Stefanie Kremser, "Die toten Gassen von Barcelona"

  • Eines vorweg: dieses Buch täuscht! Sowohl durch sein Äußeres, als auch seinen - leider viel zu plakativen - Titel. Denn was erwartet man schon, wenn man - Überraschung - ein dünnes und lieblos gedrucktes Taschenbuch mit dem Titel "Die toten Gassen von Barcelona" in die Hand nimmt? Eben! Zudem fand ich die Leseprobe ein wenig seltsam und schwülstig. Doch alles in allem wurde ich sehr positiv überrascht.


    Statt eines Trash-Thrillers habe ich hier einen gut durchdachten und "angenehm anderen" Krimi vorgefunden, der durch stilistisch ausgefeilte Sprache und einen erfreulichen Mangel an blutrünstiger Action besticht. Was mir in der Leseprobe noch seltsam erschien, macht im ganzen Buch durchaus Sinn. Denn in der Tat geht es, sogar beim Motiv des Täters, um Barcelona, um die Stadt und ihre Geschichte, ihre modernen Probleme, ihre den Touristen verborgene Seite. Somit war es durchaus stimmig, als "Heldin" und unfreiwillige Ermittlerin eine Journalistin und Verfasserin von Reiseführern auf den Plan zu schicken.


    Zu bemängeln ist eigentlich nur, dass der Plot an einigen Merkwürdigkeiten und allzu vielen Zufällen aufgehängt ist. Für mich war es ein wenig "dick aufgetragen", dass die Heldin Anna Silber ausgerechnet im vorigen Jahr ihre gesamte Familie verloren hat, dass ihre Mutter ausgerechnet selber aus Barcelona stammte, und dass Anna ausgerechnet bei ihrem Vater, einem Privatdetektiv, in die Lehre ging. Und, natürlich, dass der Lebensgefährte ihres Freundes ausgerechnet der Leiter der Mordkommission ist.


    Doch das wird durch die flüssige und sehr stimmungsvolle Handlung dann doch wieder aufgewogen. Zuerst wundert man sich, warum Anna, die eigentlich nach den Wurzeln ihrer Mutter suchen wollte, und außerdem einen Auftrag für einen Reiseführer in der Tasche hat, sich so sehr treiben lässt, und ihre Nase sofort in einen Fall von Serienmorden steckt. Aber im Laufe des Buches überzeugte mich Anna. Sie ist eben keine professionelle Ermittlerin, sondern eine Person, die sich von Stimmungen und menschlichen Schicksalen sehr beeinflussen lässt. Und das hat zu diesem Fall, zu dieser Stadt einfach gut gepasst. Das kann man näher nicht erläutern, ohne zu viel zu verraten.


    Anna beschreibt den Fall aus der Ich-Perspektive, und das erlaubte es der Autorin, durch und durch subjektive Stimmungen einzuflechten. Seien es flanierende Einheimische, Hausbesetzer, heruntergekommene Altbau-Viertel, Straßen und Plätze, oder kulinarische Raffinessen - ich bin Anna gerne durch diese Stadt gefolgt, und konnte manches direkt vor mir sehen. Sicher ein anderes Bild von Barcelona, nicht so mystisch-verklärt wie bei Zafón, aber dennoch plastisch und realistisch.


    Gut gefallen hat mir auch die Struktur des Buches. Die "Anna-Kapitel" wechseln sich ab mit kursiv gesetzten, sehr düsteren Einschüben, die - man ahnt es gleich - aus dem Leben des Täters berichten. Zuerst kann man wenig damit anfangen, aber wenn man sehr genau liest, entdeckt man in jedem folgenden "Anna-Kapitel" wieder einen kleinen Hinweis, der sich auf die Welt des Täters bezieht. Raffiniert gemacht! Außerdem sind jedem "Anna-Kapitel" zwei Zitate vorangestellt, die - wie man später merkt - aus der Handlung des Kapitels stammen, und die symptomatisch für das Geschehen in diesem Kapitel sind. Ungewöhnlich, aber atmosphärisch stimmig!


    Das Ende wird angenehm offen gelassen - was Anna betrifft. Der Täter wurde zwar gefasst, und zwar in einem packenden Showdown, aber Annas weiterer Lebensweg ist nicht ganz klar. Es gibt da ein gewisses Angebot - doch wird sie es annehmen? Und wird sie sich nun für einen der zwei Männer, in die sie sich im Laufe des Buches verguckt, entscheiden? Ich kann nur vermuten, dass die Autorin sich hier ein Türchen offen halten wollte, um eventuell weitere Bände mit Anna Silber zu verfassen. Zu wünschen wäre es!


    Abschließend möchte ich nur anmerken, dass ich dem Buch wünsche, dass es doch noch als Hardcover erscheint. Ich finde die Wahl, es zuerst als Taschenbuch herauszubringen, ausgesprochen unglücklich. Das erweckt einfach einen falschen Eindruck! Und das Cover hätte vom Layout her auch ansprechender gestaltet werden können. Zwar ist mir der Sinn der Marien-Statue durchaus klar, aber die Schrift ist im Verhältnis zum Bild proportional sehr unschön verteilt. Nun denn - alles Gute, Anna Silber! Vielleicht liest man sich mal wieder!

  • Das hört sich sehr vielversprechend an. Herzlichen Dank für diese sehr interessante Buchvorstellung. Wenn ich dich richtig verstanden, dann ist dieses kein 08/15-Krimi. Der Titel wurde vorgemerkt. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Voltaire, das hast du genau richtig verstanden. 08/15 Krimi-Kost ist das sicher nicht! Man sollte aber schon eine Ader haben für einen eher "weiblichen" Schreibstil.


    Beste Grüße!

  • Ich habe die Leseprobe bei vorablesen gelesen und fand diese nicht sonderlich ansprechend und genau wie du sagst rumble-bee ist auch das Cover und der Titel nicht sehr ansprechend..

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Klappentext:


    Anna Silber reist anch Barcelona in die Geburtsstadt ihrer Mutter. Schon bei ihrer Ankunft liegt ein toter Mann auf der Straße. Er ist nicht das einzige Opfer - ein Serienmörder scheint umzugehen. Doch wo ist das Muster, wo das Motiv? Durch einen Zufall kommt Anna dem Täter auf die Schliche - und gerät dabei selbst in große Gefahr.


    Warmherzig und mit einer guten Portion Humor führt Stefanie Kremser den Leser auf den Spuren eines unheimlichen Täters durch die Gassen und über die Plätze Barcelonas. Ein spannender Roman, den man nicht aus der Hand legt.


    Meine Meinung:


    Anna Silber übernimmt einen freiberuflichen Auftrag zur Erstellung eines alternativen Reiseführers für Barcelona. Dort wird sie von einem Bekannten abgeholt und sieht gleich einen Toten praktisch vor der Haustür von Rafaels Wohnung, die sie noch für eine Woche bewohnen darf.


    Als Amateurdektivin fallen ihr immer wieder Sachen auf, so auch im Arbeitszimmer der neuen Wohnung des Lebenspartners von Rafael, Quim der Polizist. Dabei geriet sie selbst in einigen gefährlichen Situationen und erlebt einen One-Night-Stand.


    Auf ihrer Suche nach Ausgewöhnlichem für ihren Reiseführer wird der Leser durch Barca geführt. Man sieht nicht nur die Touristenattraktionen, sondern auch viel Negatives. Straßenverkäufer die für wenige Cents Schirme, Bier und Blumen verkaufen finden sich in den Gassen wieder ebenso wie betrunkene Touris die sich nicht benehmen können.


    Am Ende gibt es für Anna einen Neuanfang. Dieses Buch kann man wahrlich nicht aus der Hand legen. Die Schreibe ist flüssig, humorvoll, spannend. Mit diesem Buch ist Stefanie Kremser nicht nur ein toller Krimi, sondern ein wahrhaftig alternativer Reiseführer für Barcelona gelungen.


    9 volle Punkte

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Anna Silber soll einen Reiseführer über Barcelona schreiben. Noch einen, doch sie nimmt sich vor, die bisher unbekannten Ecken von Barcelona zu finden und zu beschreiben. Doch bereits an ihrem Anreisetag wird sie abgelenkt von ihrem Vorhaben, denn direkt vor ihrer (zukünftigen) Haustür liegt ein toter Mann. Rafael (ein guter Freund von ihr) erzählt ihr von den vergangenen Morden, die in binnen kürzester Zeit stattgefunden haben. Annas Neugierde wird geweckt. Zufälligerweise ist gerade Rafaels Freund Quim der zuständige Kommissar in der Mordkommission. Er nimmt ihre Theorien ernst und so rutscht Anna immer mehr in den Strudel aus Morden, Häuserbesetzung und Verfolgung rein. Welche Rolle dabei die Heilige Eulàlia und Oriol Bosch spielen, bleibt hier ein Geheimnis.


    Das Buch von Stefanie Kremser hat mir gut gefallen. Der schöne flüssige Schreibstil lädt direkt zum "Durchlesen" ein. Die Charaktere sind symphatisch und man rätselt gern mit Anna & Co. mit, wie es nun in Barcelona weitergeht. Anna ist herrlich erfrischend, vorallem wenn sie von ihrem Essverhalten erzählt. Endlich eine Frau, die mit Genuß isst. Die Beschreibungen von Barcelona fand ich auch recht interessant...fast schon ein kleiner Reiseführer. Insgesamt eine leichte Lektüre für den Sommersonnenliegestuhltag.

  • Meine Meinung:
    Anna Silber weißt nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Seit ihre Eltern beide tot sind, lässt sie sich treiben und landet mehr oder weniger zufällig in Barcelona, dem Geburtsort ihrer Mutter. Anna begibt sich auf Spurensuche. In doppeltem Sinne, denn bei ihrer Ankunft stolpert sie buchstäblich über einen Toten. Da ihr Vater von Beruf Detektiv war und sie ihm gelegentlich bei seiner Arbeit geholfen hatte, beginnt sie sich ihre eigene Gedanken über den Toten zu machen.


    Stefanie Kremser schreibt nett und kurzweilig, gespickt mit leisem Humor, gelegentlich schwingt ein wenig Melancholie mit. Die Krimihandlung bleibt dabei eher unspektakulär. Zwei Ich-Erzähler bestreiten die Geschichte. Neben Anna erleben wir den Täter, der in kurzen Kapiteln mit sehr verworrenen Gedanken zu Wort kommt. Die wenigen Personen, die die Geschichte mit Leben füllen, sind recht originell und sympathisch.
    Die Handlung besteht aus einer reinen Aneinanderreihung von Zufällen, die letztendlich zur Aufklärung und zum Täter führen.
    Man merkt, dass die Autorin sich sehr gut auskennt in Barcelona, die eigentliche Protagonistin ist die Stadt selbst. Und so kann ich das Buch auch nur Barcelona-Interessierten oder besser noch Barcelona-Kennern wirklich empfehlen.

  • Zum Buch:
    Anna Silber hat eine recht harte Zeit hinter sich. Bei einem Unfall kam ihre ganze Familie ums Leben. Als viel umherreisende Journalistin hat sie wenig bis gar keine Freunde zuhause in Deutschland und fühlt sich sehr allein. Da kommt die Einladung des spanischen Kollegen Rafael, den sie bei einem Auftrag in Rumänien kennengelernt hatte, gerade recht. Sie soll einen Trend-Reiseführer über Barcelona schreiben. Da ihre Mutter ursprünglich aus dieser Stadt stammt, überlegt Anna nicht lange und macht sich auf die Reise.
    Direkt nach ihrer Ankunft stolpert sie allerdings geradezu über eine Leiche, ein Mann ist vom Dach gesprungen – oder wurde da nachgeholfen? Rafaels Lebensgefährte Quim ist Polizist, und Anna erfährt, dass Barcelona gerade von einer rätselhaften Reihe von Morden erschüttert wird.
    Durch ihren Vater mit einem gewissen detektivischen Spürsinn ausgestattet, bringt sich Anna mithilfe ihrer guten Kombinationsgabe in die Ermittlungen mit ein und stößt auf eine unglaubliche Spur!


    Meine Meinung:
    Das Cover und die geringe Dicke des Buches hätten mich im Laden wohl eher an diesem Krimi vorbeigehen lassen. Durch vorablesen bin ich aber doch darauf neugierig gemacht worden.
    Zu Anfang fand ich den Schreibstil etwas schwierig zu lesen. Im Präsens geschriebene Bücher mag ich sowieso nicht so besonders und irgendwie war die Sprache auch ungewohnt. Aber ich habe weitergelesen und wurde mit einer interessanten Geschichte belohnt.


    Was die Kriminalhandlung angeht, diese war nicht allzu überraschend, aber gut aufgebaut und in sich schlüssig. Dass eine Zivilistin wie Anna allerdings derartig in eine Mordermittlung mit eingebunden wird, fand ich nicht besonders glaubwürdig, trotz ihrer persönlichen Beziehungen.


    Viel interessanter als dies war jedoch die ausführliche Beschreibung Barcelonas. Eine offensichtlich sehr spannende Stadt, die großen Veränderungen unterliegt – die nicht immer zum Guten sind. Leser, die nur das Barcelona kennen, wie es Carlos Ruiz Zafón in seinen Büchern beschreibt, werden sicher enttäuscht sein, denn dieses alte Barcelona geht immer mehr verloren. Aber das ist ja auch kein Wunder, eine Großstadt wie Barcelona muss mit der Zeit gehen, dennoch werden längst nicht alle alten Ecken und Plätze verschwinden – man muss nur genau hinsehen und wissen wo man suchen muss!