Randalierende Jugendliche in England

  • Liebe Eulen,


    kann mir jemand von euch glaubhaft erklären, warum in England Jugendliche auf die Straße gehen, Geschäfte und Existenzen zerstören, nur um, wie es mir scheint, ein paar iPads und Turnschuhe abzugreifen?


    Warum gibt es das da und hier nicht? Ich als Anglistin habe mir da ja auch meine Gedanken darüber gemacht, aber meine Argumente scheiden weitestgehend aus:


    Unzufrieden mit der Regierung Cameron und deren Sparmaßnahmen: Wer hier auf die Straße geht, ist nicht das Bildungsbürgertum, im Gegenteil, das gründet Bürgerwehren, um der Polizei zu helfen.
    Es handelt sich hier doch ausschließlich um Jugendliche, wenn ich das richtig gesehen habe.


    Ham die alle nüscht zu tun? :fetch

  • Es scheint so, als würde diese jungen Menschen ihren ganzen Frust rauslassen. Frust über die schon seit Jahren herrschende Perspektivlosigkeit. Da brauchte es dann nur einen Anlaß, der die Sache eskalieren ließ.


    Gerade die konservative Regierung in England scheint ja zurück auf dem Wege zum Manchester-Kapitalismus. Wobei man zugeben muss, dass die Labour-Regierung da schon ordentlich vorher vieles auf diesem Weg geebnet hat.


    Leidtragende sind zumeist junge Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, denen oftmals auch eine vernünftige Schul- und Berufsbausbildung verwehrt wurde.


    Anstatt das Problem wirklich zu analysieren und echte Abhilfe zu schaffen, wird stur draugehauen. Auch in England scheint es wieder einmal an der Polizei hängenzubleiben, gesellschaftliche Probleme zu lösen.


    Es sind die Camerons, die Sarkozys, die Merkels - die meinen die Staaten in denen sie regieren gehörten ihnen, es sind die Vasallen des Großkapitals die es immer wieder schaffen neue Unterdrückungsmechanismen ins Leben zu rufen. Mal schauen wann es hier bei uns losgeht. Auch da tickt eine Bombe, doch noch scheint sie niemand zu hören oder will sie niemand hören.


    Schlimm nur, dass in England offensichtlich rechtsradikale Kräfte als "selbsternannter Ordnungsfaktor" zu agieren.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Aber die zerstören mutwillig Existenzen! So kann man doch nicht handeln, frei nach dem Motto "Wenn der Staat Schuld dran ist, dass es mir nicht gut geht, mach ich mal die Ergebnisse der harten Arbeit anderer Leute kaputt".

  • Zitat

    Original von Dori
    Aber die zerstören mutwillig Existenzen! So kann man doch nicht handeln, frei nach dem Motto "Wenn der Staat Schuld dran ist, dass es mir nicht gut geht, mach ich mal die Ergebnisse der harten Arbeit anderer Leute kaputt".


    Sicher ist das nicht in Ordnung. Aber manchmal entsteht auch Wut aus einem Ohnmachtsgefühl heraus. Und wenn diese Wut erst einmal herausbricht, dann geht es nicht mehr um Vernunft oder um irgendwelche Regeln.


    Früher gab es mal den Spruch:
    "Macht das kaputt was euch kaputtmacht."


    Es sind gesellschaftliche Entwicklungen die das hier nicht angerichtet aber ganz sicher provoziert haben. Nicht jedem ist es gegeben, mit dem Marsch durch die Institutionen da anzukommen wo man selbst Veränderungen bewirken kann.


    Diese Gewalt kommt ja nicht einfach aus heiterem Himmel. Da hat sich über einen sehr langen Zeitraum etwas angesammelt und das explodiert nun.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • So wie es aussieht wurde die Gewalt angestachelt. Man hat sich über das Blackberry-Messenger-System dazu verabredet. Angegriffen wurden hauptsächlich Geschäfte einer großen Kette oder solche mit hochwertigen Waren sowie Polizeistationen. Dabei waren sogar Kinder unter 10 Jahren. Anders als in Deutschland werden diese zur Rechenschaft gezogen, denn in GB gilt, wer alt genug ist, eine Straftat zu begehen, ist alt genug, um eine Strafe dafür zu bekommen.
    Wirklich beeindruckend war übrigens, dass im Anschluss an die Ausschreitungen Menschen auf dem Weg zur Arbeit Glasscherben zusammengefegt haben und praktisch jeder einen kleinen Teil zu den Aufräumungsarbeiten beigetragen hat.
    Ich bin gerade in England und verfolge die Situation sehr aufmerksam, übermorgen geht es nach Manchester. Von rechtsradikalen Tendenzen habe ich hier noch nichts gelesen.

    :lesendCharlotte Roth - Die Liebe der Mascha Kaléko | Nina George und Jens J. Kramer - Die magische Bibliothek der Buks 2: Das verfluchte Medallion



    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Auf Sky News kommt heute um 21 Uhr eine Diskussionsendung zu den Thema.


    Ich könnte mir schon vorstellen das soetwas auch hier passieren könnte.
    In UK ist die Lücke zwischen den Schichten allerdings noch größer als hier.


    Diese Jugendlichen haben sicher das Gefühl, das die Gesellschaft sie nicht will, warum sollen wir dann die Gesellschaft wollen?


    Traurig!

    ************************************************
    Bookworms will rule the world! As soon, as we finish one more chapter...

  • Die Frustration erklärt vielleicht, aber entschuldigt nicht das Plündern oder das mutwillige Überfahren von drei Pakistanis, die ihre Strasse vor Plünderungen schützen wollten.


    Jugendarbeitslosigkeit gibt es auch in anderen Ländern (Spanien 46%!), aber trotzdem nehmen die nicht die Erschiessung eines Drogendealers zum Anlass der unteren Mittelschicht ihre Läden und Häuser niederzubrennen.


    Inzwischen scheint es auch klar, dass es nicht (nur) frustrierte Jugendliche sondern Friseure, Lehrassistenten, Millonärstöchter und Rettungsschwimmer waren, die sich da "vergnügt" haben.


    CNN
    10 reasons for riots


    Und hier noch Artikel zu den Opfern:
    BBC Malaysian student
    Riot victim

  • Diese Jugendlichen sind aufgewachsen, ohne Grenzen kennenzulernen. Und zwar Grenzen dessen, was akzeptabel ist und was nicht. Das sind die Kinder der ersten ASBO-Generation in GB. ASBOs (AntiSocialBevaviourOrder) wurden ausgesprochen, wenn jemand sich danebenbenahm (werden sie auch heute noch). Das dauert Wochen, oft Monate, ehe ein Gericht so einen ASBO aussprach - der war (und ist) dann meistens mit einer Aufenthaltsgenehmigung an gewissen Orten verbunden, was ja ohhhhhhh so streng ist (und meist dann eh noch umgangen wird). Die meisten, denen ein ASBO angedroht wurde, kamen jedoch schon immer mit einem "slap on the wrist" davon - so wie wenn Mami sagt "Sowas macht man aber nicht, mein Liebling!" Wem werden denn mit solchen "Maßnahmen" Grenzen gezeigt?


    Und so leben schon die Eltern, und was erwartet man dann von der nächsten Generation (also der, die jetzt auf die Straßen gegangen ist)? Die haben überhaupt keinen Respekt vor Autorität, weil ihnen den keiner beigebracht hat. Die kennen keine Grenzen, weil sie ihnen niemand gezeigt hat. Da wurden am Tag nach der dritten Riot-Nacht von der BBC ein paar berauschte Mädels interviewt (nur Ton, ohne Bild), die die ganze Nacht an geklautem Wein gesoffen haben. "We show the police we do what we want! We do what we want!" - "But you are actually attacking civilians and their homes." - "Well, that's the rich people, we show the rich people and the police we do what we want, we listen to nobody!" - Was für eine Einstellung ist das? Grenzen?


    Man ist schon geradezu erleichtert, wenn man jetzt hört, dass ein Kerl, der eine Halbliter-Wasserflasche hat mitgehen lassen und auf CCTV erkannt wurde, zu vier Monaten Knast verdonnert worden ist. Wird zwar schwer, dann Relationen herzustellen zu denen, die den 55-Zoll-Flachbildschirm weggeschleppt haben (gehen die dann zweimal lebenslänglich oder so?), aber zumindest wird ein Zeichen gesetzt. Muss man nur hoffen, dass sie bis zum letzten Delinquenten konsequent bleiben. Aber wahrscheinlich gibt es wieder ASBOs ---