Engel und Einsame - Ramon Diaz Eterovic

  • OT: Angeles y solitarios
    4. Band der Heredia-Reihe (1. ins Deutsche übersetzte Band)


    Kurzbeschreibung:
    Privatdetektiv Heredia findet seine frühere Geliebte tot in einem Hotelzimmer. Ihre Nachforschungen zu geheimer Waffenproduktion in Chile haben sie das Leben gekostet. Ein Fall für Heredia, für den er keinen Auftraggeber braucht. Alsbald wird er mit der Macht hinter der Macht konfrontiert - korrupten Polizisten, Waffenhändlern, eine bestechliche Justiz. Ein Glück nur, dass Heredia kein einsamer Rächer ist...


    Über den Autor:
    Ramón Díaz Eterovic wurde 1956 in Punta Arenas (Chile) geboren. Mit seiner Krimi-Reihe um Detektiv Heredia wurde er über die Grenzen Chiles hinaus bekannt und erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen. Von 1991-1993 war er Präsident des chilenischen Schriftstellerverbandes. Eterovic lebt heute in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile.


    Meine Rezension:
    Leider wurden nur zwei der insgesamt zehn Romane um den chilenischen Privatdetektiv Heredia ins Deutsche übersetzt. Leider deshalb, weil Eterovic nicht nur einen bemerkenswerten Protagonisten erschaffen hat, sondern auch auf besondere Weise das Flair Chiles in der Ära nach der Militärdiktatur Pinochets zum Leben erweckt. Heredia, der mit seinem Kater Simenon Zwiegespräche führt und dem Alkohol zugetan ist, kann in seinen Ermittlungen auf seine liebenswert und teilweise skurrilen Freunde wie den Kioskbesitzer Anselmo zurückgreifen und hat so auch in schwierigen Zeiten und bei gefährlichen Aufträgen einen starken Rückhalt. Den braucht er auch, denn in diesem Fall legt er sich mit Waffenhändlern an, die überhaupt keinen Spaß verstehen. Und so spiegelt der Fall nicht zuletzt auch die Melancholie und die Gefahren eines Landes wieder, in dem Korruption zum Alltag gehört und manche Positionen noch immer mit den gleichen Menschen besetzt sind wie in der untergegangenen Diktatur. Diese Atmosphäre und Eterovics Figuren haben mich mehr noch als der eher durchschnittliche Kriminalfall von Eterovics literarischem Können überzeugt. Und deshalb ist es schade, dass es keinen Verlag mehr gibt, der seine Geschichten ins Deutsche übersetzt.

  • Liebe Milla, Du sprichst mir aus der Seele!


    Ich lese das Buch gerade selber (noch 45 Seiten bis Ende) und bin restlos begeistert. So begeistert, daß ich nach Abschluss eine - sicherlich positive - Buchrezension verfassen werde, die ich dann gerne hier einstellen werde. Mich hat das Buch so dermassen gepackt, daß ich sogar den Diogenes Verlag angeschrieben habe und darum gebeten habe, diesen Autor auch weiterhin dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.
    Ein tolles Buch mit einem unvergesslichen Protagonisten und einer sehr intensiven Atmosphäre!
    Die ausführliche Rezi folgt in Kürze :wave


    Frank

  • Hier nun meine persönliche Rezension:


    Ramon Diaz Eterovic – Engel und Einsame


    Heredia ist eine Existenz, der es irgendwie an allem ein bisschen fehlt. Das Geld für seine Mietwohnung verdient er sich als Privatdetektiv, über einen Mangel an Pausen muss er sich jedoch nicht beklagen. Neue Aufträge sind aufgrund der spärlichen Einkünfte eher notgedrungen willkommen, so sie denn überhaupt mal eintrudeln. So überschaubar wie sein Arbeitspensum ist auch sein Privatleben. Eine Frau ist weder vorhanden noch in Sicht, nur der Kater Simenon leistet ihm Gesellschaft und die beiden haben so manche Diskussion miteinander auszufechten. Ob das Tier in der Tradition der magischen Realität wirklich des gesprochenen Wortes mächtig ist, lassen wir mal dahingestellt. Genausogut kann der Kater als ein Symbol für die Einsamkeit des Stadtmenschen stehen, welche unser Held durch Selbstgespräche zu kompensieren versucht, die er – aus Mangel an sonstigen Lebewesen – auf seinen Stubentiger projiziert.


    Heredia lebt in der Altstadt von Santiago de Chile, dort kennt er jedes Gässchen, alle Orte, die man am besten niemals betritt und vor allem sämtliche Kneipen, Billardcafes sowie diverse Etablissements von zweifelhaftem Ruf. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf Kommissar Solis, mit dem er schon so manche Nacht zum Tag gemacht hat, immer in trauter Dreisamkeit mit dem einen oder anderen Glas Bier oder seinem geliebten Wodka. Dann gibt es da noch seinen blinden Nachbarn Stevens, dem man sogar Kontakte mit dem Geheimdienst nachsagt und der ganz offensichtlich so einige Geheimnisse mit sich herumträgt. Der Kioskbesitzer Anselmo fungiert für Heredia als eine Art Aussenposten, denn in Santiago ist es gut – und manchmal geradezu lebensnotwendig – seine Augen und Ohren auch ausserhalb der eigenen vier Wände aufzusperren.


    Als seine ehemalige Geliebte Fernanda, eine Journalistin, die gerade geheimen Waffenproduktionen auf der Spur war, in ihrem Hotelzimmer tot aufgefunden wird, ist für Heredia klar, das dies keine natürlicher Todesfall ist und seine Natur lässt ihm keine andere Wahl, als den Fall aufzuklären. Unerwartete Unterstützung bekommt er von der blutjungen Griseta, die sich nicht nur in ihn verliebt, sondern es sich auch noch in den Kopf gesetzt hat, ihn aus seiner selbstgewählten Isolation zu holen.


    Santiago de Chile ist ein – für Europäer – wohl eher ungewohnter, aber vielleicht gerade deshalb sehr reizvoller Handlungsort. Eterovic gelingt es hervorragend, eine Brücke zu schlagen zwischen der Existenz seines melancholischen Protagonisten und seiner nicht minder melancholischen Stadt, in der jede verschmutzte, von Armut geprägte Gasse und jeder im Dunklen vor sich hinstarrende Clochard das menschliche Dasein einem kritischen Blick unterzieht: „Engel und Einsame“ atmet den Geist des Tango, des Bolero, selbst protugiesische Fados vermeint das Innere Ohr zu vernehmen, wenn man gebannt mit Heredia durch die nächtliche Altstadt stromert.


    Leider wurden von Ramon Diaz Eterovic nur zwei Romane ins Deutsche übersetzt. Bleibt zu hoffen, daß da irgendwann nochmal ein Umdenken stattfindet und sich jemand der übrigen Bände annimmt, denn diese Milieustudie ist von hoher Qualität und Eterovic vermag es spielend, den Leser in eine ihm unbekannte Welt zu entführen.