Hier kann zu den Seiten 076 – 150 = "Stop Motion" (1980) bis einschließlich Kapitel "Erlösung" (1984) geschrieben werden.
'Sommerhit' - Seiten 076 - 150
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So, den zweiten Teil habe ich vorhin auch beendet. Mir gefällt es immer noch richtig gut. Mittlerweile habe ich auch ein ganz gutes Verhältnis zu Falk entwickelt. Er hat in der BRD eine wirklich schlimme Zeit – zumindest bis jetzt. Er ist ein krasser Außenseiter und hat es auch nicht grade gut getroffen mit seinen Schulkameraden.
Dass die Mutter völlig fertig ist, kann ich mir vorstellen. Allerdings kann ich ja auch immer noch überhaupt nicht nachvollziehen, wie sie ihre Tochter und auch ihren Mann in der DDR zurücklassen konnte. Dass sie jetzt depressiv ist und in ein großes Loch gefallen ist, ist ja irgendwie doch logisch. Für Falk macht es die Sache natürlich überhaupt nicht besser. Er hat nicht nur Vater und Schwester verloren, sondern irgendwie auch die Mutter. Sie scheint sich ja irgendwann wieder ein bisschen eingekriegt zu haben, aber das hat gedauert.
Was die Mitschüler angeht, so hätte es ihn schlimmer auch wohl wirklich nicht treffen können. Zwar gibt es in jeder Klasse Idioten, aber die hier beschriebenen scheinen ja besondere Prachtexemplare zu sein. Die Aktion mit dem Lehrer lässt einen irgendwie ein bisschen nachdenklich zurück. Erstens ist es natürlich völlig unfassbar, was der Herr sich da im Gebüsch leistet. Was macht man denn in einem solchen Fall? Oder was hätte Falk tun können? Dass sie den Lehrer dann in eine unglaubliche Situation bringen und dabei filmen, ist natürlich auch sehr krass. Allerdings habe ich wirklich keine Ahnung, an welcher Stelle der Ereigniskette Falk etwas (und vor allem was?) hätte tun können, um das Unheil abzuwenden. Ich hatte jetzt ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken, aber eine Lösung ist mir nicht so wirklich eingefallen. Falk ist ein krasser Außenseiter und er wird gedemütigt wann immer es geht. Wem hätte er sich denn anvertrauen können? Wie hätte er das verhindern sollen?
Dass die Schüler den Lehrer in den Tod "getrieben" haben, sehe ich so auch irgendwie noch nicht ganz. Natürlich war es diese Aktion, die den Ausschlag gegeben hat. Aber wenn ich das richtig verstehe, hat ihn ja beim ersten Mal niemand ins Gebüsch gezwungen. Und beim zweiten Mal hat man ihm zwar das Mädchen ins Zimmer geschickt, aber als Lehrer hätte er doch davor zurückschrecken müssen. Es waren seine (mehr oder weniger bewussten) Entscheidungen, für die er die Verantwortung hätte übernehmen müssen. Das war ihm wohl nicht möglich, daher hat er sich für den Suizid entschieden. Mir ist klar, dass das an den meisten Schülern nicht so vorbeigeht, da sie ja schon auch daran beteiligt waren, allerdings würde ich ihnen hier nicht die Hauptschuld geben. Ich finde die Situation wirklich ganz schwierig. Hier würde mich echt interessieren, wie die anderen das sehen. Vielleicht denk ich auch selber noch mal ein bisschen darüber nach.
Ich freue mich, Karen wiederzutreffen. Sie besucht Falk und das dürfte ihm ein bisschen helfen. Ich beneide ihn nun wirklich nicht. Außerdem scheint es mit ihm als Musiker weiter voran zu gehen. Auch darauf freue ich mich jetzt.
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Groupie, ich schließe mich dir vollumfänglich an.
Die Mitschüler: Radikale Exemplare der Gattung, die wohl jeder Jahrgang hat. Leute, die sich das Mobbing auf die Fahnen geschrieben haben. Wer kennt sie nicht (wenn auch nicht in dieser Ausprägung)?Auch ich sehe es nicht so, dass die Schüler den Lehrer in den Selbstmord getrieben haben. Klar war das eine schreckliche Aktion, aber zum einen hat er den Schülern auch dankbar in die Hände gespielt und zum anderen hat ihn niemand gezwungen, sich aufzuhängen (mit runtergelassener Hose - das zeigt doch deutlich, dass der Mann krank gewesen sein musste). Das war alles allein seine Entscheidung.
Dass Chrissie sich rächen und den Lehrer bloßstellen wollte, konnte ich sogar verstehen. Von einer Person, von der man abhängig ist, so hintergangen zu werden, muss sich absolut widerwärtig anfühlen. Da geifert man schnell mal nach Vergeltung im Schutz der Freunde (oder denen, die man dafür hält).
Zum anderen verstehe ich aber auch Falks Schuldgefühle und seine Auffassung, die Klasse hätte den Lehrer "ermordet", auch wenn ich es anders sehe. Das ist irgendwie typisch für Menschen mit geringem Selbstbewusstsein: An allem geben sie sich die Schuld.Falk tat mir in diesem Abschnitt sehr leid. Hin und wieder hätte ich ihn gerne geschüttelt - Mensch, spiel doch nicht das dankbare Opfer! Lass dir doch nicht alles gefallen! - aber das ist eben vollkommen typisch in diesem Alter. Später weiß man es besser. Außerdem stolpert man hinterher überall über diese Menschen, die im Sport immer als letztes gewählt wurden (oder auf der Bank saßen, weil man ihren Turnbeutel in einen Baum geworfen hatte). Soll heißen: Mit etwas Abstand sieht man, dass die Welt voller Außenseiter ist, obwohl man sich in der Situation immer als den einsamsten Menschen der Welt gesehen hat.
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Zitat
Original von Mulle
Falk tat mir in diesem Abschnitt sehr leid. Hin und wieder hätte ich ihn gerne geschüttelt - Mensch, spiel doch nicht das dankbare Opfer! Lass dir doch nicht alles gefallen! - aber das ist eben vollkommen typisch in diesem Alter. Später weiß man es besser. Außerdem stolpert man hinterher überall über diese Menschen, die im Sport immer als letztes gewählt wurden (oder auf der Bank saßen, weil man ihren Turnbeutel in einen Baum geworfen hatte). Soll heißen: Mit etwas Abstand sieht man, dass die Welt voller Außenseiter ist, obwohl man sich in der Situation immer als den einsamsten Menschen der Welt gesehen hat.
Ja, das ging mir genau so. Ich habe auch im richtigen Leben so oft den Drang, einige Kinder einfach mal zu schütteln und ihnen zu sagen, dass sie sich nicht in die Opferrolle drängen lassen sollen, aber das ist in dem Alter leider nicht so leicht. Wie du richtig sagst, die Welt ist voller Außenseiter und im späteren Leben ist das völlig unwichtig. Das Leben bleibt nicht immer ein Schulhof mit Mitschülern, die NUR mobben wollen. Aber wie erklärt man das einem Jungen, der gerade das durchmachen muss? Und wird es ihm helfen, zu wissen, dass das irgendwann aufhören wird? -
Hierzu nun auch gleich noch mein Eindruck:
Die beschriebene Klasse im Westen muss für Falk wirklich die Hölle gewesen sein. So was kann er aus dem Osten ja kaum gekannt haben. Es gab bei uns (und ich komme aus der Provinz, aus Ostberlin kamen einem da noch ganz andere Sachen zu Ohren) gab es zwar natürlich auch Außenseiter unter Lehrern und Mitschülern, die gemobbt wurden, aber insbesondere die Renitenz auf der Klassenfahrt fand ich schon erschreckend!
Seine Hilf- und Wortlosigkeit rührt für mich vor allem daher, dass er sich wahrscheinlich vorkam, wie im falschen Film, die Regeln nicht kannte und ihm als Neuer und dann noch aus dem Osten auch niemand beachtet hat. Er konnte sich ja nur mit den anderen "Losern" zusammentun, auch wenn er einen völlig anderen Hintergrund hatte.
Insgesamt fand ich diesen Abschnitt sehr bedrückend und mir ist schleierhaft, wie er sich überhaupt aufraffen konnte, jeden Tag in die Schule zu gehen...
LG,
Babs -
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass gleich zwei von Euch die Schuld an Herrn Bonkers Tod nicht bei den Schülern sehen, sondern bei ihm selbst. Natürlich trägt er die Ursache in sich, fraglos, aber unmittelbarer Auslöser war die öffentliche, gezielte Bloßstellung seiner "Neigung", eben die Selbstjustiz der Schüler. Mmh.
Übrigens hängt er nicht mit heruntergelassener Hose am Baum. Seine Beine sind halbnackt, weil er die Wanderkleidung trägt. Den Strick hat er aus seinen Anzughosen angefertigt.
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Zitat
Original von Babsbara
Die beschriebene Klasse im Westen muss für Falk wirklich die Hölle gewesen sein. So was kann er aus dem Osten ja kaum gekannt haben. Es gab bei uns (und ich komme aus der Provinz, aus Ostberlin kamen einem da noch ganz andere Sachen zu Ohren) gab es zwar natürlich auch Außenseiter unter Lehrern und Mitschülern, die gemobbt wurden, aber insbesondere die Renitenz auf der Klassenfahrt fand ich schon erschreckend!
Um mal eine Lanze für den Westen zu brechen: Ich fand meine Schulzeit zwar auch hart, es gab immer Mobber und Gemobbte (schlimm eigentlich, wie selbstverständlich sowas ist) aber solche Intensität wie im Buch war auch bei uns keinesfalls normal.
ZitatOriginal von Tom
Ich finde es sehr bemerkenswert, dass gleich zwei von Euch die Schuld an Herrn Bonkers Tod nicht bei den Schülern sehen, sondern bei ihm selbst. Natürlich trägt er die Ursache in sich, fraglos, aber unmittelbarer Auslöser war die öffentliche, gezielte Bloßstellung seiner "Neigung", eben die Selbstjustiz der Schüler. Mmh.Auslöser ... hm, ich glaube nicht an Auslöser eines Suizids. Das hat allein der in der Hand, der es tut (zumindest bei erwachsenen, gesunden Menschen). Herr Bonker hätte auch mit der Konsequenz seiner Fehltritte weiterleben können - auch wenn es hart geworden wäre -, niemand hat ihn gezwungen, sich das Leben zu nehmen.
Wenn es hier eine Schuld gäbe, dann wäre auch jemand schuld, der die Liebe eines anderen Menschen abweist, der ohne erwiderte Liebe nicht weiterleben will und sich tötet; oder ein Vorgesetzter, der den Angestellten feuert und diesem die Existenz versaut, worauf der Suizid begeht.Suizid sehe ich als eine Entscheidung, die jemand für sich allein trifft.
ZitatOriginal von Tom
Übrigens hängt er nicht mit heruntergelassener Hose am Baum. Seine Beine sind halbnackt, weil er die Wanderkleidung trägt. Den Strick hat er aus seinen Anzughosen angefertigt.Oh, dann hatte ich das falsch verstanden, sorry.
Ich hab im Kopf, dass sein Penis beschrieben wird ... aber das war dann wohl der Vergleich vom Vortag. -
Babsbara :
Dass das mit dem Mobbing eine West-Sache ist, glaub ich auch definitiv nicht. Bei uns gab es das zwar auch immer mal, aber die Intensität hat das zu keiner Zeit erreicht. Nicht mal annähernd.Tom :
Ich sehe das zumindest so ähnlich wie Mulle. Zwar glaube ich, dass keiner, der Selbstmord begeht, gesund ist, aber bei der Schuldfrage wäre ich auch ganz vorsichtig. Wenn wir anfangen, anderen die Schuld für einen Selbstmord zuzuschieben, dann befinden wir uns auf ganz dünnem Eis. Wo wollen wir da anfangen und wo aufhören? Mulles Beispiel mit dem Chef fand ich eigentlich ganz gut. Wenn er jemanden feuert, obwohl er weiß, dass er damit die Existenz einer ganzen Familie bedroht, kann man ihn dann für den Suizid des Entlassenen verantwortlich machen? Suizid wird ja nicht umsonst auch Freitod genannt. Die Selbstmörder haben immer auch die Wahl, einen anderen (meistens allerdings schwereren) Weg zu gehen. -
Ich fand diesen zweiten Abschnitt auch sehr bedrückend. Bei mir wurde in der Schule auch gemobbt, aber sicher nicht in diesem Ausmaß. Allerdings war das auch eine ländliche Region.
Ich finde es wirklich unverantworlich solche Lehrer eine Klassenfahrt begleiten zu lassen, es wäre auch bei einer harmloseren Klasse sehr wahrscheinlich gewesen, dass die Lage bei Schülern in diesem Alter eskaliert. Aber leider gibt es wirklich solche Lehrer...
Das "Attentat" hat mich sehr erschrocken. Eigentlich müsste Falk doch bei solchen Verletzungen sehr schlimme Narben zurückbehalten. Den Text habe ich aber so verstanden, dass sich die Folgen wohl im Rahmen halten. -
Hallo, Groupie.
Nun, es gibt rechtliche Schuld - und moralische Schuld. Rechtlich tragen die Schüler keine (oder nur wenig - ein bisschen durchaus) Schuld am Selbstmord des Lehrers; moralisch jedoch haben sie in initiiert und billigend als mögliche Konsequenz in Kauf genommen, wenn auch vielleicht unbewusst. Der Auslöser war ja nicht nur das Erwischtwerden am See (hier müsste ich allerdings vorgreifen, denn zu diesem Thema kommt später, am Ende des Buches, noch etwas), sondern vor allem die organisierte Bloßstellung, das Spiel mit seinen - fraglos widerwärtigen - Trieben. Die Situation von Herrn Bonker war nach der Szene am See bereits ... nun, schwierig. Nach der inszenierten Szene in seinem Zimmer wurde sie ausweglos.
Genau darum geht es auch. Um die Konsequenzen des Treibens von Gruppen, die sich sicher wähnen. Und vermeintlich sogar das Recht auf ihrer Seite haben, auch das Recht, Schwächere zu drangsalieren.
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Ich bin mit dem Thema irgendwie auch noch nicht so ganz durch. Ich werde noch mal über das nachdenken, was du dazu geschrieben hast. In gewisser Weise, hast du Recht, aber auf der anderen Seite ist mir das ein bisschen zu einfach. Ich mach mir dazu noch mal ein paar Gedanken :gruebel.
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Da sehe ich es wie Tom: Gut, Herr Bonker wurde am See erwischt, aber das gibt den Kids noch lange kein Recht dazu, ihn öffentlich bloßzustellen! Ich will das jetzt nicht schönreden, aber am See hat er noch nichts Schlimmes gemacht. Nur Gucken, nicht anfassen. In der Herberge allerdings hat Chrissie ihn angemacht. Da muss der doch den Kopf verlieren.
Die Kids wollten einfach nur ihren Spaß haben, und den haben sie, indem sie andere, egal wen, niedermachen. Und über Konsequenzen hat keiner nachgedacht. Wenn er sich nicht umgebracht hätte, dann hätten sie ihn wohl für gute Noten erpresst...
Als ich diesen Abschnitt gelesen habe, war ich grad mit 12-14-jährigen Kids im Ferienlager. Die waren auch nicht einfach, aber nicht mal ansatzweise so krass drauf. Ich hätte wahrscheinlich schon in Frankfurt den Bus umdrehen und zurückfahren lassen, spätestens allerdings nach der ersten Nacht in Frankreich. Wir Betreuer haben uns (nicht den Kids) gesagt, dass sie ruhig ein bisschen Scheibe spielen können, solange sie es nicht zu offensichtlich machen. Gut wir waren mitten im brandenburgischen Nirgendwo, ohne Alkohol und Zigaretten, dafür mit Wald und See. Wenn die (großen) Kids also nach der Nachtruhe noch zum See wollen, ist das in Ordnung, aber wenn sie dabei so laut sind, dass wir das offiziell mitbekommen müssen, dann nicht mehr. Womit ich eigentlich nur sagen will, dass sich die Kids in dem Buch so offensichtlich danebenbenommen haben, dass ich zu ihrer eigenen Sicherheit die Klassenreise vorzeitiug beendet hätte...
edit Mulle : Falk vergleicht die Zunge des Lehrers mit dessen Penis...
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@ Mulle und Groupie:
Sorry, da hab ich mich wohl etwas missverständlich ausgedrückt. Ich wollte keinesfalls sagen, dass das die normalen Zustände an westdeutschen oder Westberliner Schulen waren. Ich denke vielmehr, dass diese Klasse schon recht überhöht in dieser drastischen Art dargestellt wird. Aber das ist ja ein probates literarisches Mittel
LG,
Babs -
Noch mal zu der Schuldfrage (ja, ich weiß, ich bin lästig).
Man kann ja mal rumspinnen, dass die Sutuation eine andere war, aber mit gleichem Ergebnis.
Nehmen wir mal an, die Klasse hätte nicht aus machtgeilen Nullnummern bestanden, es hätte stattdessen eine freundschaftlicher Umgang geherrscht. Und Chrissie und das andere Mädchen wären vom spannernden Lehrer schwer verstört worden und hätten sich dann den Klassenkameraden anvertraut.
Es geht ein bisschen hin und her, es schaukelt sich vor Wut und Empörung ein bisschen hoch wie das in großen Gruppen erregter Jugendlicher vorkommt ("Wisst ihr noch - die Anna! Die hat ganz plötzlich die Schule gewechselt. Was, wenn er die vergewaltigt hat!" - "Oh Gott, du musst das jemandem sagen, Chrisse!" - "Aber das glaubt mir doch keiner! Der wird es abstreiten und dann ...?")
Dann sagt unweigerlich jemand: "Wir müssen das beweisen!", man trinkt sich Mut an und schon endet das ganze mit vollkommen anderen Motiven aber demselben Ergebnis.
Die Schüler schaffen Beweise. Der Lehrer ist nicht bereit, sich den Konsequenzen seines Fehltritts zu stellen.
Würde dann noch jemand von moralischer Schuld reden?Und nein, so anders ist die Situation nicht. Denn wir erleben das Ganze aus Falks Sicht, und die ist nunmal zwangsweise sehr einseitig. Falk kann gar nicht wissen, ob Gerry so ein Arsch ist, weil er Spaß am Mobbing hat oder weil er damit kompensiert, dass er sich so klein fühlt, weil sein Vater ihn ständig verdrischt. Oder ob Thomas mit Herrn Bonker abrechnet, weil er ihn an seinen Onkel erinnert, der ihn missbraucht hat.
Oder ob Chrissie nicht in Wirklichkeit schwer verstört ist, dass ausgerechnet der Lehrer sie bespannt hat.Solche Situationen sind selten eindeutig und Menschen werden ja nicht grundlos zu Gerrys und Thomasen. Moralische Schuld müsste man dann ja Generationen weitergeben.
Man muss sich auch mal fragen, was Chrissie denn hätte tun sollen. Sexuelle Belästigung war damals noch nicht das Thema, das es heute ist.
Ich erinnere mich gut an einen Lehrer, von dem die ganze Schule wusste, dass er Mädchen im Sportunterricht betatschte. Er stritt es ab. Das ging soweit, dass die Mütter der 5.Klässler abwechselnd im Sportunterricht Wache hielten. Der Mann unterrichtete noch zwei Jahre an dieser Schule, es gingen Dutzende Beschwerden ein, die er immer als "Komplott" bezeichnete - dann wurde er versetzt. Um einen Neuanfang machen zu können.Was also tun? Ignorieren, schließlich hat der Bonkert nur geguckt?
Hm. Und wenn dann hinterher rauskommt, dass er andere Mädchen missbraucht hat, weil keiner ihn aufgehalten hat? Moralische Schuld tragen?Klar, die Aktion mit dem Bloßstellen war Scheiße. Aber Nichtstun hätte schlimmere Konsequenzen nach sich ziehen können und wäre ein noch größerer Haufen gewesen.
Man darf von 16/ 17 Jährigen doch definitiv nicht erwarten, dass sie sich in extremen Situationen richtig verhalten, die schon die meisten Erwachsenen überfordern. -
Ich habe jetzt noch ein bisschen hin und her überlegt und mich auch noch mal mit einer Freundin darüber ausgetauscht. Ich bleibe aber bei meiner Meinung und stimme Mulle voll zu. Ich verstehe zwar, was du zu sagen versuchst, Tom, allerdings deckt sich das tatsächlich nicht mit meiner Auffassung von Schuld.
kissy :
Ich hoffe, dass du das nicht ernst meinst, wenn du sagst, dass er noch nichts Schlimmes gemacht hat. Das hat er sehr wohl. Er hat jegliche Grenzen, die für einen Menschen gelten und insbesondere für ihn als Lehrer, überschritten. -
Hallo, Mulle.
Ich verstehe Deine Argumentation, kann sie aber nicht ganz nachvollziehen. Herr Bonker hat am See "gespannt", sich gar einen runtergeholt, und die Mädchen haben gelacht (!) nachdem sie ihn entdeckt haben - das sind die Fakten. Deine Gedanken über Ursachen und Konsequenzen sind interessant, aber spekulativ - die Figuren im Buch sind die Figuren im Buch und nichts weiter (übrigens sind die Mädchen zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt). Ich will Herrn Bonker nicht in Schutz nehmen, was auch nicht geht, weil es ihn nicht gibt, sondern lediglich die Figur, die so ist, wie sie im Buch (relativ ausführlich) gezeichnet wird. Er macht etwas Falsches, fraglos, aber er ist auch - ohne ihn in Schutz nehmen zu wollen - eine armselige Kreatur. Sein Vergehen besteht bis dato unterm Strich darin, beim Anblick zweier nackter Siebzehnjähriger seinen Schwanz in die Hand genommen zu haben. Das ist verwerflich, denn er ist nicht nur ein erwachsener Mann und die beiden sind junge Mädchen - und er ist auch noch ihr Lehrer. Die einzig richtige Konsequenz aus dieser Situation wäre gewesen, sie zügig den Verantwortlichen (also mindestens der begleitenden Lehrerin, der Schulleiterin o.ä.) zu melden. Ein faktischer Schaden zu Ungunsten der Mädchen ist aus der Situation noch nicht abzuleiten. Er ist möglich, aber spekulativ. Durch Rache wäre er jedenfalls nicht abzuwenden!
Dann erkennen die "Starken" der Klasse das Potential dieser Situation, und hier stellt sich die Frage, warum sie Rache üben, indem sie diese "Schwäche" (ich weiß, das ist ein schaler Euphemismus) des Lehrers weiter nutzen und ihn bloßstellen. Tun sie das, um dem Recht zum Sieg zu verhelfen, um Schlimmeres zu verhindern? Das wäre, obwohl es letztlich um Selbstjustiz ginge, noch vergleichsweise moralisches Handeln, wenn man auch über die Mittel und Wege streiten könnte. Aber das sind eben nicht ihre Beweggründe, die man, wie ich finde, relativ gut erkennen können sollte. Sie tun das, weil sie dazu in der Lage sind, weil sie die manipulative Macht haben, das Spiel auf die Spitze zu treiben. Wie gesagt, zu dieser Situation gibt es gegen Ende des Buches noch einige, wie ich hoffe erhellende, weitergehende Informationen.
Tatsächlich versucht Herr Bonker, abzureisen, wird aber von Chrissie abgehalten.Ich streite gerne über diese Szene, weil sie eine Schlüsselszene ist, weil sie das Thema des Romans komprimiert. Macht muss man, wenn man sie schon hat, sehr sensibel einsetzen, und es gibt immer mindestens zwei Seiten, meistens aber noch viel mehr. Wenn man Macht benutzt, nur weil man kann, missbraucht man sie. Man stellt sich über die anderen, man schwingt sich zum Richter auf, man manipuliert und verneint das Recht der anderen, sich zu entscheiden. Gerry und Konsorten tun genau das, und sie tun es nicht, um zu helfen, sondern weil sie das einfach geil finden - und weil sie können. Damit machen sie sich und die anderen letztlich zu Mördern. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass Herr Bonker - vorsichtig ausgedrückt - einen Fehler gemacht und diesen sogar wiederholt hat. Ich will an der Tat von Herrn Bonker nichts beschönigen, ganz im Gegenteil. Aber die Tat der anderen ist die schlimmere.
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Zitat
Original von Tom
Hallo, Mulle.Ich verstehe Deine Argumentation, kann sie aber nicht ganz nachvollziehen. Herr Bonker hat am See "gespannt", sich gar einen runtergeholt, und die Mädchen haben gelacht (!) nachdem sie ihn entdeckt haben - das sind die Fakten. Deine Gedanken über Ursachen und Konsequenzen sind interessant, aber spekulativ - die Figuren im Buch sind die Figuren im Buch und nichts weiter
... okay, ich weiß, aber es sind halt recht gut dargestellte Figuren, weshalb ich ihnen Seiten zutraue, die dein Ich-Erzähler nicht sieht.
Jetzt sag mir nicht, dass sie diese Seiten nicht haben, denn einseitige Figuren mag ich nicht lesen.Ich habe gelesen, dass die Mädchen gelacht haben, habe dir aber auch zugetraut, dass sie, nachdem der Lehrer aus der Sicht war, heulend das Weite gesucht hätten und das Lachen nichts als eine Schutzreaktion war. Kann ich nicht wissen, wäre aber keine ungewöhnliche Reaktion.
Nimm es mal als Kompliment, dass ich dir zutraue, den Leser über Falks POV in die Irre zu treiben. Auch wenn ich nach deiner Antwort nicht mehr dran glaube, aber rein im Buch verbleibend ist für mich bisher noch alles offen; auch eine Auflösung, die die Situation völlig anders darstellt als Falk sie bisher sah.
Das ist positiv gemeint. Und wie gesagt, ich kann nachvollziehen, wie dein Protagonist die Situation wertet, ich finde ihn weiterhin sympathisch, aber ich finde trotzdem, dass er irrt. Was er tun darf. Und ich auch -
Zitat
Original von Tom
Ich streite gerne über diese Szene, weil sie eine Schlüsselszene ist, weil sie das Thema des Romans komprimiert. Macht muss man, wenn man sie schon hat, sehr sensibel einsetzen, und es gibt immer mindestens zwei Seiten, meistens aber noch viel mehr.Das Schlimme an dieser Szene ist, dass sie - leider - absolut realistisch ist. Solche Sachen bzw. solche ähnlichen Sachen passieren häufiger als man denkt, gerade auf Klassenfahrten scheint auch so mancher Lehrer völlig durchgeknallte Verhaltensweisen an den Tag zu legen.
Ich erinnere mich an einen Fall, der schon sehr lange zurückliegt, den ich aber während meiner Tätigkeit in der Rechtsabteilung der zuständigen Hamburger Behörde bearbeiten durfte. Dort hat es ein Lehrer geschafft, auf einer Klassenreise zwei Mädchen zu schwängern.
"Sommerhit" ist ein unglaublich realistisches und authentisches Buch. Nicht zuletzt ist es wohl darauf zurückzuführen, dass das Buch einen sehr intensiven und bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat.
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Hallo Tom,
ich habe heute Nacht über das ganze Thema noch mal nachgedacht (lässt mich irgendwie im Moment noch nicht los). In einigen Punkten hast du ja vielleicht Recht, aber siehst du es denn wirklich so, dass die Schuld am Tod in erster Linie bei den Schülern liegt? Gut, die Auflösung hinterher kann ja noch mal eine andere sein, aber mit dem bisherigen Wissen würde ich selbst die moralische Schuld - und es ist auch schon ein bisschen schwierig gerade bei der Thematik von Moral zu reden - nicht komplett auf die Schüler abwälzen. Es ist doch tatsächlich so, wie Mulle schon gesagt hat. Wir wissen nicht, was die Jungs zu solchen Monstern gemacht hat. Aber sicher ist doch auch, dass sie nicht so auf die Welt gekommen sind. Wenn hier überhaupt von Schuld die Rede sein kann, haben wir dann nicht vielleicht eine ganze Schuld-Kette? Ich will damit nicht rumnerven, es beschäftigt mich einfach.
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Zitat
Original von Tom
Hallo, Groupie.Nun, es gibt rechtliche Schuld - und moralische Schuld. Rechtlich tragen die Schüler keine (oder nur wenig - ein bisschen durchaus) Schuld am Selbstmord des Lehrers; moralisch jedoch haben sie in initiiert und billigend als mögliche Konsequenz in Kauf genommen, wenn auch vielleicht unbewusst. Der Auslöser war ja nicht nur das Erwischtwerden am See (hier müsste ich allerdings vorgreifen, denn zu diesem Thema kommt später, am Ende des Buches, noch etwas), sondern vor allem die organisierte Bloßstellung, das Spiel mit seinen - fraglos widerwärtigen - Trieben. Die Situation von Herrn Bonker war nach der Szene am See bereits ... nun, schwierig. Nach der inszenierten Szene in seinem Zimmer wurde sie ausweglos.
Genau darum geht es auch. Um die Konsequenzen des Treibens von Gruppen, die sich sicher wähnen. Und vermeintlich sogar das Recht auf ihrer Seite haben, auch das Recht, Schwächere zu drangsalieren.
Bis auf den Hinweis über weitere Auslöser, die am Ende des Buches noch dargestellt werden (soweit bin ich noch nicht), sehe ich das ganz genauso.
Die Jugendlichen haben das Recht selbst in die Hand genommen und den Lehrer quasi "zum Abschuss freigegeben". Diese Selbstjustiz stand ihnen nicht zu. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts nimmt sich die Anführergruppe ja noch weiteres dieser Art heraus. Und das kann ich auch nicht mit dem Fehlverhalten des Lehrers am See und in der Zimmerszene rechtfertigen. Natürlich hat er sich Chrissie gegenüber falsch verhalten, indem er sich auf ihre Avancen in der Art einließ, natürlich hat er nicht seinem Beruf entsprechend gehandelt, natürlich hat er eine Fürsorgepflicht, die er mehr als falsch verstanden hat, ABER niemand der Kids hatte das recht ihn so dafür bezahlen zu lassen.
Deshalb tragen sie für mich auch eine Mitschuld an dieser ausweglosen Situation dieses Mannes, die er nur noch auf eine schreckliche Art zu lösen vermochte.
Ich habe kein Verständnis für das Verhalten in der Klasse (und natürlich auch nicht für das Verhalten des Lehrer) und wie Falk ja am Ende so schön feststellt, hat er ebenfalls die Nase voll von den Rädelsführern, aber auch von den schweigenden Mitläufern.
Ich finde übrigens nicht, daß er sich selbst als Opfer sieht. Er versucht das beste aus dieser Situation zu machen und hat nicht aufgegeben wie Heiko und Arndt.
In diesem Abschnitt sind es Chrissie und Falk selbst die bezahlen müssen. Chrissie zerbricht an ihren Schuldgefühlen. Das wirklich schlimme daran ist, daß die Anführer der "Gang" sich hinter ihr versteckt haben. Sie wollten ihren Spaß, für den hat sie gesorgt und einen wirklich hohen Preis bezahlt. Sie ist das eigentliche Opfer. Ich bin gespannt, ob sie noch einmal in der Geschichte auftaucht und was aus ihr geworden ist.
Gegenüber Falk sind die Gruppenanführer noch einen Schritt weiter gegangen. Es ist ziemlich grotesk, daß Falk, der einem diktatorischen System entflohen ist, genau Opfer einer solchen Gruppe wird.
Als er den Kakao-Geruch wahrnimmt, hat ich beim Lesen Angst. Diese Beschreibung von Falks Gerüchen finde ich grandios. Aber das hab ich im ersten Abschnitt ja auch schon erwähnt.
Falk ist eine Person, die aber auch immer wieder in der Lage ist, das beste aus seiner Situation zu machen. Er konnte seinen Angreifern nicht entfliehen, also nimmt er ab, damit er beim nächsten Mal wenigstens weglaufen kann. Nicht nur sein Gesicht hat sich durch die Verletzungen verändert, sondern alles andere auch. Er hat sich nicht hängen lassen, sondern ist daran gewachsen. Das macht ihn mir noch symphatischer.
Mir gefällt auch, daß das Fehlen bzw. Verschwinden des Vaters und der Schwester auch immer noch Thema in diesem Abschnitt waren. Das hätte man auch übergehen können, aber es ist gut, daß das nicht passiert ist.
Ich habe jetzt noch wenige Seiten dieses Abschnitts vor mir (Karen besucht ihn gerade).
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht, auch im Hinblick auf das Selim-Özdogan-Zitat am Anfang.