Puppenmord von Tom Sharpe

  • Ein originelles, kleines Büchlein. Es ist weniger ein Krimi, als vielmehr eine Tragikomödie oder Satire. Der Autor verspottet das Berufsschulsystem in England und die Institution der Ehe. Er tut es aber auf eine sehr witzige, z.T. liebenswürdige Art und Weise. Ich hab beim Lesen selten so viel gelacht..

    "Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."
    (Carl Hillty)

  • Henry Wilt heißt nur so — in Wirklichkeit ist er alles andere als wild, muss sich allerdings in einer Wildnis der besonderen Art durchbeißen: Zu Hause hat er es mit seiner exaltierten unbefriedigten Gattin Eva zu tun, und die beruflichen Freuden eines Berufschullehrers in britischen Provinzstädten halten sich auch in Grenzen. Er trotzt wacker Evas Begeisterungsfähigkeit für möglichst schicke Selbstverwirklichung in der örtlichen Volkshochschule, und irgendwie arrangiert er sich auch mit seinen bildungsunwilligen Schülern — und letztere, zusammengefasst in berufsbezogenen Klassen und vielsagend bezeichnet als “Gasinstallateure III”, “Fleisch I” usw., haben wenig Sinn für das, was ihnen ein Hilfslehrer für Allgemeinbildung über “Sons and Lovers”, “Candide” oder “Lord of the Flies” mitteilen will.
    Doch dann bricht das Schicksal mit geballter Macht über Henry Wilt herein, in Gestalt des amerikanischen Intellektuellen-Ehepaars Pringsheim. Sally Pringsheim verkörpert alles, was Eva Wilt sich ersehnt — allem voran die höhere Gesellschaftsklasse und die Intellektuellen-Kaste. Und Ausdrücke kennt sie… Eva ist hingerissen. Klar, dass sie nun jede Mitteilung aus Sallys Mund fürs Evangelium nimmt und unter diesem Einfluss den heimkehrenden Henry in kanariengelbem Outfit und Trenchcoat mit den Worten begrüßt, sie wolle ihm — na, ich schreib’s lieber nicht hin. Die Zensur…
    Henrys Schicksal legt noch an Fahrt zu, als die Wilts bei Pringsheims zur Grillparty eingeladen werden (Eva lässt nicht locker, wenn sie den gesellschaftlichen Aufstieg wittert). Der Abend entwickelt sich jedoch nicht ganz so, wie Henry sich eine Grillparty vorstellt; nach einer Kaskade schriller Ereignisse findet er sich in verfänglicher Pose mit einer Gummipuppe vereinigt. Immerhin hat sich Eva empört verabschiedet; ein Trost…
    Man kann es durchaus verstehen, dass Henry nach dieser Prüfung genug von seiner Gattin hat und nach einem whiskyseligen Abend mit der Gummipuppe die Generalprobe für den Gattenmord inszeniert.
    Nun schlagen die Ereignisse einen Salto nach dem anderen, die beerdigte Gummipuppe wird sorgsam exhumiert, Eva bleibt verschwunden, Wilt wird des Mordes verdächtigt und erlebt ein verschärftes Verhör, wie Inspektor Flint glaubt — aber Wilt ist von seinen Versuchen, “Fleisch I” mit der Weltliteratur vertraut zu machen, ganz andere Nummern gewöhnt und treibt seinerseits die örtliche Polizei in den Wahnsinn (und verdirbt dem Inspektor den Appetit auf Leberpastete). Währenddessen erlebt auch Eva Wilt auf einem Ausflug mit den Pringsheims Eigenartiges… (Amazon)


    Tom Sharpe wurde 1928 in England geboren, studierte in Cambridge, lernte als Buchhalter, Sozialarbeiter und Fotograf Südafrika kennen, bis er ausgewiesen wurde. Anschließend unterrichtete er als Hilfslehrer an einer Berufsschule in Cambridge, bis ihm der Erfolg seiner Bücher die Freiheit schenkte, mit Frau und drei Töchtern als Schriftsteller zu leben.


    Wer schwarzen Humor liebt, kommt an Tom Sharpe nicht vorbei. Dabei spielt sich der Witz auf zwei Ebenen ab: Die aberwitzige Handlung und die kleinen Geschichten, die Henry seim Kollegen erzählt. Dazu sollte man wissen, dass Gattin Eva in allem was sie tut sehr konsequent ist. Das führt beo promakrobiotscher Ernährung zu *dem schwersten Fall von Skorbut, den der Arzt seit Legung der Eisbahnlinie in Birma gesehen hat*. Oder bei der Begeistung fürs Trambolin-Springen zu 87jährigen Nachbarinnen, welche duchs Glasdach fliegen.
    Das Konzept des Autors ist dabei relativ einfach: Man nehme sich exentrische personen und überzeichne sie. Herrauskommt ein Abbild der Wirklichkeit, wie man sie eigentlich gar nicht kennen möchte, leider aber einen sehr wahren Kern hat. Da wäre die ausgsprochen sexfreudige Mrs. Pringisheim - welche mir mit ihrem G-Baby und Penis-Baby zugegebnermaßen auf Dauer auf den Wecker ging. Wenn man sieht, was einem in einschlägigen Magazinen wie z.B. Tracks auf Arte als normale Sexualität verkauft wird, ahnt man, wen Tom Sharpe damit parodieren will. Oder Henry, der die ausgesprochen undankbare Aufgabe hat, angehenden Fleischern ect. höhere Literatur beibringen zu sollen - mit sehr zweifelhaften Erfolg.
    Ich habe mich bei dem Buch köstlich amüsiert, nur die Leute im Wartezimmer des Arztes sahen mich irritiert an, als ich anfing loszukichern.


    Fazit:


    Böser und treffender kann Gesellschaftkritik nicht sein. Aber genau deswegen beginnt man über verschiedene Themen überhaupt erst nachzudenken.


    # Gebundene Ausgabe: 235 Seiten
    # Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek; Auflage: 1 (8. Juli 2006)
    # Sprache: Deutsch
    # ISBN-10: 3866152507
    # ISBN-13: 978-3866152502
    # Größe und/oder Gewicht: 20,8 x 12,6 x 2,2 cm