Radikal - Yassin Musharbash

  • Yassin Musharbash: Radikal



    Klappentext:
    Ein Bundestagsabgeordneter im Visier von Fanatikern.
    Ein Terrorexperte, der im Untergrund recherchiert.
    Eine zu allem entschlossene palästeninsische Studentin.
    Ein Staatssekretär, der in mysteriösen Polit-Salons verkehrt.
    Und eine Bombe, mitten in Berlin.



    Lutfi Latif ist die deutsche Antwort auf Barack Obama: Ein charismatischer Intellektueller mit ägyptischen Wurzeln, einer ebenso klugen wie hübschen Frau und dem Potenzial, die deutsche Islamdebatte komplett aufzurollen. Aber kaum in den Bundestag gewählt, gerät der Vorzeigemuslim ins Fadenkreuz von Radikalen. Mitten im Berliner Regierungsviertel kommt es zu einem Anschlag auf Latif. Al-Qaida bekennt sich zu der Bluttat, die deutsche Politik gerät in Aufruhr, die Stimmung im Land verschärft sich: Die Schergen des Terror-Netzwerks haben in Deutschland zugeschlagen, mit Ansage.
    Doch Latifs Assistentin Sumaya al-Shami und der Terrorexperte Samuel Sonntag haben Zweifel. Sie ermitteln auf eigene Faust - und stellen bald fest, dass der Kreis der Verdächtigen größer ist. Ihre Ermittlungen führen sie in die Abgründe des Extremismus, in Kreuzberger Internetcafés und Zehlendorfer Villen, in Sozialwohnungen im Wedding und an Potsdamer Seegrundstücke. Vor allem aber bringen ihre Nachforschungen sie in Gefahr, denn für die Suche nach der Wahrheit müssen sie weit gehen, vielleicht zu weit. Und was ist das überhaupt: die Wahrheit?



    Beurteilung:
    Gleich vorweg: mit dem Namen "Lutfi Latif" hatte ich das ganze Buch hindurch Schwierigkeiten, ich fand ihn einfach nicht eingängig, wahrscheinlich aufgrund der Ähnlichkeit von Vor- und Zunamen. "Hans Hansen" oder "Peter Petersen" fallen zwar in dasselbe Schema und klingen auch recht unglücklich, sind aber eingängiger. :grin


    Es ist eine abenteuerliche Geschichte, in die Samuel Sonntag da verwickelt wird: seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Islam, genauer gesagt mit islamischem Extremismus und nimmt begeistert an, als ihm eine Stellung als Sicherheitsberater des neuen Bundestagsabgeordneten Lutfi Latif angeboten wird, der Drohbriefe bekam. Nach einem Anschlag auf Latif jedoch überschlagen sich die Ereignisse und Samuel Sonntag steckt bald zwischen allen Fronten: da sind Al-Quaida auf der einen und Islamhasser auf der anderen Seite und beide scheinen es auf ihn abgesehen zu haben - oder doch nicht?


    Der Autor hat viel in dieser Story verpackt: aktuelle Politik und Tagesgeschehen, viele Informationen über den Islam und islamische Extremisten, gesellschaftliche Kritik und eine zarte Liebesgeschichte. Das klingt nach sehr viel und doch gelingt dieser Balanceakt überraschend gut. Die Protagonisten sind gut geschildert, wenn auch leider an manchen Stellen zu überzogen, wie etwa der BKA-Mann Dengelow oder der Staatssekretär von Sinn. Was Samuel Sonntag angeht, kann ich mich nicht entscheiden: ist er einfach viel zu naiv oder hält er sich wirklich für James Bond? Die Verbindung zu den Anschlägen vom 11.September 2001 ist sehr gelungen und insgesamt ist es ein überzeugender Thriller, der viel Gesellschafts- und Politikkritik beinhaltet und dabei keinesweg trocken, sondern durchgängig spannend ist.
    Leider kam die Auflösung zu überstürzt - sollte dem Autor etwa doch die Luft ausgegangen sein? Einige Fäden wurden dabei nicht aufgelöst, was ich schade fand.


    Fazit: "Radikal" ist ein sehr lesenswertes Buch, spannend und trotz einigen Kritikpunkten nachdenklich machend.




    Kategorie: Thriller / Politik / Gesellschaft / Islam
    Taschenbuch
    Kiepenheuer & Witsch
    399 Seiten
    ISBN 3462043382 bzw. 9783462043389

    liebe Grüße
    Nell


    Ich bin zu alt um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein (Goethe)

  • Ich hatte mich auf dieses Buch unheimlich gefreut, als es dann bei mir im Briefkasten lag und ich die Empfehlung von John Le Carre auf dem Buchdeckel fand wurde diese Freude abrupt gebremst. Ich habe so meine Probleme mit Carres Büchern, sie langweilen mich, sind mir zu sperrig und konnten mich noch nie begeistern, nach vielen Versuchen habe ich nicht ein einziges beendet.
    Also habe ich das Lesen ein wenig vor mir hergeschoben und bin erst jetzt dazu gekommen und habe es heute beendet, mit dem Fazit grandios.
    Ganz großes Kino ist dieses Buch, dieser "Thriller" der so viel mehr als das ist. Der Kritik übt, genau beobachtet, durchleuchtet, Emotionen verständlich macht und den Wirrwarr aufzeigt, aus dem "Terrorbekämpfung" und "Terrorangst" in Deutschland und der ganzen Welt besteht.
    Fasziniert wurde ich in diese verwickelte Geschichte hineingesaugt, bei der es um so viel mehr als nur gute und intelligente Unterhaltung geht, die so viel mehr ausdrückt, als viele der zur Thematik erschienen Sachbücher können. Vorallem was Polizei und Ermittlungsarbeit angeht, wurde hier offenbar unheimlich gute Recherchearbeit geleistet, da paßte jedes Wort. Die Fachbegriffe wurden schlüssig verwandt und nicht eine kleine Aktion lockte mir, die ich ja zumindest ein wenig vom Fach und daher bei Krimis und Thrillern immer sehr kritisch bin, ein Runzeln auf die Stirn. Selten war ich nach der Lektüre eines Buches so davon überzeugt, daß hier jemand mit wirklicher Ahnung der Materie schreibt und es diesem dann auch noch gelang, spannend und nicht langatmig zu berichten.
    Sicherlich eignet sich Musharbashs Buch nicht zur lockeren Strandlektüre, es stellt Anforderungen an seinen Leser, es fordert zum Nachdenken und Mitdenken und Umdenken auf. Es drückt die richtigen Knöpfe um Überlegungen auszulösen, die man vorher vielleicht im Unterbewußten hatte, die man aber nicht greifen oder erhaschen konnte.
    Wirklich tief beeindruckt von Stil und Story habe ich eben die Buchdeckel zusammen geklappt und hoffe, daß wir von diesem geschickten Autoren noch eine Menge mehr zu lesen bekommen.
    Allerdings würde ich mir dann zwei Dinge wünschen, zum einen daß er bei seiner Namenswahl für die Protagonisten ein wenig geschickter vorgeht. Lutfi Latif hat mich leider das ganze Buch hindurch nicht wirklich als Name für einen seriösen Politiker überzeugen können und zum anderen, würde ich mir wünschen, daß diese unsagbar nervige Angewohnheit der Verlage ein Klappbroschur-Taschenbuch als "gebundenes Buch" zu bewerben und entsprechend teuer anzubieten, sich bald wieder in Wohlgefallen auflöst.

  • Aufgrund der beiden Rezis habe ich das Buch mal auf meine Wunschliste gepackt und hoffe sehr, dass es nicht so lange auf der Liste bleibt sondern möglichst schnell in meinen Besitz gelangt.


    Herzlichen Dank in jedem Falle an die beiden Rezensenten für diese sehr interessante Buchvorstellung. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Voltaire
    Genau dich hatte ich mal wieder im Hinterkopf.
    Wie gesagt, das Buch ist wirklich beeindruckend. Pointiert, passend und wirklich was Ermittlungsarbeit angeht herausragend gut recherchiert. Chapeau! :anbet

  • Zum Buch:
    Eine kurze Inhaltsangabe zu schreiben, fällt mir bei diesem Buch wirklich schwer. Zu vielschichtig und ineinander verwoben ist das Geschehen. Es fängt an mit der jungen Berliner Studentin Sumaya al-Shami, die sich als Mitarbeiterin bei dem neugewählten Mitglied des Bundestags Lutfi Latif bewirbt. Latif ist in aufgrund seiner politischen Haltung vielen ein Dorn im Auge, sowohl den radikalen Islamisten als Islamgegnern. Er erhält Todesdrohungen, nimmt diese jedoch nicht allzu ernst. Immerhin beauftragt er Sumaya, einen Spezialisten zu suchen, der die Drohbriefe näher analysieren soll. Sumaya recherchiert und stößt auf Samuel Sonntag, genannt Samson, der sich seit Jahren mit der islamistischen Szene beschäftigt, allerdings hauptsächlich online. Doch sind islamistische Terroristen wirklich die einzige Gefahr, die Latif droht? Durch Zufall erfährt Samson von einer Gruppierung von Islamgegnern, die sich in gesellschaftlichen Salons organisiert. Dienen deren geheime konspirative Treffen nur dem Argumentieren und Philosophieren, oder planen sie mehr? Und welche Rolle spielen die Medien, die Behörden, die Politiker, die Polizei?


    Meine Meinung:
    Anfangs tat ich mich etwas schwer mit dem Buch. Viele Namen und Handlungsstränge und eine kompliziert wirkende Geschichte. Doch nach und nach begann mich die Handlung zu fesseln. Auch wenn es ein Roman und damit Fiktion ist, ist es doch durchaus vorstellbar, dass so etwas in unserer heutigen Gesellschaft passiert. Laut Klappentext ist der Autor Redakteur bei Spiegel Online und befasst sich mit Terrorismus und den Umwälzungen in der arabischen Welt. Er dürfte sich somit mit der im Buch beschriebenen Thematik auskennen und das macht es gleich noch etwas bedrohlicher, sich diese Dinge vorzustellen.


    Die Argumente der verschiedenen Parteien werden sehr gut dargestellt. Es wird gezeigt, was für ein unübersichtliches Geflecht diese Welt des Terrorismus und der Bekämpfung desselben ist. Jeder spielt jeden gegeneinander aus, keiner spielt seine Karten offen aus, denn das würde einen strategischen Nachteil bedeuten. Doch allzu leicht kann man sich hier auch verkalkulieren und den Falschen verdächtigen oder die richtige Fährte völlig übersehen. Und es wird auch klar gezeigt, welche Konsequenzen manche Handlungen haben, wie manche Muslime erst durch den öffentlichen Generalverdacht radikalisiert werden oder dagegen ankämpfen müssen. Eine unheimliche Vorstellung. Auch die Macht der Medien wird gut dargestellt, allerdings ebenso deren Skrupellosigkeit.


    Ein fesselndes Buch, allerdings nichts für jemanden, der einen Spionage-Thriller à la Tom Clancy erwartet, hier wird weniger gekämpft und geballert, als vielmehr mögliche Hintergründe aufgezeigt. Eine gewisse Bereitschaft, sich mit derartigen Gedanken auseinanderzusetzen, sollte man für das Buch schon mitbringen.

  • Broschiert: 397 Seiten
    Verlag: Kiepenheuer & Witsch; Auflage: 1., Auflage (18. August 2011)
    ISBN: 978-3462043389
    Preis Euro 14,99 | CHF 21,90


    Autor


    Yassin Musharbash, geboren 1975, hat deutsche und jordanische Vorfahren. Während des Studiums der Arabistik und Politologie begann er als Journalist zu arbeiten, u.a. für die taz, Jordan Times und die Neue Osnabrücker Zeitung. Heute ist er Redakteur bei SPIEGEL ONLINE, wo er sich vor allem mit Terrorismus, aber auch mit den aktuellen Umwälzungen in der arabischen Welt befasst. 2006 erschien sein Buch "Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks"


    Meine Meinung zum Buch


    Sumayas neues Leben fühlt sich unwirklich an, sie ist die neue Assistentin des frischgebackenen Bundestagsabgeordneten Lutfi Latif. Eine Woche, zwei Wochen, die Zeit vergeht wie im Flug, die Arbeit ist anstrengend aber sie gefällt Sumaya, nicht zuletzt weil sie gut darin ist dem Shootingstar der Deutschen Politik im Hintergrund tüchtig unter die Arme zu greifen. Lutfi Latif, der deutsche Barack Obama, das einzige Mitglied des Bundestags mit Islamischen Glauben und ein brillanter Rhetoriker, charismatisch und mit einem gewinnenden Auftreten. Leider gibt es auch die Schattenseiten des Erfolgs, Latif wird täglich mit anonymen Drohungen konfrontiert die aus dem ganzen Spektrum der Gesellschaft kommen, von fundamentalen Islamisten denen er zu wenig radikal und somit ein Verräter des Glaubens ist und der nationalsozialistischen Rechten Szene für die er als Moslem zum Hassobjekt wird. Den Drohungen sollte dann auch ein Bombenattentat folgen...


    Die rechtsradikale Szene wird in diesem Thriller genauso unter die Lupe genommen wie die der fundamentalen Islamisten. Rechts ist es nicht direkt diejenige der Skinheads sondern einer Untergrundszene die sich langsam etabliert und der durchaus gutsituierte Mitglieder aus Politik, Wirtschaft und der besseren Gesellschaft angehören. Die Treffen finden in geheimen Salons statt und die Mitglieder sprechen sich mit anonymen Tarnnamen an. Was dort besprochen wird ist genauso radikal wie die verqueren Ansichten der radikalen Islamisten. Wer ist denn nun für das Bombenattentat verantwortlich?


    Dem Autoren Yassin Musharbash ist ein aussergewöhnlich intelligenter und guter Thriller gelungen! Er unterscheidet sich wohltuend von anderen Romanen dieses Genres. Er nimmt ganz bewusst Tempo aus der Erzählung und verzichtet darauf den Leser mit x-fachen falschen Fährten in die irre zu führen. In den ungewöhnlich langen Kapiteln erfahren wir dafür mehr über die Personen, den Glauben, die alltäglichen kleinen Dinge die das Leben von Andersgläubigen in Deutschland so speziell machen. Die innere Zerrissenheit von Moslems die in Deutschland aufgewachsen sind. Menschen die Halbehalbe sind (Begriff den der Autor im Buch verwendet) und keine genaue Antwort wissen wer sie nun genau sind und wo sie sich zugehörig fühlen sollen oder dürfen.


    Der Erzählstil von Musharbash ist sehr ruhig, betont sachlich und er erzeugt die Spannung eher unterschwellig. Man merkt, dass der Autor ein klares Konzept hat, gebildet ist und weiss von was schreibt. Er packt viel Wissen über Arabistik und Politologie mit in dieses Buch und durch seinen Beruf als Redakteur beim Spiegel ist er ein gewandter Schreiberling. Er ist vertraut mit Journalismus und den Vorgängen bei einer Zeitung/Zeitschrift und ich hatte das Gefühl die ein oder andere humoristische Einlage und Seitenhiebe oder Sticheleien in diesem Bereich zu erkennen. Und das allerwichtigste zum Schluss: Er wertet nicht! Es ist nicht am Autoren ein Resümee zu ziehen sondern der Leser soll sich selbst eine Meinung bilden. Das spezielle Ende hilft ihm bei diesem Vorhaben.


    Für mich ein durch und durch glaubwürdiger und brisanter Krimi/Thriller dessen Thema brandaktuell ist und den man in diesem Spätsommer / Herbst unbedingt Lesen sollte. Ich kann nicht anderes als eine dicke Leseempfehlung auszusprechen. 10 Punkte von mir.

  • Hallo Alle,


    das erste Drittel Buch fand ich.........sehr zäh. Ich musste mich schon ein wenig "zwingen", mich da durch zu kämpfen. Alle beteiligten Personen wurden "vorgestellt", man wusste aber noch nicht, wie das alles zusammenhängt, das machte es für mich doch recht schwierig.


    Als sich mein "Nebel" aber in der Mitte des Buches auflöste und die Beziehungen der Menschen klarer wurden (oder mir vertrauter ?), da fand ich es plötzlich sehr spannend und wollte dringend weiterlesen.


    Einzig über den Namen "Lufti Latif" fand ich "stolpernd", zumindest "Lufti" klang irgendwie nicht wirklich "seriös", ist aber mein Gefühl ;-) .....


    Ich fragte mich dutzende Male beim Lesen über "Islam/Identität/Politik" etc.:
    IST das WIRKLICH so ? Oder kann ich vieles nicht nachvollziehen, weil es mich gar nicht betrifft ? An welchen Stellen kann ich mir vorstellen: ja, so könnte es tatsächlich sein ? Dieses Buch hat auf jeden Fall viele Gedanken angeregt, das gefällt mir gut.


    Grüsse
    Andrea

  • Dies ist für mich ein Buch, nein, ein Lese-Erlebnis gewesen, dass sämtliche Schubladen und Kategorien sprengte, in die ich es gerne gesteckt hätte. Es hat in meinem „Oberstübchen“ gründlich für Unruhe gesorgt – etliche Fenster wurden zum Lüften aufgerissen, und Vorstellungs-Gerümpel kam zum Vorschein, dass ich schon längst vergessen hatte. Ich bleibe ein wenig baff, aber dennoch bereichert zurück; und ich schließe auch nicht aus, dass ich dieses Buch, zwecks tieferen Verständnisses, irgendwann ein zweites Mal lesen werde.


    Woran liegt das? Zum Teil schon daran, dass das Buch formal unglaublich „eigen“ ist, und zwar im positiven Sinne. Bis zur Hälfte hätte ich es gar nicht als „Thriller“ bezeichnet, sondern eher als gesellschaftspolitischen Roman. Das moderne Berlin mitsamt all seinen Bevölkerungsschichten, Vierteln und eben auch Problemen wird unglaublich plastisch zum Leben erweckt, was eine mehr als nur hübsche Kulisse für die Handlung abgibt. Die startet ab der Mitte dann so richtig durch: hier geschieht das im Klappentext angekündigte Attentat auf einen muslimischen Abgeordneten der „Grünen“. Etliche Personen, die mit dem Opfer zu tun hatten, werden durch dieses schockierende Ereignis aus ihrem emotionalen Winterschlaf gerissen, und machen sich daran, der Sache nachzugehen.


    Doch auch im zweiten Teil des Buches, den ich dann wirklich als „Thriller“ bezeichnen würde, wird die epische und romanhafte Qualität der ersten Hälfte beibehalten. Keine einzige Figur wird aus den Augen verloren, jeder spielt irgendeine Rolle in diesem undurchsichtigen Spiel. Sei es der muslimische Betreiber eines Internet-Cafés, sei es ein missratener Jugendlicher, sei es ein Personenschützer, seien es die Journalisten, die Büro-Angestellten des Opfers, WG-Mitglieder… Es tauchen unglaublich viele Personen auf, doch der Autor behandelt sie sorgfältig, und gestaltet das Buch so, dass man es auch als reinen Roman noch mit Genuss lesen könnte.


    Als besonderer Pluspunkt muss unbedingt die authentische Atmosphäre sämtlicher geschilderter Milieus angeführt werden. Der Autor muss Jahre für dieses Buch recherchiert haben – anders ist mir nicht erklärlich, wie er sowohl die Vorgänge in einer Zeitungsredaktion, einem Abgeordnetenbüro, einer Polizeibehörde und in der muslimischen Gemeinde derart lebensnah und überzeugend schildern konnte.


    Was mich jedoch vollends überzeugt und begeistert hat, ist die Tatsache, dass es zwar eine Aufklärung gibt – aber keine Beweise, keine überführten Verbrecher, keine Schubladen, kein Gut und kein Böse, kein Schwarz und kein Weiß. Als Leser hat man es wirklich schwer, auf wessen Seite man sich schlagen soll. Ich persönlich habe mir neu überlegen müssen, was für mich eigentlich „radikal“ bedeutet. Kann man das überhaupt so sagen? Nach der Lektüre dieses Buches bin ich eher geneigt zu sagen, dass Radikalität auch ein Phänomen ist, das „gemacht“ und herbeigeredet wird. Manche Leute brauchen scheinbar einfach Feindbilder, in die sie ihre überschüssigen emotionalen Energien investieren können. Wohlgemerkt, ich will Anschläge und Terroristen nicht entschuldigen. Aber der Autor zeigt uns hier ganz deutlich, dass Terrorismus sehr wohl auch eine emotionale Haltung sein kann – die im Westen den Minderheiten gegenüber nur allzu oft vertreten wird.


    Es gibt noch so vieles, das ich an diesem Buch faszinierend fand. Die emotionale Balance zum Beispiel. Es gibt durchaus ein Augenmerk auf Mann-/Frau-Beziehungen, und den deutlichen Ansatz zu einer Liebesgeschichte. Es gibt Kritik am Zeitungswesen, an der alltäglichen Medienschlacht. Es gibt einen hohen Anteil von Dialogen, die sich vom sprachlichen Niveau her angenehm zwischen Alltags- und Literatursprache bewegen. Es gibt liebevolle und detailreiche Schilderungen von Umgebungen. Es gibt eine kunstvolle Verschränkung von Handlungssträngen und –elementen. Und es gibt trickreich über das Buch verstreute falsche Hinweise, die oft beim Leser für Verblüffung sorgen –wenn sie nämlich widerlegt werden.


    Ich habe wirklich nur einen einzigen, winzigen Kritikpunkt. Der Autor verwendet öfters englische (!) Redewendungen oder andere sprachliche Formeln, die es so im Deutschen nicht gibt. Nur ein Beispiel möchte ich hier aufzählen. In der englischen Sprache bedeutet „dyed in the wool“, eine durchaus geläufige Formulierung, so etwas wie „durch und durch, eingefleischt“ – oder auch „radikal“… Es hat mich sehr verwundert, hier die wörtliche deutsche Übertragung lesen zu müssen. Ich kenne keinen „in der Wolle gefärbten“ Dschihadisten! Meiner Meinung nach hätte es heißen müssen „ein hartgesottener oder eingefleischter Dschihadist“.


    Mein Resümee kann insgesamt aber nur mehr als positiv ausfallen! Ich wüsste in der Tat kaum einen Leser, dem ich dieses Buch nicht empfehlen würde. Vor allem auch jüngeren Menschen wird hier Politik auf eine begreifbare Weise nahe gebracht. Jeglichem politischen Schubladendenken wird hier eine klare Absage erteilt. Und das ist etwas, das Deutschland im Moment mehr als brauchen kann.

  • Ich kann mich meinen begeisterten Vorrednern nur anschließen (aber auch in dem Punkt, dass L. L. (ich kann ihn mir nicht mal merken) ein unklug gewählter Name ist).


    „Radikal“ schafft einen Spagat zwischen verschiedensten aktuellen politischen und zeitgeschichtlichen Themen, einen Spagat zwischen unterschiedlichsten Kultur- und Gesellschaftsebenen, einen Spagat zwischen diesen verschiedensten Informationen und einer spannenden Rahmenhandlung und noch dazu den Spagat, dies alles zu erzählen, ohne das innerste Gefühlsleben seiner Protagonisten zu vergessen. Respekt!


    Geschildert werden verschiedenste Ansichten und Gedankengänge anhand der Protagonisten Sumaya und Samuel und ihres Umfeldes. Und obwohl die Geschichte so vielseitig ist, ist es dem Autor gelungen, seinen Figuren Leben einzuhauchen und sie durch ihre detailgetreue Schilderung greifbar zu machen. Es sind keine herausragenden Helden, die hier die Hauptrolle spielen, sondern ganz normale Menschen, die mit ihren individuellen Schwierigkeiten gut herausgearbeitet wurden. Und doch schaffen sie es, über sich hinauszuwachsen, auch wenn sie am Ende – wie im richtigen Leben – mit Kompromissen leben lernen müssen. Besonders berührt hat mich dabei Sumayas Innenleben, ihre Zerrissenheit zwischen zwei Leben, die sie als großes Geschenk, aber auch als große Belastung empfindet.


    „Radikal“ erzählt aber auch, wie stark manchmal Kleinigkeiten Einfluss auf uns, unser Leben und unsere Empfindungen haben können, egal ob wir dies wollen oder nicht. Radikal sind in diesem Buch viele Personen und Gruppen und es zeigt auch, wie nahe wir alle sind, die Grenze zur Radikalität zu überschreiten.


    Es ist kein einfach zu lesendes Buch. Zahlreiche politische und gesellschaftliche Details erfordern Aufmerksamkeit und Konzentration. Doch dafür bekam ich ein solides Buch, das Probleme nicht von einer, auch nicht von zweien, sondern von sehr vielen Seiten betrachtet und beschreibt. Obwohl es sich um komplexe Themen handelt, schafft es der Autor, seine Informationen gut verständlich zu vermitteln. Darüber hinaus erzählt er in seiner Rahmenhandlung eine spannende und glaubwürdige Geschichte, die ich nur an einem Punkt etwas zu „zufällig“ fand. Es ist ein Buch der eher leisen Töne, als sehr angenehm empfand ich den vollkommenen Verzicht auf bluttriefende Effekthascherei und unglaubwürdige Actionszenen.


    Auf alle Fälle hat das Buch meinen – in dieser Hinsicht sehr beschränkten - Horizont beträchtlich erweitert. Dazu beigetragen haben die vielen Personen, die im Buch ihre Rolle spielten und mir verschiedenste Lebensanschauungen überzeugend vermittelt haben. Ich wurde auf vieles aufmerksam gemacht, was mir vorher gar nicht aufgefallen ist und bekam viele Gedankenanregungen.

    Fazit: Ein Buch, das nicht nur unterhält, sondern auch verschiedenste Gedanken zur aktuellen Politik mit einbringt. Empfehlenswert!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

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  • Inhalt: Lutfi Latif, ein charismatischer Interlektueller mit ägyptischen Wurzeln hat das Potential die Islamdebatten ein für alle Mal aufzurollen. Er wird schon als deutscher Barack Obama gesehen als er in den Bundestag gewählt wird. Sein Hauptziel ist ein besseres Verständnis zwischen Deutschen und Moslems zu schaffen. Seine Einstellung schafft ihm jedoch nicht nur Zusprecher, sondern auch viele Feinde. Seine arabischstämmige Mitarbeiterin Sumaya al-Shami und der Arabist Samuel Sonntag, der zu Latifs Schutz angestellt wurde.


    Dann kommt es jedoch mitten in Berlin zu einem Anschlag auf Latif und die Al-Qaida bekennt sich zu der Bluttat. Die Stimmung in Deutschland ist aufgebracht. Samuel und Sumaya sind von dem Bekennervideo der Al-Qaida jedoch nicht vollkommen überzeugt und stellen eigene Ermittlungen an. Diese Ermittlungen führen sie immer tiefer in die Abgründe des Extremismus, nicht ausschließlich des Islamistischen. Für diese Erkenntnise, die sie der Wahrheit immer näher kommen lassen, müssen sie jedoch sehr weit gehen.



    Meinung: Der Anfang war zunächst sehr trocken und ich konnte mir noch sehr wenig vorstellen, wie die ganze Sache wohl weiter gehen wird und was inbesondere die Situation auf eine interessante Weise zuspitzen wird. Jedoch muss ich sagen, dass die Geschichte eindeutig immer besser wurde, denn die einzelnen Beweggründe, Vereinigungen, Taten und das Vorgehen wurden auf eine eindringliche und glaubwürdige Weise beschrieben. Vor allem die Salontreffen wurden klasse geschildert, denn soweit ich mir sowas vorstellen kann, wirkten die sehr realitätsnah.


    Zudem steht hinter dem Buch vermutlich eine ziemliche Recherchearbeit, da viele Details zum einem über den Islam, jedoch auch zum anderen Gründe für die Islamophoben und die Islamisten, der Meinung zu sein, die sie vertreten.


    Was ich auf jeden Fall echt gut finde ist die Aussage des Romans, dass man nicht immer alles unvoreingenommen und Klischees folgend, glauben sollte, denn die Dinge sind oft nicht so wie sie scheinen. Auch das nicht gleich jeder Moslem ein Terrorist ist und nicht jeder Deutsche der kein Nazi ist, gleich zum frommen Lamm wird und keiner Fliege etwas zu leide tun kann. Einfach, dass man nicht pauschalisieren soll. Das ist eine Aussage, die mir sehr gut gefällt, da es einfach langsam zu viele Vorurteile gibt, bei denen es heißt die Moslems oder die Russen, ohne dabei zu merken, dass man sowas nie pauschalisieren kann. Daher kann man sich nur wünschen, dass ein paar dieser Leute ein solches Buch vielleicht mal lesen und es auch schaffen zu dem Schluss zu kommen, dass jeder Mensch einzeln bewertet werden muss und es dabei keine pauschalaussagen geben darf.

    Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.

  • Ausgangspunkt für diese Geschichte ist Lutfi Latif – ein sehr symphatischer Muslim, der in den Bundestag gewählt wird. Doch Latif hat Feinde von allen Seiten: zum Einen von dem Terrornetzwerk Al-Qaida, zum Anderen von Islamhassern aus Deutschland. Nach erheblichen Terrordrohungen kommt es tatsächlich zu einem Anschlag Doch wer ist tatsächlich dafür verantwortlich? Latifs Assistentin Sumaya und der Terrorexperte Samuel recherchieren auf eigene Faust und begeben sich damit in höchste Gefahr.


    Die Geschichte um den Terroranschlag auf Latif ist höchst brisant und spannend. Das Thema ist aktuell und ja auch bei uns ständig in den Nachrichten vertreten. Es beinhaltet nicht nur, wie normalerweise, die islamistischen Terroristen, sondern auch die andere Seite. Und zwar die eigenen Terroristen im eigenen Land. Islamhasser, Leute aus höchsten Kreisen, die vor nichts zurückschrecken und somit nicht besser sind als die islamischen Terrorgruppen.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Der Autor verpackt das Thema Terrorismus in einem sehr spannenden und brandaktuellen Roman, der einen nicht mehr los lässt. Es gab lediglich zwischendrin ein paar Passagen und Fremdwörter, die für mich nicht sofort verständlich waren und die ich zweimal lesen musste. Aber das war nicht weiter schlimm und bereitet dem Leservergnügen keinen Abbruch. Außerdem ist es für die Allgemeinbildung gut. Ansonsten verwendet der Autor einen sehr durchgehend flüssigen Schreibstil.


    Auch die Personen werden sehr glaubhaft dargestellt. Sumaya und Samson waren mir auf Anhieb symphatisch.


    Dies ist auf jeden Fall auch ein Roman zum Nachdenken. Es sind nämlich nicht immer die anderen, sondern auch Leute aus den eigenen Reihen vor denen man Angst haben muss. Hierbei fand ich sehr erschreckend, dass es solche Organisationen wahrscheinlich schon in Deutschland gibt.
    Es werden auch sehr gut die verschiedenen Ansichten dargestellt.


    Fazit: Ein sehr lesenswerter Polit-Thriller. Spannend vom Anfang bis zum Ende und nicht nur für diejenigen, die sich gerne mit dem Thema Terrorismus beschäftigen. Ich vergebe die volle Punktzahl.

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Dranbleiben lohnt sich


    "Radikal" macht es einem, zumindest mir und wohl auch einigen anderen, am Anfang etwas schwer. Die Einführung in die Geschichte und handelnden Personen zieht sich etwas, der Schreibstil ist leicht gewöhnungsbedürftig, etwas Geduld ist gefragt.
    Das ändert sich zum Glück aber recht schnell - und dann ist man als Leser drin in dieser rasanten und fesselnden Geschichte.
    Man wird mitgenommen in die Welt der Muslime, Attentäter und Geheimbünde. Poltik, Zeitungsverlage, BKA - alle spielen hier ihre Rolle, es ist ein Vertuschen, Geben und Nehmen, Betrügen. Ganz schnell steht man auf der falschen Seite, landet im Gefängnis oder Schlimmeres.
    Yassin Musharbash versteht es, die Story ständig an Fahrt gewinnen zu lassen, die Ereignisse überschlagen sich und man möchte das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen.


    Unglücklich gewählt fand ich auch den Namen Lutfi Latif, da bin ich wirklich jedesmal darüber gestolpert.


    Ansonsten perfekte Unterhaltung mit Niveau, für den etwas schleppenden Anfang gibt es von mir allerdings 1 Punkt Abzug, übrig bleiben also 9 von 10 Punkten. Und die Vorfreude auf das nächste Buch des Autors.