Lisa Moore - Und wieder Februar

  • Hanser Verlag gebunden, 336 Seiten, 19,90 €
    ISBN 9783446237513
    Originaltitel: February(2009)

    Übersetzt von Kathrin Razum, 1964 geboren, studierte Amerikanistik und Geschichte und lebt als freie Übersetzerin und Lektorin in Heidelberg. Sie übersetzte u. a. T.C.Boyle, Vikram Chandra, V.S. Naipaul und Edna O`Brian.


    Zur Autorin:
    Lisa Moore wurde 1964 in St. John’s, Neufundland, geboren. Sie studierte Kunst am Nova Scotia College of Art and Design. Ihr Debütroman Alligator, Gewinner des Commonwealth Prize for Canada and the Caribbean, wurde ein Bestseller. Auch ihr Erzählungsband Open avancierte in ihrem Heimatland zu einem großen Erfolg und gewann den Canadian Authors’ Association Jubilee Award. Mit ihrem Roman Und wieder Februar war sie 2010 Finalistin beim Man Booker Prize. Zurzeit arbeitet sie an ihrem neuen Roman Caught!, der im Original im Frühjahr 2012 erscheint. Lisa Moore lebt als freie Schriftstellerin in St. John’s. Sie lehrt in einem Masterprogramm für kreatives Schreiben an der University of Columbia und leitet verschiedene Schreibseminare in mehreren kanadischen Städten.


    Kurzbeschreibung (Amazon):
    Bei einem Unfall auf einer Bohrplattform vor Neufundland verliert Helen ihren Mann Cal. Die vierfache Mutter muss nun ihre Kinder alleine großziehen. Lange Zeit demonstriert sie nach außen hin Stärke: sie sucht sich Arbeit, erledigt den Haushalt und unternimmt Reisen. Doch innerlich bleibt sie von der Trauer um ihren Mann gebrochen. Als nach Jahren der Isolierung ein neuer Mann in ihr Leben tritt und die Kinder aus dem Haus sind, steht ihr Leben vor einer bedeutenden Wende. Lisa Moores Roman ist von erstaunlicher Intensität. Mit einer Sprache von ungewöhnlicher Sinnlichkeit erkundet sie die Gefühlswelt ihrer Protagonisten und erzählt eine Geschichte von der Möglichkeit des Glücks.


    Meine Meinung:
    Am 15. Februar 1982 vor sank vor Neufundland die „Ocean Ranger“, die größte Bohrinsel ihrer Zeit. Sie galt als unsinkbar – alle 84 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.


    Einer von ihnen war Cal, 31 Jahre alt, Vater von drei Kindern und Helens große, eine Liebe. Mit dem vierten Kind schwanger und unendlich einsam musste sie nicht nur damit fertig werden mit sehr beschränkten Mitteln vier Kinder allein groß zu ziehen. Helen widerstand dem wiederkehrenden Wunsch Cal zu folgen, „funktionierte“ und versuchte mit aller Kraft, ihren Kindern eine normale Kindheit zu ermöglichen. Obwohl sie nach außen ein annähernd normales Leben mit Hobbies, Familie und Arbeit führte, fühlte sie sich die ganze Zeit „außerhalb“, unfähig neue Bindungen einzugehen, trotz einer großen Sehnsucht danach. Innerlich stand sie in enger Verbindung zu Cal, dachte wieder und wieder nach über die Verkettung unglücklicher Umstände, die zum Sinken der Bohrinsel geführt hatten und wie er wohl gestorben sein mochte.


    Auf Drängen ihrer Kinder beauftragte sie einen Schreiner mit Renovierungsarbeiten in ihrem Haus und dieser Mann berührte etwas in ihr, zum ersten Mal nach annähernd 26 Jahren. Ihr wurde bewusst, wie ihr Leben verrann, wie lange sie nicht richtig gelebt hatte.


    Das Buch ist ein Kaleidoskop von Bruchstücken aus Helens Erinnerungen aus der Zeit mit Cal, der Zeit nach Cals Tod und Ereignissen der Gegenwart. Hineingewoben werden Begebenheiten aus dem Leben ihrer Kinder, insbesondere von John, ihrem Ältesten, der wohl am meisten verstanden und gelitten hat. Eine so große Liebe wie die seiner Eltern scheint ihm suspekt, einem dermaßen lähmenden Verlust möchte er sich nicht aussetzen. Doch auch für ihn öffnen sich im Laufe der Geschichte neue Wege.


    Gefühle bestimmen dieses Buch, intensiv und zu Herzen gehend, die Sprache eindringlich durch häufig kurze Sätze, aber alles andere als schlicht, völlig ohne klischeehafte Formulierungen, manchmal von verblüffender Sachlichkeit angesichts des Ausmaßes der Tragödie. Gelegentlich blitzen Funken von Selbstironie und Humor auf.


    Ein Buch, welches berührt und das gelesen zu haben ich nicht missen möchte!

  • Bei Helen O'Hara in Neufundland ist es mitten in der Nacht, als ihr ältester Sohn anruft. John hat während einer Australienreise erfahren, dass nach einer sehr kurzen Affäre eine Frau von ihm ein Kind erwartet. Falls John erwartet, dass seine Mutter ihn nun bemitleidet, hat er sich getäuscht. Die Nachricht, dass sie wieder Großmutter wird, weckt in Helen die Erinnerung an den Februar 1982, als ihr Mann Cal tödlich verunglückte. Vor Neufundland sank damals im Sturm die Bohrinsel Ocean Ranger. Niemand von der Besatzung hatte eine Überlebenschance. Im Gegensatz zu anderen, die noch ein paar Tage auf Überlebende hofften, wusste Helen sofort, dass ihr Mann Cal tot war. Immer und immer wieder durchlebt sie seitdem in Gedanken den Unglückstag und was dabei mit Cal passierte, obwohl sie den Ablauf nur phantasiert. Helen erwartete in jenem frostigen Februar ihr viertes Kind, von dem Cal noch nicht wusste. Während Helen in ihrem Kummer aus der Wirklichkeit driftet, bleibt der 10-jährige John mit beiden Beinen in der Gegenwart. Helens Ältester übernimmt mit großem Ernst die Rolle des Mannes in der Familie und fühlt sich seitdem für seine jüngste Schwester Gabrielle besonders verantwortlich. Allein für ihre Kinder hält Helen den Alltag aufrecht und kämpft ums finanzielle Überleben ihrer Familie. Sie selbst fühlt sich wie durch eine Mauer vom Leben getrennt. Die Kinder tragen schon in jungen Jahren zum Lebensunterhalt bei und sparen für ihre Schulausbildung. Helens Gedanken wandern immer weiter zurück. Die unausgesprochene Übereinkunft zwischen ihr und Cal, nicht über die gefährlliche Arbeit auf der Bohrinsel zu sprechen, schnürt beim Lesen die Kehle zu.


    In kunstvoll verschachtelten Rückblenden entfaltetet Lisa Moore die Geschichte Helens und ihrer Kinder. Auch die kurze Affäre zwischen John und Jane lebt im Rückblick auf. Mit Mitte 30 will Jane dieses Kind unbedingt zur Welt bringen; doch bei ihrem ersten Anruf lässt John sie am Telefon kalt abfahren. Johns Bindungsängste haben bereits zuvor eine Beziehung scheitern lassen. Als Kind empfand Helen ihren Sohn John als viel problematischer als die drei Töchter, obwohl die Mädchen während der Pubertät keine schrille Eskapade ausließen.


    Nach über 20 Jahren Alleinsein hat sich Helen als "ältere Dame" ihren Platz im Berufsleben und in ihrer Gemeinde erkämpft. Niemand hält sie heute mehr für einsam; über jemanden, der so aktiv wie Helen ist, macht man sich keine Gedanken mehr. Helens Töchter stehen ihr zwar wie eine fürsorgliche Front gegenüber, doch bei aller Sorge um die Mutter sind sie stark auf ihre Eigenständigkeit bedacht. Wer hätte gedacht, dass Helen sich mit Mitte 50 Hals über Kopf noch einmal verlieben könnte?


    Ihren fesselnden Familienroman widmet die Autorin in ganz und gar nicht rührseligem Ton der Einsamkeit und lebenslangen Treue einer jung verwitweten Mutter. Die Handlung ist an ein reales Ereignis des Jahres 1982 vor der Küste Neufundlands angelehnt. Die Bindungsangst des erwachsenen John, der als Kind viel zu früh Verantwortung tragen musste, wird nur angedeutet und lässt so beim Lesen die eigenen Gedanken zur Mutter-Sohn-Beziehung schweifen. Raum für Assoziationen des Lesers schafft Moore bewusst durch die indirekte Rede in Dialogen und durch abgebrochene Sätze, die erst nach einem Punkt weitergeführt werden.


    "Das Bewusstsein des Verlusts schärft die Sinne", hat Lisa Moore nach dem frühen Tod ihres Vaters selbst erfahren. Moores Roman lebt von den sehr präzisen Erinnerungen Helens. Mit dem bewegenden Portrait einer unfreiwillig starken Frau hat die kanadische Autorin meine Wahrnehmung tatsächlich geschärft für Helens Schicksal, das damals über 80 andere Betroffene teilten.


    [edit:] Das Buch stammt von Vorablesen.

  • Das Buch stammt von Vorablesen.


    Was die Frage aufwirft, ob ein Buch, das nicht aus einer Büchereulen-Leserunde stammt, hier vorab vorgestellt werden sollte. Der Gedanke, dass jemand deshalb frustriert aus der Buchhandlung zurückkehrt, ist mir unangenehm. ?(

  • Zitat

    Original von Buchdoktor
    Das Buch stammt von Vorablesen.


    Was die Frage aufwirft, ob ein Buch, das nicht aus einer Büchereulen-Leserunde stammt, hier vorab vorgestellt werden sollte. Der Gedanke, dass jemand deshalb frustriert aus der Buchhandlung zurückkehrt, ist mir unangenehm. ?(


    Ich war mir auch nicht sicher, ob ich es hier schon vorstellen darf und habe ein wenig geforscht ;-). Mindestens zwei Mitleser bzw. Rezensenten bei vorablesen haben ihre Rezension auf anderen Seiten verlinkt und evelynmartina hat "Die fremde Frau" von Lesley Turney bereits hier vorgestellt, obwohl das Buch noch später erscheint als "Und wieder Februar". Danach habe ich mir dann ein Herz gefasst und den Thread erstellt.


    Soll ich im Eingangspost ergänzen, dass das Buch erst Ende August erscheint?

  • Eine Frau, die dreißig Jahre lang dem Mann ihres Lebens nachtrauert. Cal. Die ihn liebt und vergöttert wie eh und je, den sie vermisst und wohl mehr braucht als die Luft zum atmen. Lisa Moore beschreibt in ihrem Roman Und wieder Februar das wirklich Unglaubliche. Erst habe ich mich gefragt, was es mit dem Titel auf sich hat, aber das war mir nach einigen Kapiteln und Zeitsprüngen schon klar: Er ist über alle Maßen passend und auch das Cover ist mehr als günstig gewählt. Cal, der auf einer Bohrinsel gearbeitet hat, der große Bezug zum Wasser und eine Frau, die scheinbar verträumt aufs Meer hinaussieht. Wenn ich das alles mit dem Inhalt des Buches zusammenbringe schreit es bei mir nach einer starken Gänsehaut.
    Ich finde den Schreibstil in diesem Roman sehr angenehm, flüssig zu lesen und durch und durch durchdacht (ha, 3x durch). Ich hatte keine Probleme in das Buch hineinzufinden, war gleich von Anfang an gefesselt, vielleicht auch wegen Helen, die mir kein Deut unsympatisch war, ganz im Gegenteil, das ein ums andere Mal hätte ich sie am liebsten gern an mich gedrückt und mal fest umarmt damit es ihr besser geht. Das Buch ist in einzelne Kapitel und einzelne Lebensabschnitte aufgebaut. Von der Zeit mit Helen und Cal und der Zeit nach seinem Tod ist jede Menge dabei und mich stört es nicht das dabei von 1982 zu 2008 oder 1998 und wieder 1982 gesprungen wird, durch die einzelnen Kapitelüberschriften kann man sich auch in das Jahr gut hineinversetzen.
    Erst kürzlich habe ich ein Buch gelesen, das durch und durch mit Traurigkeit und negativen Einflüssen verpackt war und das einfach keinen Spaß beim lesen gemacht hat, bei Und wieder Februar ist das aber anders. Helen trauert, aber die Szenen rund um sie, ihr Leben mit Cal oder ihren Kindern und Enkelkindern ist angenehm zu lesen, man kann sich in sie hineinversetzen. Die Monologe sind zwar nicht in den Anführugstreichen gesetzt, aber irgendwie hat mich das nicht so sehr irritiert wie ich es am Anfang dachte, da jede Aussage auch mit einer passenden Bezeichnung gekennzeichnet ist, sodass man einfach weiß, das wurde gesprochen.
    Und wieder Februar ist nicht langweilig oder monoton, es ist nicht öde, oder zieht sich hin, die einzelnen Kapiteln – die für mich tatsächlich irgendwie wie sinnliche Tagebucheinträge wirken die ein wenig durcheinander gekommen sind – haben eine akzeptable Länge und bieten einen guten Einblick rund um das Leben von Helen. Langeweile kam bei mir nicht auf, ich konnte es eher kaum erwarten weiterzulesen und zu wissen, wie es ihr wieder ein paar Jahre später geht, oder was sie noch so mit Cal getrieben hat.
    Mich hat die Sprache des Romans und die beiden Erzählungsstile (einmal aus der Sicht von Helen und einmal aus der Sicht von John – ihrem Sohn) fasziniert, man kann in beide Charaktere einen guten Einblick bekommen, wobei mir Helen natürlich mehr im Gedächtnis geblieben ist. Definitiv ein Roman, den ich ohne Umschweife weiter empfehlen würde.

    HOPE AND PRAY THAT YOU'LL NEVER NEED BE BUT REST ASSURED
    I WILL NOT LET YOU DOWN. I WALK BESIDE YOU BUT YOU MAY
    NOT SEE ME; THE STRONGEST AMONG US MAY NOT WEAR A CROWN.


    SUB = 142

  • Und wieder Februar – Lisa Moore


    Mein Eindruck:
    Dieser Roman versammelt einige stramme „Frauen-Themen“, die sich um Verlust, Verzicht, Familie, Beziehungen, ungewollte Schwangerschaft usw. drehen. Dabei wird in verschiedenen Zeitebenen (Eckdaten sind 1981/1982 und 2008 mit zahlreichen Abschnitten auch dazwischen) und Figuren in den wechselnden Kapiteln erzählt.
    Der Originaltitel des Romans heißt February, da die entscheidenden Ereignisse der Romanhandlung jeweils im Februar passieren.
    Manche Passagen erinnern mich an Breaking the waves, der Film von Lars von Trier. Die Emotionen sind jedoch verhaltener geschildert. Es wäre unhöflich, zu sagen, Lisa Moores Stil wäre lahm. Mich jedenfalls hat dieser Roman keineswegs begeistert, ich gebe aus rein subjektiven Empfinden 4 von 10 Punkten.

  • Helen ist 30 Jahre alt, hat drei Töchter und einen Sohn, als Cal, Ihr Mann, Vater und Ernährer mit der gesamten Besatzung beim Untergang einer Bohrinsel ums Leben kommt.


    Der Roman erzählt das Leben von Helen, ihrer Töchter und ihres Sohnes.
    Ihre Lebensträume, die sie mit Carl hatte sind nicht mehr realisierbar, doch sie ist eine
    sehr willens starke Frau.
    Dreissig Jahre lang hält sie ihrem Cal die Treue, das war ein Versprechen, falls er nicht
    zurückkehren würde.


    Ein Familien-Roman,....„eine Geschichte von der Möglichkeit des Glücks“......


    ein sehr empfehlenswertes besonderes Buch.


    Gebundene Ausgabe, Carl-Hans-Verlag München 2011.

  • Ich kann mich leider den positiven Meinungen auch nicht anschließen. Die Grundidee hat es mir zwar gut gefallen, aber an vielen Stellen war es mir zu lang gezogen ... am Ende musste ich mich schon dazu zwingen, die Seiten nur noch zu überfliegen. Mehr als 5 Punkte möchte ich da nicht vergeben. Schade, hätte man mehr daraus machen können.


    (Ich habe die englische Ausgabe gelesen.)

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]