1. Folgen 1-24 (1969 - 1970)
2. Folgen 25-49 (1970 - 1972)
je 7 DVD.
Drehbuch: Herbert Reinecker. Darsteller: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Emily Reuer, Helma Seitz, Rosemarie Fendel u.a.
Für mich als junger Teenager, so ca. 12, 13 Jahre alt, waren die Freitagabende wichtige Abende. Es waren Fernsehabende. Mein Fernsehkonsum war strikt kontrolliert, besonders unter der Woche. ‚Du mußt morgen früh in die Schule’, hieß es und der Ton war unerbittlich. Da half nur brav das Licht ausmachen und mit dem Transistorradio unterm Kopfkissen Hörspiele und Musik hören.
Zum Wochenende hin wurde die Kontrolle lockerer. Freitagabend war als Einstieg ins Wochenende für die ganze Familie ein kleiner Festabend. Vater verzog sich mit Sporttasche zum Turnverein, wie das damals noch hieß, natürlich mit anschließendem Biertrinken (das heißt heute noch so), der kleine Bruder verschwand statt um sieben um zehn vor acht, aber trotzdem maulend im Bett (damals hatte ich ihm das mit dem Transistor noch nicht gesteckt). Eine Freundin meiner Großmutter brachte frisch gebackenen Hefekuchen und den frommen Spruch des Abends vorbei. Während die Tagesschau lief, wurde eine große Kanne Tee gekocht. Beim Wetterbericht waren Mutter und Tochter bereit, die eine schon im Sessel, die andere am Fernsehgerät stehend, denn es mußte umgeschaltet werden. Mit der Hand am Gerät, Fernbedienungen waren noch ein bloßes Gerücht. Es knackte und eine freundliche, perfekt frisierte und geschminkte Sprecherin des Zweiten Deutschen Fernsehens erschien. Tee wurde eingeschenkt, Löffel klirrten und dann klang sie schon auf: die Titelmusik der Fernsehserie ‚Der Kommissar’. Die Zähne tief im lockeren, noch lauwarmen Kuchen vergraben, Zuckergußkrümel auf den Lippen folgte ich gebannt der Aufklärung schrecklichster Verbrechen in München durch den klügsten, väterlichsten und gerechtesten Polizisten aller Zeiten und seines unschlagbaren Teams.
Jahre später noch erinnerte ich mich an die Serie ausschließlich positiv. Vielleicht war sie ein bißchen bieder, deutsch-schwerfällig eben und schwarz-weiß ist nicht unbedingt zeitgemäß, aber als künstlerischer Touch einfach unanfechtbar. Erik Ode war ein solider Schauspieler, Fritz Wepper hatte es sogar zu ‚Derrick’ geschafft - wenn das kein Gütesiegel war. Und die Regisseure! Wolfgang Staudte hatte einige Folgen von ‚Der Kommissar’ gedreht, Qualität, wohin man sah. Als die Serie schließlich auf DVD erschien, brauchte es kein Nachdenken. Die ersten beiden Boxen kamen ins Haus. Und dann klang es wieder auf, das Titellied von Herbert Jarczyk. Es ist wirklich gut.
Gut ist auch, daß ich nicht zu Nostalgie neige. Sonst wäre ich wahrscheinlich in Tränen ausgebrochen. Allerdings keine Freudentränen. Es wären eher Zornestränen gewesen, Tränen des Frusts und der Fassungslosigkeit angesichts dessen, was sich da vorne in Einheiten von 60 Minuten abspielte. Es ist nicht ganz leicht, es in Worte zu fassen.
Liest man die Inhaltsangabe der bloßen Handlung der Einzelfolgen scheint man Krimis von nicht unbeträchtlicher Spannung vor sich haben. Sieht man das Ganze aber in seinen Einzelheiten einschließlich der filmischen Umsetzung, kann man nur den Kopf schütteln.
Die Fälle sind meist unlogisch, TäterInnen und Betroffene in eher wirrer geistiger Verfaßtheit. Polizeiliche Ermittlungstätigkeit ist nicht vorhanden. Übel ist die Rollenverteilung. Kommissar Keller ist der große, allwissende Übervater, gelegentlich gottgleich, der tief in die Seelen der Bedauernswerten schaut, die das Pech haben ihm unter die Augen zu kommen und das Übel auch gleich erkennt. Dann drängelt er so lange, bis Mörderin/Mörder gestehen. Sein Team schaut zu. Sie leisten ein wenig Fußarbeit, im Bilde sind sie nie. Wozu auch. Die Polizei kann alles und darf alles, suggeriert die Serie.
Übelst sind die Rollen der beiden weiblichen Teammitglieder. ‚Kriminalassistentin’ vom Rang her, sind sie Sekretärinnen, Laufmädchen und Kaffeeköchinnen. Emily Reuer als ‚Helga’ gab ihre Mitarbeit an der Serie auch bald auf. Helma Seitz, Fräulein( zeitbedingt) Rehbein, meist ‚Rehbeinchen’ genannt, blieb, zu ihrem Schaden, als Mutter der Kompanie. Man kann es kaum mitansehen. Daß Rosemarie Fendel als Ehefrau nichts zu sagen hat, sei nur der Vollständigkeit halber angeführt. Auch sie verläßt die Serie dann und ist nur noch als Foto auf dem Schreibtisch von Kommissar Keller zu bewundern.
Reguläre Arbeitszeiten gibt es für keinen, dekretiert der Kommissar, daß die Nacht durchgearbeitet wird, wird eben durchgearbeitet. Was sie da tun, bliebt im Dunklen, bei Tag allerdings auch.
Die Drehbücher von Herbert Reinecker sind vor allem dazu geschrieben, die Autorität der Vater-Generation aufrechtzuerhalten. Das Bild vor allem der Jugendlichen in der ganzen Serie ist das Bild von Unruhestiftern, die vor allem eins nicht tun: auf die ältere Generation hören. Deswegen geraten sie in Schwierigkeiten. Die Serie wird innovativ und kreativ genannt, weil Themen wie Prostitution, Drogen, Kindesmißbrauch dadurch ins deutsche Fernsehen kamen. Leider regieren Biederkeit und vor allem der mahnende Zeigefinger. Die Geschichten haben einen unerträglichen moralinsauren Beigeschmack. Und sie sind über weite Strecken langweilig. Woher Reinecker seinen Ruf als guter Drehbuchautor auch haben mag, die Serie ‚der Kommissar’ ist bestimmt nicht der Grund dafür. Seine Dialoge sind eine Perversion dessen, was einen Dialog ausmacht. Zusammengefaßt klingen sie etwa so:
Kommissar zum Verdächtigen: Wo waren Sie gestern abend um elf Uhr?
Frau des Verdächtigen: Ja, wo warst du gestern abend?
Sohn des Verdächtigen: Wo warst du? Um elf Uhr?
Grabert: Sagen Sie uns, wo Sie gestern abend um elf Uhr waren.
Harry: Der Kommissar möchte wissen, wo Sie gestern abend waren.
Heines: Um elf Uhr!
Der Verdächtige: Ja, ich, also, ich meine, hier war ich. Gestern abend. Es war elf.
Frau des Verdächtigen: Du warst hier!
Sohn des Verdächtigen: Hier! Du warst hier um elf.
Heines: Hier waren Sie!
Grabert: Sie sagen also, daß Sie hier waren gestern abend.
Harry: Er sagt, daß er gestern abend um elf hier war, Chef.
Fräulein Rehbein: Soll ich das so aufnehmen, daß er gestern abend um elf hier war, Chef?
Auf diese Weise erwecken die Folgen, die lt. Programmplan sechzig Minuten lang waren, unschwer den Eindruck, einem zweieinhalb-Stunden-Film beizuwohnen.
Die filmische Umsetzung lag in der Hand vieler unterschiedlicher Regisseure. Das Ergebnis ist eine bunte Schau künstlerischer Vorstellungen von Filmarbeit der späten Sechziger und frühen Siebziger des 20. Jahrhunderts. Mit der Handlung des jeweiligen Drehbuchs hat das meist wenig zu tun. Jeder drehte, wonach ihm so war. Es gibt immer wieder Folgen mit einer ganz besonderen Atmosphäre, die auch zu loben ist. Die man genießen kann. Nur fällt es mit dem, was sich abspielen soll, nicht zusammen. Der Gesamteindruck ist eher verwirrend. Zu den schwächsten Folgen gehören leider die von Wolfgang Staudte. Wahrscheinlich brauchte er das Geld. Ode selbst liefert bei einigen Folgen solide, wenig aufregende Regiearbeit, was man von seiner schauspielerischen Leistung nicht sagen kann. Sie ist von Anfang an kaum vorhanden und verschwindet im Lauf der Serie völlig. Ode braucht auch nichts zu leisten in seiner Rolle, er weiß sowieso alles.
Sein Team hat leider auch wenig zu tun, was schade ist. Aber tatsächlich ist die Kerngruppe einfach unterfordert. Das fällt vor allem dann auf, wenn die wirklich großen VertreterInnen der klassischen deutschen Schauspielerei auftreten. Marianne Hoppe etwa braucht nur ins Bild zu kommen und jemand wie Ode ist nicht mehr vorhanden. Sie liefert atemberaubende Leistungen, ebenso wie Maria Schell, René Deltgen, Fritz Rasp und Dutzende mehr. Man merkt, wie sie sich beherrschen, einschränken, weil sonst der ganze Handlungsaufbau in Fetzen fliegen würde. Die Kamera hat oft Mühe, diese Energie zu bändigen. Selbst junge Dinger wie Simone Rethel oder Helga Anders spielen Ode innerhalb von zwei Minuten an die Wand.
Ein Pluspunkt der Serie ist es für heutige ZuschauerInnen auf jeden Fall, daß man hier noch einmal all die bewundern kann, die jahrzehntelang für schauspielerische Leistung auf deutsche Bühnen, in Filmen und eben im Fernsehen standen. Es ist die alte schauspielerische Schule, die alten Gesten, Bewegungen, die Mimik, die wunderbare Art zu sprechen. Sie wirkt fremd heute, aber unverändert bewundernswert.
Faszinierend sind auch die Interieurs und die Mode. Ein regelrechtes Museum der 1960/1970er tut sich auf. Tapeten, Möbel, Gebrauchsgegenstände, in den Höfen noch Müllkübel aus Zink, in den Küchen Kohleherd. Merkwürdig geformte Lampen in den Zimmern, schwere Möbel, kleine Plattenspieler, heruntergekommene Hinterhöfe, eine eigenartig muffige Schäbigkeit, die über allem liegt. Was natürlich wieder zu dieser Serie paßt.
Genug gesagt wurde andernorts schon zu den Trink- und Rauchgewohnheiten. Man sieht die meisten Personen rauchend, nicht selten Kette. Getrunken wird soviel, daß es sogar den ZuschauerInnen auffallen mußte. Ab Folge 25 geht man damit deutlich zurückhaltender um. Auf der Fansite zur Serie ist zu lesen, wieviel an Alkohol die Personen konsumierten. Es ist so erschütternd, daß es schon wieder zum Lachen ist. Der Ort der Handlung soll München sein. Möglich. Sprechen tun sie hochdeutsch und die Namen der Figuren sind alles mögliche, aber bestimmt nicht bayerisch. Der Lokalkolorit beschränkt sich auf Orte, die Touristen kennen und ein gelegentliches Maß Bier. (Auszusprechen als : ein Maaas Bier)
Fazit: als Rückblick auf die materielle Kultur in der BRD zur Entstehungszeit hochinteressant. Als Möglichkeit, die große alte Garde und die neu aufstrebende junge an Schauspielerinnen und Schauspielern zu erleben, unverzichtbar. Ebenso für die, die gern Studien bei merkwürdigster bis perverser Kameraarbeit betreiben wollen. Als Krimiserie ein Reinfall. Als Beispiel für die strikt autoritäre geistige Verfaßtheit der BRD jener Jahre erschreckend.