Süden - Friedrich Ani

  • Ani, Friedrich, Süden, Droemer Verlag, München, 2011, ISBN 978-3-426-19907-7


    Zum Autor (lt. Klappentext):
    Friedrich Ani, geborgen 1959 in Kochel am See, schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Romane gleichzeitig. 2010 wurde Ani für das Drehbuch nach seinem Roman „Süden und der Luftgitarrist“ mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Friedrich Ani lebt in München.


    Klappentext:
    Tabor Süden wollte eigentlich niemanden mehr suchen. Vor Jahren hatte er München mit der Absicht verlassen, die Stadt nie mehr zu betreten. Vollkommen unerwartet er hälot er einen Anruf von seinem Vater, der seit fünfunddreißig Jahren verschwunden ist. Er sei in München, lässt er Süden wissen. Doch bevor dieser weitere Fragen stellen kann, wird das Gespräch unterbrochen. Süden kehrt zurück, in „die verhunzte Stadt“, und läuft tagelang durch die Straßen auf der Suche nach einem hinkenden Mann in alter Kleidung. Erneut bleibt der Vater unauffindbar. Süden heuert als Detektiv an und wird sofort mit dem schwierigsten Fall der erfolgreichen Detektei beauftragt: Raimund „Mundl“ Zacherl, ein Wirt aus Sendling, ist vor zwei Jahren spurlos verschwunden. Seine Ehefrau will endlich Klarheit darüber, warum er von heute auf morgen sein bisheriges Leben aufgab und sich zuvor, scheinbar ohne Grund, vollkommen verändert hatte. Aus dem leutseligen Wirt war ein verschlossener Grübler geworden. Die Detektei hält den erneuten Auftrag der Ehefrau für eine aussichtslose Sache. Für Süden jedoch ist der Fall Zacherl genau das Richtige. Dank seiner eigenwilligen Methoden entdeckt er Hinweise, die andere nicht wahrnehmen würden. Und so führt in die Spur schließlich an die Nordsee auf die Insel Sylt, wo Zacherl offenbar ein neues Leben beginnen wollte.


    Meine Meinung:
    Mit Tabor Süden hat Friedrich Ani einen ungewöhnlichen Protagonisten geschaffen, der sich durch eine besondere Wahrnehmung der Menschen seiner Umwelt auszeichnet. Mit zunehmender Auseinandersetzung mit seinem Fall und den Angehörigen des Vermissten ist Süden in der Lage sich in den Gesuchten und seine Gefühls- und Erlebniswelt so einzufühlen, dass sich ihm der Vermisste besser erschließt als den Menschen, die ihn schon Jahre begleiten. Süden hört auch das, was die Angehörigen vor ihm verschließen, liest dieses mühsam zwischen den Zeilen des Erzählten.


    Friedrich Ani führt uns in seinem Roman „Süden“ in die Erlebniswelt von unauffälligen, scheinbar gesichtslosen Menschen, die von den meisten von uns auf der Straße gar nicht wahr genommen werden, Menschen die längst zu gesellschaftlichen Außenseitern geworden sind und die trotz vorhandener sozialer Kontakte isoliert sind und eigentlich schon verschwunden sind, so lange sie noch im Umfeld ihrer Angehörigen leben. Tabor Südens eigenes Schicksal weist im vorliegenden Roman erstaunliche Parallelen zu dem vermissten Raimund Zacherl auf.


    Friedrich Anis Roman „Süden“ ist Krimi und gleichzeitig verblüffend reale Milieu- und Charakterstudie. Damit fordert Ani dem Leser einiges ab, denn „Süden“ zu lesen verlangt nach einer Auseinandersetzung mit dem Leben gescheiterter Existenzen, deren alltäglichen Konflikten und Ängsten, deren verlorenen Träumen und verzweifelten Hoffnungen. Melancholie und Depression sind tragende Stimmungen des Romans, die Ani für den Leser sprachlich versiert und wortgewaltig so berührend, greifbar und authentisch vermittelt, dass es fast ausgeschlossen scheint, seinen Roman nur zur Unterhaltung zu lesen.


    Friedrich Ani hat mit „Süden“ einen außergewöhnlichen Krimi geschaffen, der ohne großes Blutvergießen und Actionelemente spannend ist, und feinfühlig und tiefsinnig die Komplexität des Zusammenlebens von Menschen beleuchtet.


    9 von 10 Punkten

  • Vielen Dank für diese schöne Rezi.
    Dem Cover nach, wäre ich höchst wahrscheinlich an diesem Buch vorbeigegangen, allerdings hört sich der Klappentext und deine Zusammenfassung so interessant an, dass ich es nun auf meiner Wunschliste platziere.

  • Ich lese das Buch gerade und finde es an manchen Stellen bedrückend depressiv, aber dann liest man doch immer wieder weiter. Bis jetzt ist es allerdings mehr die Charakter- und Milieustudie eines relativ fremden, nicht besonders sympathischen Ermittlers und weniger ein Krimi. Trotzdem möchte ich wissen, wie es weitergeht und werde nach dieser Rezension sicherlich dranbleiben.

  • Dies war mein erstes Buch von Friedrich Ani. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich mich auf seinen Ermittler Tabor Süden einlassen konnte, denn wie Pelican schon schrieb, ist man von gescheiterten Existenzen umgeben, die mehr Schatten ihrer selbst sind. Auch der "Held" des Geschehenes, der kaputte, versoffene Ex-Polizist und Detektiv, ist eher ein Antiheld, maulfaul noch dazu. Trotzdem kommt er dem Vermissten, den er sucht, gerade wegen seiner zurückhaltenden Art immer näher, kriecht förmlich in dessen Haut, spürt ihm nach, ertastet seine geheime Gefühlswelt, die den Mann erst versteinern und sich dann fast auflösen ließ.


    Ein leises, streckenweise sehr hoffnungsloses, bedrückendes Buch ohne knallige Showeffekte, das einen von Anbeginn in seinen Bann zieht, ob man es nun will oder nicht. Man klappt es nicht zu und schreit "Toll! Das musst du auch lesen", sondern man schließt es leise, legt es zur Seite und lässt es in Ruhe noch einmal auf sich wirken.


    Eine derartig intensive charakteristische, außerordentlich ungewöhnliche Stimmung zu erzeugen ist hohe Kunst, der ich meinen großen Respekt ausspreche. Als Krimi würde ich den Roman allerdings nicht einordnen, denn dieser Begriff schafft Erwartungen, die dieses Buch nicht erfüllen kann und will.