'Sommerhit' - Seiten 151 - 215

  • Der dritte Abschnitt war ziemlich heftig. Da gibt es doch einiges, das man erst mal verdauen muss. Zwischendurch hatte ich richtige Gänsehaut. Gut, dass ich jetzt arbeitstechnisch eh erst mal eine Pause machen muss.


    Es freut mich total, dass Falk/Martin den Einstieg ins Musik-Geschäft so gut geschafft hat. Ich mag Minka irgendwie nicht. Gleich von Anfang an war da überhaupt keine Sympathie da. Wie sich später herausstellt, war das ja auch durchaus begründet ;-). Ich finde es auch toll, dass er es nach einer gewissen Zeit als Solo-Künstler probieren will. Ich finde es übrigens eigentlich alles andere als schlimm, dass Minkas viertes Album "Gold" heißt. Eigentlich kann sich Martin doch keinen besseren Start für seine eigene alleinige Karriere wünschen, oder? Man muss das doch nur richtig verkaufen. Dafür ist der Name doch "Gold" wert. Es sei denn natürlich, er möchte nicht, dass man ihn mit Minka in Verbindung bringt. Dann ist es eher hinderlich.


    Ich finde es total schön, dass Falk immer noch Kontakt zu Karen hat. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es bei der Freundschaft nicht bleibt. Zumindest bei ihr hat man doch schon mal das Gefühl, dass sie schon auch ein bisschen mehr für ihn empfindet. Er traut sich vielleicht noch nicht so richtig. Vielleicht kommt das ja noch?!


    Als Falk seinen Vater gehört/gesehen hat, hatte ich ganz doll Gänsehaut. Auch bei den Erzählungen haben sich die Haare aufgestellt. Immerhin hat der Vater erkannt, dass es wahrscheinlich/vielleicht doch ein Fehler war. Man weiß natürlich wirklich nicht, was sonst passiert wäre, aber ich glaube nicht, dass er noch mal so entscheiden würde.


    Was mit Sonja passiert ist, hatte ich mir so ähnlich schon fast gedacht. Das ist eine wirklich tragische Geschichte. Ich kann sehr gut verstehen, dass sie mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben will. Mir würde es sicher auch so gehen. Wie verloren/allein/zurückgelassen muss sie sich denn vorgekommen sein. Das finde ich wirklich ganz furchtbar. Ich finde es aber sehr schön, dass zumindest Falk wieder Kontakt zu seiner Schwester hat und auch seinen Neffen kennenlernen kann. Ich bin sehr gespannt, wie sich das im Laufe des Buches noch entwickeln wird. Ob sie ihren Eltern verzeihen kann? Ich bin mir da noch nicht sicher.


    Auf S. 184 unten ist übrigens ein kleiner Tippfehler, falls das für weitere Auflagen relevant ist. Da steht "An Abend..." statt Am Abend.

  • Zitat

    Original von Groupie
    Was mit Sonja passiert ist, hatte ich mir so ähnlich schon fast gedacht. Das ist eine wirklich tragische Geschichte.


    Sind solche Fälle eigentlich belegt, Tom? Dass Eltern ihre Kinder weggenommen wurden um sie in guten sozialistischen Familien aufwachsen zu lassen, wusste ich. Dass gerne auch mal unliebsame Leute mittels Unfall entsorgt wurden (Lutz Eigendorf) auch, aber von diesen Funktionärsclubs habe ich in Deinem Buch zum ersten Mal gelesen.

  • Aber Sonja ist doch in einer guten sozialistischen Familie aufgewachsen! (<-- Achtung, Ironie!) Offiziell war dieser Klub bestimmt nicht...

    "Leben, lesen - lesen, leben - was ist der Unterschied? (...) Eigentlich doch nur ein kleiner Buchstabe, oder?"


    Walter Moers - Die Stadt der träumenden Bücher

  • Hallo, Bouquineur.


    Zitat

    aber von diesen Funktionärsclubs habe ich in Deinem Buch zum ersten Mal gelesen


    Es gibt keine Belege für derlei (im Buch ist aber auch von einem "inoffiziellen Club" die Rede), und die vermeintlich kompetenten Menschen, die ich gesprochen habe, konnten auch keine Quellen für Derartiges nennen - aber es ist zumindest denkbar, und auch recht wahrscheinlich, denn abseits der öffentlichen Verlautbarungen geschah vieles. Tatsächlich gab es auch keine Prostitution in der DDR, sie hätte auch der offiziellen Auffassung energisch widersprochen, aber in der Realität wurden ab den späten Siebzigern - zuerst im Rahmen der Leipziger Messe - inoffizielle "Mitarbeiterinnen" eingesetzt, um als Prostituierte die Westbesucher auszuspähen. Und nicht unbedingt freiwillig.

  • Sonja hat es tatsächlich noch schlimmer erwischt als ich befürchtet hatte, dafür scheint sie sich aber gut gefangen und ein schönes Leben aufgebaut haben. zumindest hat es den Anschein.
    Das Kind wirkt etwas schattenhaft. :gruebel Wer weiß, was in dieser kleinen Familie noch unter der Oberfläche brodelt ...
    Dass sie mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben will, kann ich mehr als nur gut verstehen.


    Falks "Verwandlung" in Martin Gold scheint ihn vollkommen verändert zu haben, ich erkenne ihn kaum wieder! Endlich hat er auch mal Glück. Die glücklichen Zufälle, z.b. dass der Angriff sein Gesicht nicht dauerhaft entstellt, sondern sich sogar positiv auf sein Äußeres auswirkt, sowie der ihn vollkommen durchschauende ungarische Manager, der genau zur richtigen Zeit auftaucht, gönne ich ihm jetzt einfach mal.
    Seine Gedanken zu den TV-Berichten zur Wiedervereinigung kann ich gut nachvollziehen. Das war bei uns damals auch Thema, irgendjemand (ich glaub mein Politiklehrer, 5. Klasse, war es) sagte: "Da bekommt ein Land seine schwer erkämpfte Freiheit und alles, was die zeigen, ist, wie die Leute wie die Affen rennen und Bananen kaufen."

  • Dieser Abschnitt hat mich emotional so richtig "erwischt". Als Falk seinen Vater wiedersieht und Sonja ihre Eltern auf ihrer Sicht absolut zurecht abweist, hatte ich nicht nur einmal Tränen in den Augen. Das hat mich sehr berührt.


    Ich finde es gut, daß sie ihre Familie nicht kollektiv verurteilt, sondern trotz all dem, was sie erleben mußte, ihren Bruder dort heraus halten kann und sich mit ihm trifft.


    Als Falk erfahren hat, daß er Arndt Filmmaterial geerbt hat, war mir schon klar, was er darunter finden würde. Ich bin sehr gespannt, ob und wenn ja, was er daraus macht.


    Seine "Verwandlung" in Martin Gold ist ein bißchen unheimlich. Es ist wirklich so, als habe er sein altes Ich mit den Verletzungen in seinem Gesicht nach und nach abgelegt. Mit dem Anschauen des Klassenfahrt-Films scheint er sich endgültig von Falk und der damaligen Zeit verabschieden zu wollen. Ob ihm das wirklich gelingt? :gruebel


    Mir gefällt, daß er über die Jahre so selbstbewußt geworden ist und an sich und seine Musik glaubt. Mal sehen, wie sich seine Karriere nun im nächsten Abschnitt entwickelt.

  • Falk etabliert sich als Musiker, man bekommt ein paar nette Einblicke in den „Backstage“-Bereich. Die ersten Anzeichen für die Wiedervereinigung, die Reisefreiheit für DDR-Bürger, lässt Falk sofort nach einem Telefon schreien. Klar, die ganzen Jahre hat er nicht gewusst, was aus Vater und Schwester geworden ist.


    Dass es Sonja so schlimm ergeht, war wohl sicher nicht zu erwarten gewesen, aber immerhin möglich. Sie hatte ja gar niemanden, der sie hätte schützen können. Ihr Familie waren Republikflüchtlinge, der Vater im Gefängnis. Ich kann ihre Verbitterung verstehen, auch weil über ihren Kopf hinweg entschieden worden ist. Wie hätte sie wohl entschieden, wenn ihre Eltern ihr eine Wahl gelassen hätten? Nun, ich denke, auch wenn Sonja freiwillig geblieben wäre, dann hätte man sie doch für die Flucht ihrer Familie in irgend einer Weise bestraft.


    Hmmm, wenn man weiss, dass „nur“ wenige Jahre später sowieso alles anders wird, dann hätten sich sicher viele DDR-Flüchtlinge überlegt, einfach abzuwarten. Aber das war damals ja nicht abzusehen. Da stellt sich einem doch die Frage, ob die Entscheidung die richtige war, ob es das Wert war. Für Sonja gibt es da nur ein klares nein. Und der Rest der Familie? Schlimm, wie viele Leute früher tatsächlich vor dieser Entscheidung standen und sich gezwungen sahen, ihr Leben zu riskieren.
    Bisher erfährt man über den Hass des Vaters auf die DDR nur, dass er zu einem Umzug gezwungen wurde und, sein Ingenieurstudium aufzugeben. Ich hoffe, das wird noch ein bisschen mehr beleuchtet. Schließlich war sein Flucht/Ausreisewunsch der Auslöser für so einiges.

  • Der 9.11. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie ich den erlebt habe, vor allem wo. Ich weiß es nicht mehr. Schön, 1989 war privat ein durchaus ereignisreiches Jahr, in welchem und klar geworden ist, daß auch mit Anfang 30 das Leben eine unsichere Angelegenheit ist uns jederzeit zu Ende sein kann.


    Trotzdem seltsam, denn 9/11 hat sich mir auf eine Weise eingebrannt, daß ich noch ziemlich gute Erinnerungen daran habe. Obwohl mich der 9.11. eher persönlich betrifft weil ich, wie früher erwähnt, Verwandte „drüben“ hatte (damals lebte der Bruder meines Vaters noch, der infolge des 9. November dann zu unserer Hochzeit kommen durfte/konnte).


    Wobei wir die negativen Begleiterscheinungen der Wende hier auf westlicher Seite mehr oder weniger voll mitbekommen haben; im Buch werden die andeutungsweise erwähnt. 1989 zu einem Zeitpunkt, da die Geschehnisse des November noch nicht absehbar waren, zogen meine Schwiegereltern (damals noch in spe) ins eigene Haus nach Bad Hersfeld. Was für uns hieß, daß wir oft am Wochenende zu Besuch hierher fuhren. Die A5! Zwischen dem Gambacher Kreuz und dem Hattenbacher Dreieck gab es meist nur einen Stau ... durchgehend. Zum Glück sind die meisten dem Herdentrieb gefolgt und auf der Autobahn geblieben, wir kannten die Bundes- und Landstraßen neben der Autobahn auswendig.


    1992 sind wir selbst hierher gezogen. Meine Frau, die in einer Apotheke in Bad Hersfeld gearbeitet hat, könnte etliche Stories erzählen, die in der gegenseitigen Behandlung denen hier aus dem Buch am Plattensee ähneln - aber mit umgekehrten Vorzeichen. Es war durchaus ordentlich, was sie sich hat bieten lassen müssen.


    Ich erinnere mich auch noch, etwa an die Währungsunion. Zu der Zeit war ich bundesweit (West) für kleinere Verlage im Außendienst unterwegs. Gesprächspartner, die man teilweise seit Jahren kannte, hatten plötzlich Angst, ihre Meinung zu äußern. Als ob man unter ständiger Beobachtung stünde. Es gab ein ganz langsames gegenseitiges Herantasten, bevor man - ganz vorsichtig - Anklänge der eigenen Meinung durchblicken ließ und erst, wenn man sicher war, das der andere eine zumindest sehr ähnliche Meinung hatte, traute man sich, weiter über das Thema zu reden. Und das, obwohl man sich teilweise jahrelang kannte - plötzlich regierte das Mißtrauen.


    Vielleicht nicht ganz passend zum Buch, aber diese Erinnerungen sind unwillkürlich aufgestiegen.


    Seite 178, Hungaroton. Hungaroton? Hungaroton! „Import aus Ungarn, nur geringe Bestände, schnell bestellen.“ So etwa hieß es früher im jpc-courier, der (in schwarz-weiß) monatlich kam und in solchem Falle eine Liste von Schallplatten (!) bot, die in begrenzter Anzahl eingetroffen waren. Dann hieß es (Internet gab es noch lange nicht) Postkarte ausfüllen, abschicken - warten. Nach einigen Tagen kam evtl. ein Paket mit dem Schallplatten, aber nie mit allen bestellten. Irgendwer war immer schneller. Auf jeden Fall bin ich so in den Besitz einer meiner schönsten Vivaldi-Aufnahmen gekommen, mit dem Liszt Ferenc Chamber Orchestra, Budapest.


    Aber ich schweife schon wieder ab.


    Gestolpert bin ich auf Seite 179.
    So etwas wie Geschmack oder individuelle kulturelle Intelligenz gibt es nicht, nur Trends, denen erst wenige und dann alle folgen. Das übrige ist tradiert oder anerzogen.
    Den Satz habe ich zwei Mal gelesen, und immer noch nicht verdaut.


    Mit Zeitsprüngen habe ich normalerweise keine Probleme, bei dem auf Seite 186 bin ich jedoch gestolpert, ohne daß ich näher begründen könnte, warum.


    Und nochmals bin ich hängengeblieben, diesmal in eher positiven Sinn (als Gedankenanregung):
    Man weiß nicht, ob etwas ein Fehler war, wenn man nie die Gelegenheit hatte, die Alternative auszuprobieren.


    Seite 191, also auf den Verräter habe ich nicht getippt.


    Seite 203, die Filme. Das gibt wohl die „Muniton“ für das Klassentreffen.


    Die Wiedervereinigung der Familie brachte, zumindest im Hinblick auf den Vater, das zutage, was ich vermutet hatte. Sonjas Schicksal ist ... heftig. Das hatte ich so nicht erwartet.




    Zitat

    Original von Mulle
    "Da bekommt ein Land seine schwer erkämpfte Freiheit und alles, was die zeigen, ist, wie die Leute wie die Affen rennen und Bananen kaufen."


    Wobei das genau der Eindruck ist, den man (zumindest hier in der Gegend) damals bekommen mußte. Meine Schwiegereltern hatten damals oft Probleme mit dem täglichen Einkauf - weil die Ostdeutschen, salopp formuliert, in Scharen hier einfielen, sich wie die Herren aufspielten und alles leer kauften. Sorry, wenn das blöd klingt, aber so war das damals. Meine Frau hat sich seinerzeit (und das war ab 1992!) mehr als ein Mal von Ostdeutschen beschimpfen und unmöglich behandeln lassen müssen.



    Zitat

    Original von Wuermchen
    Nun, ich denke, auch wenn Sonja freiwillig geblieben wäre, dann hätte man sie doch für die Flucht ihrer Familie in irgend einer Weise bestraft.


    Das sehe ich auch so. Im Übrigen ist es so, daß Eltern für die Kinder entscheiden, was gerade bei solchen Entscheidungen, wenn es auch noch verschiedene Meinungen gibt, eminent problematisch ist. Im „Bernsteinamulett“ von Peter Prange gibt es, wenn ich es richtig erinnere, eine ähnliche Situation. Nur daß das „Kind“ beschließt, in der DDR zu bleiben und die Familie dadurch getrennt wird.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Bouquineur.



    Es gibt keine Belege für derlei (im Buch ist aber auch von einem "inoffiziellen Club" die Rede), und die vermeintlich kompetenten Menschen, die ich gesprochen habe, konnten auch keine Quellen für Derartiges nennen - aber es ist zumindest denkbar, und auch recht wahrscheinlich, denn abseits der öffentlichen Verlautbarungen geschah vieles. Tatsächlich gab es auch keine Prostitution in der DDR, sie hätte auch der offiziellen Auffassung energisch widersprochen, aber in der Realität wurden ab den späten Siebzigern - zuerst im Rahmen der Leipziger Messe - inoffizielle "Mitarbeiterinnen" eingesetzt, um als Prostituierte die Westbesucher auszuspähen. Und nicht unbedingt freiwillig.


    Prostitution gab es immer, sie war halt illegal und mit der Strafandrohung wurden erwischte "Damen" dann zur "Firmen"mitarbeit gezwungen.


    Ausserdem gab es natürlich Grenzbereiche- die Hausfrauen, die sich in den einschlägigen Lokalen, z.B im Schorschl rumtrieben und mit Messegästen in den Westautos verschwanden hätten sich nie als Prostituierte verstanden, aber immer erwartet, dass der Westgast sich großzügig erkenntlich zeigt.

  • Zitat

    Original von SiCollier


    Wobei das genau der Eindruck ist, den man (zumindest hier in der Gegend) damals bekommen mußte. Meine Schwiegereltern hatten damals oft Probleme mit dem täglichen Einkauf - weil die Ostdeutschen, salopp formuliert, in Scharen hier einfielen, sich wie die Herren aufspielten und alles leer kauften. Sorry, wenn das blöd klingt, aber so war das damals. Meine Frau hat sich seinerzeit (und das war ab 1992!) mehr als ein Mal von Ostdeutschen beschimpfen und unmöglich behandeln lassen müssen.


    Da spielt aber selektive Wahrnehmung eine Rolle (und zwar auf beiden Seiten).
    Wir nehmen Auffälliges immer anders wahr und behalten es länger im Gedächtnis, ganz besonders die negativ auffälligen Erlebnisse.
    Und natürlich fielen nur die "auffälligen" Leute aus dem Osten ins Auge. Den anderen sah man den Unterschied ja auch nicht an.


    Was die "Kauforgien" betrifft, darf man da auch ruhig mal ein bisschen Verständnis zeigen: Die Menschen *kannten* es nicht, dass immer alles verfügbar war. Und sie hatten demnach auch nicht das geringste Vertrauen in die Situation, sondern mussten befürchten, dass sich am nächsten Tag schon wieder alles ändern konnte.
    Ich hatte zur Zeit der Wiedervereinigung eine Freundin, die schon zwei Jahre zuvor mit ihren Eltern aus der DDR geflüchtet ist. Die glaubten z.B. überhaupt nicht dran und dachten, die Maueröffnung würde ohnehin bald wieder aufgehoben werden.

  • Zitat

    Original von SiCollier


    Wobei das genau der Eindruck ist, den man (zumindest hier in der Gegend) damals bekommen mußte. Meine Schwiegereltern hatten damals oft Probleme mit dem täglichen Einkauf - weil die Ostdeutschen, salopp formuliert, in Scharen hier einfielen, sich wie die Herren aufspielten und alles leer kauften. Sorry, wenn das blöd klingt, aber so war das damals. Meine Frau hat sich seinerzeit (und das war ab 1992!) mehr als ein Mal von Ostdeutschen beschimpfen und unmöglich behandeln lassen müssen.


    Ich habe den 11.09 in Bad Hersfeld erlebt, die Freude der Bewohner mit der die Trabis bejubelt wurden genauso wie die Beschwerden nach drei Wochen jetzt müsse mit dem Zuparken der Bundesstrasse aber mal Schluß sein. Supermärkte leerkaufen? Also zumindestens 1989 wovon? Meine Kanzlei saß oberhalb eines Juweliergeschäftes, die konnten sich vor Schmuck- und Goldankauf kaum retten, weil die Leute kein Geld hatten. Umtauschkurs war teilweise 1:10. Wie die Herren aufspielten? Total verunsicherte Menschen, übermäßig devot, diszipliniert in Schlange stehend- das Gegenteil von wild gestikulierenden Hessen mit undiszipliniertem Drängeln. So habe ich als Württemberger das Aufeinandertreffen von Hessen und Thüringern erlebt.


    Was 1992 dort los war weiß ich nicht, aber maulende Kunden in Apotheken gab es sicherlich immer und überall, damit bin ich aufgewachsen. Ich lebe jetzt seit April 1990 hier in Leipzig und erlebe um mich herum ganz normale Menschen, welche mit denen ich gerne zusammen bin und andere, über deren Rückansicht ich mich mehr freue als über ihre Ansichten.

  • @ Mulle und beowulf


    War mir klar, daß Widerspruch kommt. Ich weiß, daß meine Äußerungen sehr political incorrect sind, drum habe ich mir angewöhnt, meine Meinung meist für mich zu behalten. Political correctness - Gruppenzwang, womit wir wieder bei einem Thema dieses Buches wären. Nur hat political correctness nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun, und wir - also unsere Familie - hat das nun mal so erlebt, wie ich es oben geschrieben habe.


    Übrigens das „ihr hattet das schon immer, jetzt sind wir dran“ wurde expressis verbis zum Vorwurf gemacht, meine Frau mußte sich solche und ähnliche Sätze mehr als ein Mal anhören.


    Und ja, ich bin schon wieder ruhig. Ich weiß, weshalb ich das Buch ursprünglich nicht lesen wollte (oder es möglicherweise doch besser im stillen Kämmerlein getan hätte).

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Nö, so war das nicht gemeint.


    Ich wollte nur wiedergeben wie ICH das damals empfand- und wie gesagt 1992 halte ich solche Sprüche durchaus für möglich und auch das Gefühl, das Supermärkte leergekauft werden kann ich mir ab Juli 1990 vorstellen- es gab noch keine eigenen im Osten und die Arbeit und Auto hatten hatten auch Geld und ab da eben "West"geld. Ich schrieb daher sehr bewusst von 1989 selbst und Anfang 1990 und dazu kann der Eindruck deiner Schwiegereltern ein ganz anderer gewesen sein, Eindrücke sind eben subjektiv- trotzdem sollte man sich doch darüber austauschen können. Ich reagierte nur auf das "mußte" das ich in ein "konnte" umbewerten wollte.

  • Zitat

    Original von SiCollier
    @ Mulle und beowulf


    War mir klar, daß Widerspruch kommt. Ich weiß, daß meine Äußerungen sehr political incorrect sind, drum habe ich mir angewöhnt, meine Meinung meist für mich zu behalten. Political correctness - Gruppenzwang, womit wir wieder bei einem Thema dieses Buches wären.


    Das siehst du als Gruppenzwang?
    Nun, ich betrachte das eher als Bemühungen, nicht gedankenlos und unreflektiert etwas auszusprechen, was für andere Menschen vielleicht ein Schlag ins Gesicht darstellt.
    Wenn *das* Gruppenzwang darstellt, dann finde ich das mal ne nette Gruppe. Bin dabei.


    Und warum "darum besser im stillen Kämmerlein gelesen"?
    Deine Perspektive steht dir zu, ob sie mir nun gefällt oder nicht.

  • Nun, 1989 war ich selber noch im „Freudentaumel“, ich erinnere durchaus die Bilder von den Menschen auf der Berliner Mauer. (Die einzige Großdemonstration, an der ich je in meinem Leben teilgenommen habe, war am 13. August 1976 die in West-Berlin gegen die Mauer.) Die Ernüchterung kam später; bei meinen Schwiegereltern ohne eigene Verwandte „drüben“ sicher früher als bei meiner eigenen Familie, eben mit Verwandten „drüben“.


    Und ja, Mulle, ich sehe heute durchaus etliches an Gruppenzwang, was sonst auch unter political correctness verbucht wird. Es gibt heute Bereiche, da wird eventuell eine eigene Meinung zugestanden, nur sind Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit zwei Dinge, die nicht immer etwas miteinander zu tun haben. Auch in unserem so freien Land.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Falk wird (ist) Musiker und trifft nach Jahren endlich seinen Vater und Sonja wieder.


    Zitat

    Original von Wuermchen


    Dass es Sonja so schlimm ergeht, war wohl sicher nicht zu erwarten gewesen, aber immerhin möglich. Sie hatte ja gar niemanden, der sie hätte schützen können. Ihr Familie waren Republikflüchtlinge, der Vater im Gefängnis. Ich kann ihre Verbitterung verstehen, auch weil über ihren Kopf hinweg entschieden worden ist. Wie hätte sie wohl entschieden, wenn ihre Eltern ihr eine Wahl gelassen hätten? Nun, ich denke, auch wenn Sonja freiwillig geblieben wäre, dann hätte man sie doch für die Flucht ihrer Familie in irgend einer Weise bestraft.


    Das sehe ich genauso. Ganz schön erschreckend was Sonja und der Vater erleben mussten. Wenn sie gewusst hätten, dass die Grenze ein paar Jahre später sowieso offen ist, dann hätten sie bestimmt gewartet und es wäre ihnen viel erspart geblieben.

  • Sorry, dass ich erst jetzt den Rest hier schreibe, aber ohne PC war mir das vorher nicht möglich. Nun funktionert der Neue und es geht weiter.


    Also dieses Buch packt mich immer mehr. Je weiter ich lese um so emotionaler bin ich dabei. Dieser Abschnitt ist wirklich sehr heftig. Gänsehaut pur gab es u.a. als Falk seinen Vater wiedergetroffen hat. Wohingegen die Sache mit Sonja mir zwar auch Gänsehaut bereitet hat, aber im negativen Sinne. Die Prostitution ist schon ganz schön harter Tobak und so heftig hätte ich es nicht erwartet. Kann mir aber gut vorstellen, dass das einige damals sehr ausgenutzt haben. Leider.


    Schön, dass Sonja wenigstens mit Falk den Kontakt hält. Bin sehr neugierig, ob sie ihren Eltern irgendwann etwas entgegenkommen wird. Im Moment kann ich ihr Verhalten jedoch sehr gut verstehen.


    Minka mag ich nicht, sie wirkt auf mich total oberflächlich und egoistisch. Dafür freue ich mich umso mehr, dass Falk musikalisch sein Ding durchzieht und Martin Gold wird. Das er sich trotz aller Sachen die passiert sind niemals aufgibt und aufgegeben hat und er sein Selbstbewußtsein weiter steigert.


    Gut gefällt mir auch, dass der Kontakt zwischen Karen und ihm die ganze Zeit bestehen bleibt. Auch wenn es mal mehr oder weniger ist. Etwas was mir die beiden noch sympathischer macht. Die beiden sind sich auf jeden Fall noch sehr wichtig und ich denke, sie werden sich auch wiedersehen ...


    Und dann bin ich natürlich gespannt, was mit dem Film wird ... ich denke, damit wird noch etwas wichtiges geschehen, sonst wäre er wohl nicht wieder aufgetaucht.


    Das Buch fesselt und läßt nicht mehr los ...

    :lesend Mary Kay Andrews - Winterfunkeln

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    Hörbuch: Andreas Föhr - Totholz

    SuB: 324

  • Puh, also dieses letzte Kapitel des Abschnittes war echt heftig! Nur gut, dass es nicht länger war, das hätte ich dann nicht mehr lesen können. Die arme, arme Sonja. Von der Familie verlassen zu werden ist schlimm genug, aber dann so missbraucht zu werden!


    Zitat

    Original von Wuermchem
    Nun, ich denke, auch wenn Sonja freiwillig geblieben wäre, dann hätte man sie doch für die Flucht ihrer Familie in irgend einer Weise bestraft.


    Dieses Posting hat mich zum Überlegen gebracht! :gruebel Wie bitteschön hätte Sonja noch mehr bestraft werden sollen, als sie es eh schon geworden ist?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    Puh, also dieses letzte Kapitel des Abschnittes war echt heftig! Nur gut, dass es nicht länger war, das hätte ich dann nicht mehr lesen können. Die arme, arme Sonja. Von der Familie verlassen zu werden ist schlimm genug, aber dann so missbraucht zu werden!



    Dieses Posting hat mich zum Überlegen gebracht! :gruebel Wie bitteschön hätte Sonja noch mehr bestraft werden sollen, als sie es eh schon geworden ist?


    Es war ja nicht die Rede von "noch mehr" sondern von "auch" - jedenfalls verstehe ich das so.


    Ansonsten gingen mir beim Lesen dieses Kapitels meist die von Euch geschilderten Dinge durch meinen Kopf: Ich gönnte Falk Erfolg und Gesicht, um ein Beispiel zu nennen, wie Mulle es formuliert.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)