Das Buch hat sich seine schlechte Bewertung selber zuzuschreiben. Denn ich empfinde es schlicht als Mogelpackung. Gleich zweimal wird in Cover und Klappentext geschummelt. Erstens: es wird behauptet, in dem Buch gehe es um eine Reise in die Türkei, und die Beobachtungen, die die Autorin dabei macht. Zweitens: durch die völlig überdrehte Illustration erwartet der Leser eine humoristisch-augenzwinkernde Darstellung. Doch beides stimmt für mich nicht.
"Eine Reise zu meiner schrecklich netten türkischen Familie": das tut ja schon fast weh, so deutlich wird hier auf ein Erfolgsrezept angespielt, das mit Jan Weiler und "seiner" italienischen Familie begann. Man hat wohl gehofft, auf ein bewährtes Konzept aufspringen zu können. Doch: höchstens in einem Drittel des Buches geht es um die Reise der Autorin in die Türkei. Die komplette erste Hälfte des Buches verbringt sie damit, die Geschichte ihrer eigenen Familie in Deutschland zu schildern, welche durch den dickköpfigen Auswanderungswillen ihrer Mutter entstand. Danach beginnt zwar tatsächlich die Reise in die alte Heimat, doch wird sie immer wieder unterbrochen durch Rückblenden, durch Erlebnisse, die sie mit dieser oder jener Person in der Vergangenheit hatte. Das stört erstens den Lesefluss, und überdeckt vielleicht auch die Tatsache, dass sie über ihre Reise nicht eben viel zu erzählen hat.
Zweitens muss ich ehrlich sagen, dass dieser geradezu zwanghafte Versuch, das Buch auf "lustig" zu trimmen, gründlich in die Hose gegangen ist. Das Cover ist einfach nur albern, und passt auch nicht zu den geschilderten Personen. Sicher beschreibt sie Episoden, über die sie, die schon so lange in Deutschland lebt, nur den Kopf schütteln kann. Aber "lustig" ist davon eigentlich fast nichts. Alle Menschen, denen ich hier begegne, sind innerhalb ihres eigenen Kontextes ganz normale Leute mit ihren verstehbaren Sorgen und Nöten. Eine Tante, die gerne kocht, eine andere, die sich der Religion stark zugewandt hat, ein unverheirateter Cousin, eine alleinerziehende Cousine, ein langsam alt werdender Vater. Wenn überhaupt so etwas wie Komik hier aufkommt, dann kann man es höchstens als deutsche Überheblichkeit werten. (Besonders ihre abwertende Haltung gegenüber der Religion habe ich der Autorin übel genommen! Das gehört sich einfach nicht. Es ist eine Sache, wenn man sagt, dass man selber nicht so viel damit anfangen kann. Aber sich über religiöse Gebräuche lustig zu machen, ist für mich ein Unding sondergleichen.)
Die wenigen Punkte, die ich dennoch verleihe, möchte ich fast ausschließlich auf die erste Hälfte des Buches bezogen wissen. Denn der Bericht, wie ihre Familie überhaupt nach Deutschland kam, war teils richtiggehend spannend. Nur der Mutter und ihren ehrgeizigen Ambitionen war es zu verdanken, dass die Familie nach Deutschland kam - der Vater gab dafür sogar seinen Posten als Schulrektor auf! Die Mutter muss eine beeeindruckende Persönlichkeit sein. Auch hat mir in diesem Abschnitt gefallen, wie fein die Autorin die damaligen Deutschen, die Nachbarn und Kollegen, beobachtet und porträtiert hat. Das grenzte schon an Sozial-Satire! Allerdings fiel mir schon hier auf, dass die Autorin nur ungern und ganz am Rande über sich selber sprach.
Als dann die Beschreibung der eigentlichen Reise begann, habe ich mich größtenteils einfach nur gelangweilt. Warum muss ich wissen, welche Geschenke die Verwandtschaft erwartet, was man frühstückt oder zu Abend isst, welche Sendungen man im Fernsehen anschaut, und welche Odysse die Cousine Meral bei einem türkischen Amt durchlaufen muss, um Waisenrente zu bekommen?? (Das war für mich der ödeste Abschnitt im ganzen Buch.) Über SICH und ihre Gedanken berichtet die Autorin nur sehr, sehr am Rande. Dass sie dann am Ende des Buches behauptet, sie habe "viel gelernt" und über sich nachgedacht, grenzt für mich an Frechheit. Denn leider hat sie davon wenig beschrieben.
Nun - ich gebe zu, dass Leser, für die ein leicht zu lesendes Buch automatisch ein gutes ist, an diesem Werk eventuell ihre Freude haben werden. Ich aber fühlte mich ein wenig verschaukelt, und werde das Buch sicher nicht weiter empfehlen. Dafür hat es einfach zu wenig von dem gehalten, was es versprach.