Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Edition Nautilus; Auflage: 1. Auflage 2011 (25. Mai 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3894017406
ISBN-13: 978-3894017408
Originaltitel: La Centrale
Kurzbeschreibung
Drei Selbstmorde hat es gegeben unter den Arbeitern im Atomkraftwerk. Einer der Toten ist Loïc, Yanns bester Freund, mit dem zusammen er schon seit Jahren als Zeitarbeiter im Rhythmus der jährlichen Wartungen von Reaktor zu Reaktor zieht. »Neutronenfutter« nennen sich diese Leute selbst, denn für jeden, der wegen zu hoher Strahlenbelastung ausfällt, gibt es sofort willigen Ersatz. Die Arbeiter leben im Wohnwagen oder im Hotel, vereint durch eine gewisse Solidarität, die sich aber bei der fehlenden Arbeitsplatzsicherheit und dem Stress unter der nuklearen Bedrohung schnell verbraucht. Dieser Roman macht die Bedrohung ebenso fühlbar wie die Faszination für das Kraftwerk und die Angst davor. Filhol schreibt in einem nüchternen, lakonischen Stil, der die Atmosphäre unter den Beschäftigten, die physikalischen Prozesse sowie die Arbeitsabläufe kunstvoll verdichtet. Der Reaktor ist auch ein Symbol für die Gesellschaft. Der Roman ist in Frankreich von einem großen Medienecho begleitet und mit dem Prix France Culture Télérama ausgezeichnet worden und war zeitweise auf Platz 6 der französischen Bestsellerlisten.
Über den Autor
Elisabeth Filhol wurde am ersten Mai 1965 in Mende, Dépardement Lozère, Frankreich, geboren. Sie hat Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paris-Dauphine studiert und im industriellen Sektor als Buchprüferin, in der Leitung des Finanzwesens, in der Wirtschaftsanalyse und als Beraterin von Betriebsräten gearbeitet. Heute lebt sie in Angers. La Centrale ist ihr erster Roman.
Meine Meinung
"Drei Beschäftigte sind in den letzten sechs Monaten gestorben, drei Stammkräfte, die alle in einer leitenden Position tätig oder mit Kontrollaufgaben betraut waren, deren Taten man also ernst nehmen musste, und von denen, obwohl sie sich doch kaum kannten, von nun an wie von drei Waffenbrüdern gesprochen wurde, oder auch drei Opfern des Kraftwerks, die an derselben Front gefallen waren."
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Elisabeth Filhol nähert sich in diesem schmalen Roman der Atomkraft in Frankreich an.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht Yann. Ein Nuklearnomade. Ein Wanderarbeiter. Er zieht mit seinen Habseligkeiten von Kraftwerk zu Kraftwerk. Sein Einsatzgebiet ist die Revision. Wenn das Kraftwerk abgeschaltet ist, steigen Arbeiter - Yann ist einer von ihnen - in das Abkühlbecken, säubern dies und befreien es von radioaktiven Partikel.
Bei Arbeitern wie Yann handelt es sich um Zeitarbeiter, Leiharbeiter, die umgelernt werden und in kurzen Schulungen zu Atomexperten gemacht werden. Sie ziehen von Kraftwerk zu Kraftwerk, wohnen häufig zu mehreren auf Wohnmobilstellplätzen vor dem Kraftwerk und reisen nach ein paar Wochen weiter zum nächsten Einsatzort. Am Ende des Romans stellt man fest, dass einer der Selbstmorde einen Freund von Yann betraf.
Filhol schreibt nüchtern und distanziert. Auf knappen 120 Seiten gibt es kein Wort zu viel. Vieles muss man sich selbst noch anlesen, wenn man das Buch wirklich verstehen möchte. Ich habe erst im Nachhinein erfahren, dass es in Frankreich insgesamt 58 Atomkraftwerke gibt und das über 20.000 dieser Nuklearnomaden beschäftigt werden. Es sind die Nuklearnomaden, die die sogenannte "Drecksarbeit" erledigen und sich der größten Strahlung aufsetzen. Wenn diese Arbeiter zu viel Strahlung ausgesetzt waren, müssen sie pausieren, bis sie wieder einsatzfähig sind.
Wer einen spannenden, action-reichen oder rasanten Roman erwartet, wird von Elisabeth Filhol Buch sicherlich enttäuscht sein. Dafür liefert sie aber eine nüchterne, ungeschönte Darstellung von fürchterlichen, eigentlich unzumutbaren, Arbeitsbedingungen. Filhol schildert diese Verhältnisse so ruhig und distanziert, dass die Welt der Nuklearnomaden an vielen Stellen beinahe schon unheimlich und beängstigend wirkt.
Ein starkes Stück Literatur.
9 Punkte.