicht jedem so.
„Alles über Lulu“ ist der erste von Jonathan Evison in deutscher Sprache erschienene Roman, den Kritiker meines Erachtens zurecht mit Autoren wie John Irving, Charles Dickens und J. D. Salinger vergleichen. Die Aussage des Klappentexts „wer John Irvings „Hotel New Hampshire“ liebt, wird diesem Roman nicht wiederstehen können“ kann ich nur bestätigen. Ich werde sicher nach weiteren Büchern von Jonathan Evison Ausschau halten.
8 von 10 Punkten