'Sommerhit' - Seiten 076 - 150

  • Zitat

    Original von Mulle
    Solche Situationen sind selten eindeutig und Menschen werden ja nicht grundlos zu Gerrys und Thomasen. Moralische Schuld müsste man dann ja Generationen weitergeben.


    Das lasse ich als Entschuldigung für Gerrys und Thomas Verhalten nicht gelten.
    Es gibt genug Menschen, die ebenfalls Schreckliches in der Kindheit bzw. in ihrem Leben erleben mußten und die nicht zu Verbrechern werden. Das sind die beiden nämlich, spätestens nach dem Überfall auf Falk zumindest nach meiner Rechtsauffassung.


    Udn du schreibst oben irgendwo, daß es für einen Selbstmord keinen Auslöser gibt. Das stimmt leider so nicht. Für einen Selbstmord gibt es so gut wie immer einen Auslöser und sei es auch "nur" eine Erkrankung. Ein Selbstmord im Affekt dürfte äußerst selten sein.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

  • Zitat

    Original von Saiya
    Das lasse ich als Entschuldigung für Gerrys und Thomas Verhalten nicht gelten.


    Ich denke auch nicht, dass das als Entschuldigung gemeint war, eher als Erklärungsansatz. Für mich ist das ein himmelweiter Unterschied. Und aus rein tiefenpsychologischer Sicht würde das als Erklärung durchaus herhalten.

  • Zitat

    Original von Saiya


    Das lasse ich als Entschuldigung für Gerrys und Thomas Verhalten nicht gelten.
    Es gibt genug Menschen, die ebenfalls Schreckliches in der Kindheit bzw. in ihrem Leben erleben mußten und die nicht zu Verbrechern werden. Das sind die beiden nämlich, spätestens nach dem Überfall auf Falk zumindest nach meiner Rechtsauffassung.


    Ja sicher, das bestreite ich ja auch nicht.
    Aber ich war es auch nicht, der anderen Menschen moralische Schuld für die Entscheidungen anderer geben wollte. ;-) Da steht "müsste". (Eine Ausnahme stellen für mich starke Abhängigkeitsverhältnisse dar, z.B. wenn körperlicher Zwang zum Einsatz kommt und keine Möglichkeit besteht, diesem zu entkommen. Gefangenschaft, z.B..)


    Thomas und Gerry (die vielleicht, rein spekulativ viel Schlimmeres durchmachen mussten als Lehrer Bonkert während der Klassenfahrt) sind allein dafür verantwortlich, wie sie sich ihren Mitmenschen gegenüber verhalten. Und *natürlich* sind sie Verbrecher.
    Und Lehrer Bonker ist ebenfalls allein dafür verantwortlich, ob er sich das Leben nimmt oder mit den Konsequenzen seiner Fehltritte weiterlebt. Ist ja nicht so, als hätte es die Möglichkeit nicht gegeben.


    Ich verstehe nicht, wie man einerseits sagen kann, dass Menschen einen anderen in den Selbstmord treiben können; andererseits aber abstreitet, dass Menschen durch Erlebnisse zu Unmenschen werden *können*. Das passt für mich nicht zusammen.
    (Es ist ja nicht mal so, dass Herr Bonker mit seinem Suizid nur sich geschadet hat; er hat sich an einem Ort aufgehangen, wo ihn vielleicht jemand völlig Unschuldiges findet, den er damit mit hineinreißt.)


    Ich habe mich viel mit dem Phänomen der Rudelbildung und "Gruppenmacht" beschäftigt habe (ich war nämlich auch mal Außenseiter und war neugierig, auf die Hinter(gründe)) und dabei festgestellt, dass sich zu 99% jene in der Gruppe und hinter Macht verstecken, die sich alleine sehr, sehr schwach fühlen.
    Diese Menschen haben *meist* einen Grund. KEINE Entschuldigung.
    Aber jedem steht es frei, das beste aus seiner Situation zu machen. Thomas und Gerry haben das nicht getan. Herr Bonker noch weniger. :unverstanden

  • Zitat

    Original von Mulle
    Ich verstehe nicht, wie man einerseits sagen kann, dass Menschen einen anderen in den Selbstmord treiben können; andererseits aber abstreitet, dass Menschen durch Erlebnisse zu Unmenschen werden *können*. Das passt für mich nicht zusammen.


    Mulle, ich schrieb oben, daß ich das nicht als Entschuldigung gelten lasse, denn natürlich kann Erlebtes dazu führen, daß man sich zu einem Unmenschen entwickelt. Aber dieses Erlebte rechtfertigt nicht alles. Das habe ich gemeint. :wave


    Auch ich bin ein da ein gebranntes Kind, deshalb kann ich für solche Menschen bzw. deren Umgang mit Anderen einfach kein Verständnis entwickeln, höchstens Mitleid haben.

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  • Dieser Abschnitt hat in mir eher eine traurige Stimmung ausgelöst als mich wütend gemacht. Es werden in der Klasse Situationen beschrieben, die mir persönlich zwar nie passiert sind, aber die man immer wieder mal mitbekommt, in abgemilderter Form oft, die so typisch sind und die sich wohl nicht verhindern lassen. Täter und Opfer, Machtspielchen, Cliquenbildung, Aussenseiter. Und die Lehrer in diesem Buch fördern das nur noch durch eigene Initiative oder Wegsehen, Unfähigkeit, schlechtes Vorbild.


    Ich finde, Falk macht sich ganz gut. Er versucht, sich nicht beeinflussen zu lassen, aber ganz frei machen kann er sich auch nicht und immer das Beste aus der Situation zu machen. Traurig, dass er ganz alleine ist, weil Vater und Schwester immer noch unauffindbar sind und die Mutter mit ihrem eigenen Kummer kämpft und Falk sich ihr nicht weirklich anvertrauen kann.


    Ich finde die Diskussion um die Schuld am Selbstmord des Lehrers sehr interessant.


    Ich hätte mich besser gefühlt, wenn die Kids sich an die Herbergseltern gewandt hätten, die Polizei verständigt, vielleicht die zweite Lehrerin oder nach Ende der Fahrt die Eltern informiert hätten. Vielleicht hätte Falk sogar die Aussage der Mädchen über die Szene am See bestätigt, wenn die Mädchen sie öffentlich gemacht hätten?


    Dieses „Falle stellen“ und den Lehrer in eine ausweglose Situation treiben, tja, das hat für mich einen miesen Beigeschmack nach Selbstjustiz und Bestrafung (nicht Aufdeckung eines Verbrechens) und der Lehrer hat auf diese Konfrontation mit der ganzen Klasse bei heruntergelassener Hose sicher anders und heftiger reagiert als wenn die Mädchen sich jemandem anvertraut hätten, der die Justiz einschaltet.


    Ich kann es sehr gut verstehen, dass Chrissie damit (mit dieser Schuld) nicht einfach so weiter machen kann wie vorher.


    Und die Rädelsführer der Clique gehen in ihrem eingebildeten Recht auf Selbstjustiz noch weiter und bedrohen und verletzen Falk, damit er sie nicht verrät.

  • Seite 133: "Sein Lächeln war so fies, dass man es für transsylvanische Briefmarkenmotive hätte benutzen können."


    Toms Art die Dinge zu beschreiben ist ausschlaggebend für mich, die Story weiterzulesen. Wäre nicht soviel süffisanter Humor in der Geschichte, dann hätte ich nicht so viel Abstand zum Geschehen und fühlte mich nicht so gut unterhalten. Die Geschehnisse in diesem Abschnitt sind nämlich absolut ätzend. Sie erinnern mich ein bisschen an meine eigene Schulzeit, wobei unsere ländliche Mobbingkultur bei weitem nicht diese Ausmaße annahm.


    Wer hat alles Schuld an dem Tod des Herrn Bonker?
    Seine Mutter?
    Die Eltern sind immer schuld, wenn ein Mensch pervers veranlagt ist.
    Die Schulleitung?
    Wie kann ich so inkompetente Lehrer mit einer derart aus dem Ruder gelaufenen Klasse auf Klassenfahrt schicken?
    Chrissie?
    Weil sie es Herrn Bonker heimzahlen wollte, dass er ihre Nacktheit ausgenutzt hat, um sich einen runterzuholen?
    Falk?
    Weil er nicht irgendwie verhindert hat, dass das Triumvirat Bonker bloßstellt und seine Beobachtungen am See keiner Autoritätsperson mitgeteilt hat?
    Der Rest der Klasse?
    Weil sie tumbe Mitläufer waren?
    Die Wirtsleute?
    Weil sie diese Bande, die Schweinescheisse in einem ihrer Zimmer verteilt hat, nicht rausgeschmissen hat?
    Die Eltern von Thomas, Gerry und Henning?
    Weil sie es versäumt haben, ihre Kinder zu anständigen Menschen zu erziehen.
    Herr Bonker?
    Weil er seine Triebe nicht im Griff hatte und labil war?


    Ich finde, man kann die Schuld gerecht auf alle möglichen Schultern verteilen. Ausschlaggebend ist eigentlich für mich, wie die Menschen danach weiterleben, wie jeder einzelne damit umgeht. Chrissie hat es voll aus der Bahn geworfen. Sie büsst ihr Quentchen Schuld ab. Gramm für Gramm. Thomas, Gerry und Henning sind auf dem Weg in die Hölle. Dass denen nicht mehr zu helfen ist, liest man spätestens bei ihrem Angriff auf Falk. Mit einem Rasiermesser jemanden das Gesicht aufzuschneiden!
    :yikes

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Dieser Teil des Buches hat auch mich bestürzt, denn das Thema Mobbing schockiert mich immer wieder.
    Ich für meinen Teil dachte mir: Oh Gott, die Schüler treiben ihren Lehrer in den Tod. Sicher kam mir auch in den Sinn die Schuld bei Herrn Bonker zu suchen, der etwas unrechtes getan hat. Allerdings stellen sich die Schüler mit ihrer Tat moralisch auf eine Stufe mit ihm.
    Im Buch steht ja auch, dass Christine Herrn Bonker irgendwie seltsam angrinst, weshalb sie sich ihrer Machtrolle ja schon bewusst ist.
    Das es im Buch vielleicht etwas übermäßig dargestellt ist sehe ich einfach als Stilmittel, das uns noch einmal deutlich vor Augen halten soll, wie stark Macht missbraucht werden kann.
    Falk z.B. weiß ja auch, was Herr Bonker getan hat, nutzt die Situation aber nicht aus. Ganz im Gegensatz zu Christine.
    Gut, dass ihr das zu Herzen geht, was meiner Meinung nach auch verdeutlicht, dass sie ganz klar schuldig ist. Dass die anderen Schüler die Schuld von sich weisen passt ganz klar zu ihrem dummen Verhalten, dass sie schon zuvor gegenüber ihren Mitschülern an den Tag gelegt haben. Getreu dem Motto: Die sind doch selbst Schuld, dass sie so Loser sind und wir sind eh die Coolsten.
    So oder so ähnlich läuft es ja leider an vielen Schulen ab und oft geht das Ganze ja wirklich so weit, dass Schüler krank werden, nicht mehr in die Schule wollen etc.


    Ich bin gespannt wie es zum Thema Macht und Schuldgefühle weiter geht...

  • Uff. heftig, durch. Erst mal den Seiten nach:


    Seite 82 kommt zumindest etwas ans Tageslicht, weshalb Falks Eltern fliehen wollten. Aber irgendwie scheinen die Pläne durchgesickert zu sein, weshalb sonst wäre Sonja an der Grenze aufgehalten worden?


    Seite 84 ist mir ein Satz förmlich in die Augen gesprungen:
    Während die einen alles taten, was möglich war, machten die anderen das, was nötig war.
    Jetz mal losgelöst vom Zusammenhang hier ist das „machen, was möglich ist“ genau mein radikaler (im Sinne von radix - die Wurzel) Kritikpunkt an „unserem“ System, politisch wie wirtschaftlich wie wissenschaftlich. Es gibt keine Grenzen, und wenn, werden sie eben passend verschoben. Ein Nachdenken, was eine Neuerung für Folgen hat, findet praktisch nicht statt. Und wehren kann man sich so gut wie überhaupt nicht.


    Seite 100: in der Nähe der beschriebenen Gegend in Frankreich bin ich vor Jahren mal beruflich gewesen. Die Ortsnamen sind im Buch schön umschrieben. :-) Als ich auf Nebenstraßen unterwegs war, weil ich in ein kleines Kaff mußte, wurde mir auch verständlich, weshalb mein (damaliger) Citroen BX so ausnehmend gut gefedert war. Auf französischen Straßen braucht es eine gute Federung! (Bei meiner ersten Fahrt zur Leipziger Buchmesse 1990 hat die allerdings auch nix genützt: da habe ich ständig Schlenker gemacht, denn die Schlaglöcher - auf der Autobahn wie in Leipzig selbst - waren auch für eine hydropneumatische Federung zu arg.)


    Seite 103 (und viele andere im Buch): Ich frage mich, wie man die Gerüche so beschreiben kann. Hast Du, Tom, da eine Nase dafür? Gut, ich bin kein Schriftsteller, muß das auch nicht können, aber wenn ich mir vorstelle, eine solche Geruchswelt beschreiben zu müssen/wollen: da versagt schon mein Vorstellungsvermögen.


    „Die Klassenfahrt“. Vielleicht hätte ich das Buch jetzt doch nicht lesen sollen. Ende diesen Monats geht meine Tochter auf ... Klassenfahrt. Und im Juni nächsten Jahres erneut, dann die Abschlußfahrt. Allerdings mit etwas fähigeren Lehrern. Die Klassenlehrerin ließe sich nicht so auf der Nase herumtanzen, wie die im Buch. Und der zweite mitfahrende Lehrer desgleichen nicht. Mich wundert nur, daß die Herbergseltern sich das alles so gefallen ließen. Wieso haben die die Schüler nicht einfach rausgeworfen und nach Hause geschickt, notfalls mit Hilfe der Polizei? Gründe genug gab es doch dafür.


    Über die Vorkommnisse ist hier schon ausführlich diskutiert worden. Mich wundert wie gesagt, daß solches überhaupt möglich war. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war ich nur ein Mal auf einer Klassenfahrt. Und wohin? Berlin natürlich, denn da gabs Zuschüsse (von wegen „politische Bildungsfahrt“ und so). Aber sowas wäre bei uns nicht in Ansätzen möglich gewesen, und ich war etwa im gleichen Alter, wie die Jugendlichen im Buch.


    Das Verhalten von Herrn Bonker war zweifelsfrei falsch, ob das damals strafbar war (und heute wäre?), weiß ich nicht. Auf jeden Fall falsch für einen Lehrer. Das Verhalten der Klasse allerdings war ebenso, wenn nicht noch mehr falsch. Meiner persönlichen Meinung nach tragen die Rädelsführer sowie Chrissie direkte Schuld am Tod des Herrn Bonker, zumindest letztere sieht das genau so, wie man an ihrem Nichtzurechtkommen bemerken kann. Es wundert mich nur, daß sie anscheinend mit niemandem darüber geredet hat. Das finde ich irgendwie seltsam. Da hätte doch auf diesem Wege etwas herauskommen müssen?


    Dann der Überfall auf Falk - heftig, heftig. Und die Polizei guckt geflissentlich weg. Gab das denn - immerhin Personenschaden - kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft? Und Spuren hätten sich doch finden lassen müssen, auch 1984 gab es vermutlich schon sowas wie eine Spurensicherung.



    Offen gesagt frage ich mich, weshalb Falk überhaupt zu dem Klassentreffen hin ist. Also ich würde die alle zum Teufel wünschen. Hätte ich allerdings die Möglichkeit, die dorthin auf die Reise zu schicken - vielleicht würde ich dann doch dort auftauchen. (Und die Werbetexte für das Buch lassen ja so etwas ähnliches hoffen vermuten.)


    Zu den Posts:


    Die Diskussion wieder aufzuwärmen, bringt eher nichts. Ich sehe es jedoch so, daß die Schüler den Lehrer in den Tod getrieben haben und damit die Verantwortung dafür tragen. Die Rädelsführer und Chrissie direkt, die anderen als „Mitläufer“.


    Bei der Szene habe ich etwas genauer die die Beschreibung geachtet, es heiß, Herr Bonker trüge seine „Wanderkleidung“. Die war einige Seiten vorher beschrieben worden und hat (in ganz anderem Zusammenhang bzw. Sinn) recht ... unangenehme Erinnerungen an die eigene Kindheit erweckt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wir waren jedes Jahr auf Klassenfahrt- Skiwoche. Hätten wir solche Lehrer dabeigehabt wäre das geanuso abgelaufen- hatten wir aber nicht. Wieder zurückgeschickt zu werden, weil etwas passiert war wäre traumatisch gewesen, alle andern Klassen hätten es mitbekommen und der soziale Druck nichts zu tun, was über die normale Ausgelassenheit hinausging war enorm. Allerdings waren wir neben vier Unterrichtsstunden am Tag ja auch noch vier/fünf Stunden auf Skiern unterwegs, also durch Beschäftigung abgelenkt von allzu großen Dummheiten. Wenn Falk nicht mitgekommen wäre, wäre die Isolation für ihn noch größer geworden, außerdem - darauf lassen die Gedanken beim Zimmerbezug schließen hatte er wohl zunächst Hoffnung in Klassenfahrtatmosphäre etwas entspannter mit der Klasse umgehen zu können.

  • Zitat

    Original von SiCollier


    Die Diskussion wieder aufzuwärmen, bringt eher nichts. Ich sehe es jedoch so, daß die Schüler den Lehrer in den Tod getrieben haben und damit die Verantwortung dafür tragen. Die Rädelsführer und Chrissie direkt, die anderen als „Mitläufer“.


    Ich sehe das etwas anders. Verantwortlich für den Tod des Lehrers ist dieser in erster Linie selbst. Er wurde nicht von fremder Hand ums Leben gebracht. Die Ursache für seinen Suizid mag im Verhalten der Schüler gelegen haben - allerdings liegt hier der Schluss nahe, dass das Verhalten der Schüler wohl der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Natürlich war das Verhalten der Schüler nicht korrekt, es war sogar extrem verantwortungslos; aber oftmals überschauen Menschen - und nicht nur junge Menschen - nicht die Folgen ihres Tuns.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ich sehe das etwas anders. Verantwortlich für den Tod des Lehrers ist dieser in erster Linie selbst. Er wurde nicht von fremder Hand ums Leben gebracht.


    Es ist mir klar, daß Du das juristisch sieht. No offence - das kann/will ich nicht. Paragraphen sind das Eine. Die Schuldfrage hier das Andere. Und das Verhalten der Schüler ist mE Auslöser für den Selbstmord - Ursache und Wirkung.


    Und nein, ich möchte mich diese Woche nicht auf eine juristische Diskussion einlassen. Zu sehr habe ich mich dieser Tage über zwei juristische Dinge aufgeregt, mein „Gift und Galle Vorrat“ ist dermaßen groß, daß es nicht günstig wäre, den hier zu „verarbeiten“. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ich sehe das etwas anders. Verantwortlich für den Tod des Lehrers ist dieser in erster Linie selbst. Er wurde nicht von fremder Hand ums Leben gebracht. Die Ursache für seinen Suizid mag im Verhalten der Schüler gelegen haben - allerdings liegt hier der Schluss nahe, dass das Verhalten der Schüler wohl der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Natürlich war das Verhalten der Schüler nicht korrekt, es war sogar extrem verantwortungslos; aber oftmals überschauen Menschen - und nicht nur junge Menschen - nicht die Folgen ihres Tuns.


    Das sehe ich auch ohne juristische Vorbildung ganz genau so. Ich glaube, dass sich viele einfach auch dazu hinreißen lassen, den Schülern die Schuld zu geben, weil es sich einfach um so richtige Sch***-Kinder handelt (Sorry, aber der Ausdruck trifft es genau). Würde es sich hier um ansonsten nette Schüler handeln oder hätte man auch eine andere Seite der Schüler gesehen, dann würde das Urteil vielleicht bei dem einen oder anderen anders ausfallen.

  • Zitat

    Original von Groupie


    Das sehe ich auch ohne juristische Vorbildung ganz genau so. Ich glaube, dass sich viele einfach auch dazu hinreißen lassen, den Schülern die Schuld zu geben, weil es sich einfach um so richtige Sch***-Kinder handelt (Sorry, aber der Ausdruck trifft es genau). Würde es sich hier um ansonsten nette Schüler handeln oder hätte man auch eine andere Seite der Schüler gesehen, dann würde das Urteil vielleicht bei dem einen oder anderen anders ausfallen.


    Spätestens als die drei Anstifter Falk so brutal überfallen, bzw. die Klasse und auch den Vertrauenslehrer unter Druck setzen bzw. erpressen, machen zumindest sich diese 3 zu Tätern. Es ist für mich einfach schwer das eine vom anderen zu trennen und nicht als Gesamtschuld (im moralischen Sinne) zu sehen.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

  • Zitat

    Original von Saiya
    Spätestens als die drei Anstifter Falk so brutal überfallen, bzw. die Klasse und auch den Vertrauenslehrer unter Druck setzen bzw. erpressen, machen zumindest sich diese 3 zu Tätern. Es ist für mich einfach schwer das eine vom anderen zu trennen und nicht als Gesamtschuld (im moralischen Sinne) zu sehen.


    Das meine ich ja gerade. Für mich sind das halt zwei völlig verschiedene Dinge. Als die drei Falk überfallen, sind sie ganz klar die Täter. Sie tragen die volle Schuld. Und so gerne auch ich es den Schülern in die Schuhe schieben würde - Rachegelüste müssen ja einfach aufkommen -, ich kann ihnen für den Tod des Lehrers nicht die Schuld geben. Dass sie eine Menge (anderer) Schuld auf sich geladen haben, sehe ich definitiv genau so, aber das ändert für mich nichts.

  • Machtmißbrauch ist eine große Gefahr bei Lehrern im Verhältnis zu Schülern, aber manchmal kehrt sich dieses Verhältnis auch um. Hier haben die Schüler vorsätzlich Machtspielchen getrieben und bei genauem Überlegen hätten sie darauf kommen können, dass diese Spaß für so eine schwache Natur wie den Lehrer tödlich ausgehen könnte. Juristisch nenne ich so etwas Eventualvorsatz- mir ist klar was da passieren kann, aber mir ist die Folge meines Tuns scheißegal. Hier ging es um eine Machtdemonstration um nichts anderes, die Schüler sind kein 12 mehr, die wußten, was sie tun.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Juristisch nenne ich so etwas Eventualvorsatz- mir ist klar was da passieren kann, aber mir ist die Folge meines Tuns scheißegal.


    Ob ihnen die Folgen so klar waren, vermag ich momentan nicht zu beurteilen. "Scheißegal" waren sie ihnen auf jeden Fall. Sowohl während der Klassenfahrt als auch beim Überfall auf Falk, wo sie mE schwere Verletzungen mit entsprechenden Folgen billigend in Kauf genommen haben.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die Klassenfahrt hat mich ein bischen an meine eigene Abschlussfahrt erinnert und die war sehr turbulent. Mein Lehrer hing zwar nicht tod am Baum sondern lag mit einer Gehirnerschütterung und zwei gebrochenen Rippen im Krankenhaus, da er so betrunken war und im Bad gestürzt ist. Und das fand ich schon schlimm. Eine Verwahrnung etc. hat er für den Vorfall nie bekommen.


    Der Selbstmord von Herrn Bonke hat mich ganz schön geschockt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Schüler ihm nur einen Denkzettel verpassen wollten und nicht geahnt haben, was sie damit anrichten bzw. auslösen.


    Den Überfall auf Falk fand ich ganz schön heimtückisch und feige (drei gegen einen). Eigentlich hätte Falk seine Mitschüler anzeigen sollen. So kommen sie leider ungeschoren davon.


    Ich bin schon gespannt wie das Wiedersehen mit Karin wird. ;-)

  • Tut mir leid, dass ich erst jetzt wieder einsteige, aber aufwändige Renovierungen in meiner Wohnung haben mich lesetechnisch etwas lahmgelegt gehabt.


    Wow … das Buch nimmt gefangen und berührt. Diese Außenseiterposition kenne ich nur zu gut. Aber die Züge, die hier angenommen werden, sind doch mehr als krass. Ein sehr bedrückender Abschnitt, der absolut realistisch rüberkommt.


    Auch bei uns – sowie wohl in jeder Klasse – gab es die „Coolen und Tollen“, die „Schönen“ und die Außenseiter. Und in dem Alter sind sie alle mehr als schwierig (habe selber grad nen 16jährigen Sohn, der voll pubertiert). Wie kann man da auf eine Klassenfahrt überhaupt solche Lehrer mitschicken. Geht ja gar nicht, da hätte ich als Elternteil wahrscheinlich schon etwas gesagt. Was Herr Bonker da im Gebüsch gemacht hat, geht natürlich gar nicht. Aber was die anderen dann mit ihm gemacht haben hat nichts mehr mit einem dummen Streich, ihm einen auswischen oder sonst was zu tun. Das ging total unter die Gürtellinie. Aber da hätte Herr Bonker auch andere Konsequenzen ziehen können und sich auch der Verantwortung stellen können. Selbstmord ist immer der letzte Schritt, da muss schon einiges mehr vorgefallen sein, bei ihm selber.


    Chrissies Verhalten und danach und ihr Zusammenbruch sind für mich sehr verständlich. Wenigstens einer von denen, die das doch etwas berührt. Leider erfährt man nicht, wie es in den Jungs selber vorgeht, oder es kommt noch.


    Falk versucht die Demütigungen nicht zu sehr an sich rankommen zu lassen, obwohl er ein krasser Außenseiter ist. Absolut daneben ist die Sache mit dem zerschnittenen Gesicht und die daraus resultierende Gesichtslähmung. Da hört dann der Spaß auf. Aber Falk gibt sich nie auf, er wächst aus diesen ganzen Situationen.


    Schön, dass Karen wieder auftaucht, sie scheint bis jetzt der einzig konstante Mensch neben seiner Mutter zu sein. Das freut mich.


    Bin gespannt auf Minka und nun muss ja auch bald die Zeit kommen, wo er seinen Vater und seine Schwester wiedersieht ... verzieh mich jetzt ins Bett und lese weiter.

    :lesend Sina Beerwald die Muse des Teufelsgeigers

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    Hörbuch: Jean-Luc Bannalec - Bretonische Nächte

    SuB: 320

  • Puh, interessanter Abschnitt und interessante Diskussion hier...


    Wer ist schuld am Tod des Lehrers? Ich war/bin sehr überrascht, dass hier viele in erster Linie den Schülern die Schuld geben. Natürlich war ihr "Streich" letztendlich der Auslöser, aber ich würde die Schuld trotzdem wie Suzann auf mehrere Schultern verteilen. Ich weiß nicht, ob Schüler in dieser Situation (noch dazu solche Schüler) mit so einem Ende rechnen. Ich denke, so weit haben sie gar nicht gedacht. Sie demütigen und machen alle nieder, die ihnen in den Weg kommen, fühlen sich cool und unangreifbar.


    Schlimm finde ich, dass zwei solch inkompetente Lehrer miteinander auf Klassenfahrt gehen. Noch dazu mit so einer Klasse. Da tragen für mich auch ein Stück weit die Verantwortlichen in der Schule Schuld. Nicht direkt am Tod, aber dass es zu irgendwelchen Eskalationen kommt.


    Aber gibt es wirklich solche Klassen? Ich lebe zwar in einer Kleinstadt und war ab der 7. Klasse in einer reinen Mädchenschule, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu unserer Zeit (und in der Zeit spielt ja in etwa die Geschichte) solche Zustände in Schulen gegeben hat. Wobei ich natürlich nicht weiß, wie es in den 80ern in Großstadtschulen zuging :gruebel

  • Zitat

    Original von kissy
    Da sehe ich es wie Tom: Gut, Herr Bonker wurde am See erwischt, aber das gibt den Kids noch lange kein Recht dazu, ihn öffentlich bloßzustellen! Ich will das jetzt nicht schönreden, aber am See hat er noch nichts Schlimmes gemacht. Nur Gucken, nicht anfassen. In der Herberge allerdings hat Chrissie ihn angemacht. Da muss der doch den Kopf verlieren.


    Obwohl der Beitrag schon länger her ist, will ich ihn nicht so stehenlassen. Beim Lesen hatte ich einen rießigen Kloß im Hals. Bonker hat definitiv nicht nur geguckt! Er hat selber Hand an sich gelegt. Okay, kann passieren. Aber was dann in der Herberge abging war absolut nicht entschuldbar. Von einem Lehrer (noch dazu einen erfahrenen) erwarte ich auch in so einer Ausnahmesituation einigermaßen korrektes Verhalten. Und auch wenn fünf pudelnackte Mädels in seinem Bett gelegen hätten, hätte er nichts machen dürfen, außer sie rausschmeißen oder selber rausgehen! Aber sich einen runterholen, vor den Augen einer vielleicht Sechzehnjährigen - das geht einfach nicht! :fetch Da kann sie ihn noch so sehr angemacht haben. Es wird ja angedeutet, dass am Ende des Buches nochmal davon die Rede sein wird - ich bin gespannt, ob sich meine Meinung dann ändert, kann mir das momentan aber überhaupt nicht vorstellen!


    Ansonsten stimme ich Gwendy mit ihrem vorigen Beitrag voll und ganz zu! :write Und natürlich vielen anderen vorher, die auch in diese Richtung argumentiert haben. Ich überlege schon die ganze Zeit, wie Bonker reagiert hätte, wenn sein Verhalten am See rausgekommen wäre. Mit diesem Druck wäre er sicher auch nicht fertiggeworden.


    Am meisten hat mich das Verhalten der beiden Lehrer geärgert und mir das Lesevergnügen etwas versaut. Da bin ich ganz auf kissys Seite:

    Zitat

    Ich hätte wahrscheinlich schon in Frankfurt den Bus umdrehen und zurückfahren lassen, spätestens allerdings nach der ersten Nacht in Frankreich.

    Dieses Ignorieren und den Kopf in den Sand stecken habe ich überhaupt nicht verstanden, schließlich tragen sie die Verantwortung für alle Schüler und da hätte es leicht auch ein anderes Todesopfer geben können.


    Falk sehe ich nicht so sehr als "krassen Ausenseiter", sondern mehr als Einzelgänger. Er will ja gar nicht dazugehören, genausowenig wie er einen Freund will.


    Was jetzt eine ganz andere Kategorie ist, ist der brutale, hinterhältige Angriff auf Falk. Das ist nicht als "Jugendstreich" anzusehen, sondern als bewusste Körperverletzung. Allerdings habe ich nicht wirklich verstanden, warum sie Falk nicht angezeigt hat. Das erklärt sich mir nur mit etwas verkehrter Jugendlichen-Gedankenwelt. Ist aber mit der Machart des Buches durchaus okay.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

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