Das stille Kind – Asta Scheib

  • Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2011
    Taschenbuch: 288 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Paulina und Lukas können ihr Glück nicht fassen. Endlich soll ihr Traum vom Haus mit Garten in München wahr werden, endlich können sie mit ihren drei kleinen Kindern Cosima, David und Mavie aus der engen Wohnung an der lauten Donnersbergerstraße ausziehen. Das freut Paulina besonders für den vierjährigen David. Er ist anders als seine Geschwister, anders als die Kinder im Kindergarten. Er spricht wenig, hat vor allem Fremden Angst, kann kaum Kontakte aufbauen, braucht zwanghaft eine strenge Ordnung um sich herum. Als schließlich die ärztliche Diagnose Asperger Syndrom gestellt wird, eine Art von Autismus, bricht für die Familie scheinbar eine Welt zusammen. Doch dann beschließen Paulina und Lukas, ihren Sohn aus seinem seelischen Gefängnis zu befreien. Und damit beginnt das Leben jeden Tag neu.


    Über die Autorin:
    Asta Scheib, geboren am 27. Juli 1939 in Bergneustadt/Rheinland, arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Zeitschriften. In den Achtzigerjahren veröffentlichte sie ihre ersten Romane und gehört heute zu den bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in München.
    http://www.asta-scheib.de


    Mein Eindruck:
    Asta Scheib schreibt über eine Familie in München. Lukas und Pauline haben 3 Kinder, das mittlere, der 4jährige David legt häufig außergewöhnliches Verhalten an den Tag. Es dauert lange, bis die Eltern die Diagnose von Davids Zustand bekommen, die leider schon im Klappentext verraten wird.
    Aber die Autorin schreibt nicht nur über das Thema Autismus, sie entwirft ein komplettes Bild einer Münchener Familie. Obwohl es häufig Perspektivwechsel gibt, ist Pauline sehr im Vordergrund, ihre schwierige Beziehung zu den Eltern und der Schwester, insbesondere aber zum Vater, der sie offenbar als Kind sexuell belästigte.
    Dann trifft sie einen Mann, Pierre, mit dem sie bald eine enge Beziehung verbindet.


    Auch andere Charaktere sind liebenswert angelegt, ein Highlight unter ihnen ist Franziska, Lukas lebenskluge Granny. Seine Großmutter, die ihn aufgezogen hat und die das Paar jetzt unterstützt.


    Die Beziehung der Menschen zueinander ist das Hauptthema des Buches, das sich darin in enger Verwandtschaft zu Peter Stamms Roman "Sieben Jahre" befindet.
    Es sind aber auch die zentralen Abschnitte um David und seinem abweichenden Verhalten geschickt und sehr glaubhaft beschrieben. Und nicht nur sein Asperger-Syndrom sondern auch die Reaktionen seiner Familie und Umwelt darauf. So ist es der Schwester häufig peinlich, wie David sich aufführt, die Eltern fühlen sich oft hilflos und sind in ihre eigenen Probleme verstrickt. Asta Scheib erschafft einen Reigen an Emotionen, man spürt, dass ihr was an den Figuren liegt und so liest sich der Roman entsprechend locker und gut!

  • Meine Rezension:
    Anders als im Klappentext beschrieben, geht es in Asta Scheibs Buch weniger um ein autistisches Kind, sondern viel mehr um eine ganze Familie, die wir als Leser etwa ein Jahr lang begleiten. Paulina, Mutter von drei Kindern, steht dabei im Mittelpunkt, aber auch alle anderen Familienmitglieder bekommen ihren Platz.
    Die Familie steht vor einem Wendepunkt: endlich bekommen sie die Chance, in ein größeres Haus zu ziehen, zusammen mit Granny Franziska, einer wahnsinnig warmherzigen und liebenswerten Frau. Gleichzeitig stehen aber auch Paulina als auch ihr Lukas vor einer Entscheidung, ob sie ihre Ehe so weiter führen wollen und können. Für Beide gäbe es durchaus Alternativen... Vielleicht ist es David, ihr 4-jähriger Sohn, der so anders ist als andere Kinder, der ihre Ehe retten kann? Insofern ist David und sein "Handicap" natürlich schon eine wichtige Figur. Aber sein Autismus ist nicht das Hauptthema des Buches.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen, die einzelnen Figuren sind toll angelegt (nur Paulina kann ich nicht immer verstehen: warum lässt sie ihre Tochter mit ihrem Vater allein ins Kino gehen, wenn der sie doch selbst als Kind sexuell belästigt hat?). Asta Scheib schreibt sehr flüssig, das Buch liest sich sehr leicht. Es macht Spaß, der Entwicklung der Familie zu folgen, man lässt sie nur ungern wieder los. Ich wäre gern noch eine Weile Gast in der Familie geblieben.

  • Als Paar mit drei Kindern in einer deutschen Großstadt von nur einem nicht gerade üppigen Gehalt zu leben - dieser Spagat scheint unmöglich. Paulina und Lukas versuchen es und nehmen mit einer winzigen Wohnung im vierten Stock vorlieb. Lukas arbeitet in der Verwaltung des Gartenamts seiner Stadt, Paulina hat keinen Beruf gelernt. Die Kinder der beiden sind zwischen einem und sechs Jahren alt. Lukas fühlt sich aktuell zwischen Beruf und Familie aufgerieben. Die Ehepartner haben wenig Zeit füreinander und leiden darunter, dass Paulinas Eltern die Lebensweise der jungen Familie nicht standesgemäß finden. In dieser Ausgangssituation wird zuerst den Lesern des Romans deutlich, dass David, das mittlere Kind der Familie Ruge, sich nicht normal entwickelt. Davids extremer Ordnungssinn und seine Ablehnung von Körperkontakt lassen eine Störung vermuten, die genauer von einem Facharzt untersucht werden sollte. (Leider wird die Diagnose, die die Eltern erst zum Ende des Buches erhalten, bereits im Klappentext verraten.) Paulina hofft darauf, dass Probleme bei einem Vierjährigen sich mit der Zeit bessern könnten. Wer - wie der Kinderarzt der Familie - die junge Mutter auf Davids auffälliges Verhalten anspricht, wird von Paulina zum Feind erklärt. Selbst vertraute Personen, denen am Glück der jungen Familie liegt, können mit ihrer Sorge um David bei Paulina einfach nicht den richtigen Ton treffen. Als David in den Kindergarten gehen soll, wird selbst Lukas klar, dass etwas geschehen muss. Kompliziert wird das Familienleben zusätzlich durch die beengte Wohnsituation und zwei überraschend auftauchende Rivalen, die heftig um die Aufmerksamkeit der Partner werben.


    Asta Scheib konnte mich mit diesem Roman einer modernen jungen Familie so nachhaltig fesseln, dass ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe. Obwohl die Hinweise auf Davids Problem sehr auffällig gestreut werden (im Nachwort wird deutlich, wo und wie die Autorin zu dem Thema recherchiert hat), fiebert man förmlich mit den Eltern mit, die die Diagnose noch nicht kennen. Anfangs hat mich der fast naive Tonfall genervt, in dem die Geschichte erzählt wird. Er passt m. A. wohl zu einem Kind als Erzähler, aber kaum zu einem erwachsenen Paar, das einen Fünf-Personen-Haushalt unterhält und versorgt. Auch Paulinas Unentschlossenheit, David endlich einem Spezialisten vorzustellen, und ihre naiven Vorstellungen von der Wohnungssuche haben mich sehr ungeduldig weiterlesen lassen. Möglicherweise hat die Autorin exakt diese Ungeduld mit Paulina beabsichtigt, die sie bei mir ausgelöst hat. Ich fand es sehr ungewöhnlich, dass eine Mutter die Möglichkeiten einer Großstadt nicht nutzt, sich in einer Selbsthilfegruppe oder einer spezialisierten Klinik über die Probleme ihres Sohnes zu informieren. Vielleicht verschließt Paulina ihr Problem, weil außer Jakobs Oma Franziska alle Freunde und Verwandte so stark mit sich beschäftigt sind. Auch wenn eines der Probleme der jungen Familie stark märchenhaft gelöst wird, beeindrucken mich die komplizierten Familienbeziehungen und die Sorgfalt, mit der die zahlreichen Nebenfiguren gezeichnet sind. Besonders gelungen finde ich die beiden Großmütter Franziska und Melanie. Das stille Kind ist kein Problemroman über David, wie aufgrund des Titels erwartet werden könnte, sondern eine Familiengeschichte, in der es u. a. auch um die Beziehung junger Eltern zur Ursprungsfamilie, die Lebensrealität junger Familien, Eifersucht unter Geschwistern und das Altern geht.

  • Nach dem Klappentext hatte ich ein anderes Buch erwartet, und ich fand es schade, dass Davids Autismus eher eine Nebenrolle gespielt hat.
    Aber dennoch habe ich das Buch gern gelesen, die Geschichte um die ganze Familie war stimmig und interessant. Auch wenn fast zu viele Themen in dem Buch verpackt waren: sexueller Mißbrauch, Seitensprünge, Autismus und sonstige Familienquerelen.


    Paulina fand ich teilweise anstrengend. Dass sie Davids Anderssein nicht wahrhaben wollte, konnte ich ja in gewisser Weise nachvollziehen, aber eigentlich muss es ihr doch viel bewusster gewesen sein. Schließlich müsste sie doch mit 3 Kindern genügend andere Kinder kennen, um zu merken, dass David sich ganz anders verhält. Und dann muss ihr doch eigentlich wichtig sein, ihm zu helfen.


    Am Anfand bin ich ein paar mal über die Namen gestolpert - Lukas und Paulina sind für mich Kindernamen, einfach weil es hier in den Kindergärten und auf den Spielplätzen viele Kinder mit diesen Namen gibt.
    Und der Name Melanie hätte für mich eher in Paulinas und Lukas Generation gepasst....


    Alles in allem: 8 Punkte.

  • Ich war von dem Buch leider ein wenig enttäuscht. Die Geschichte um das autistische Kind ging für mich etwas zu sehr in den diversen Liebes- und Leidensgeschichten der Erwachsenen unter. Es werden viele Fragen und Probleme kurz angerissen, aber wenige konsequent weiter verfolgt


    Genau wie einige andere hier konnte ich Paulina nicht wirklich verstehen. Wie kann man seinem Vater nach der Vorgeschichte erlauben, etwas allein mit der kleinen Tochter zu unternehmen? Dass sie Davids Anderssein nicht warhaben will verstehe ich dagegen. Man klammert sich an die Hoffnung, dass das alles nur eine Phase ist, sich verwächst... bevor man dann die Diagnose annimmt und beginnt, auch das positive in der Besonderheit des Kindes zu erkennen.


    Ebenso unklar blieb für mich Paulinas Freund und Gönner Pierre. Ist das normal, dass man sich in eine jüngere, verheiratete Frau verliebt und ihr dann gleich solche Vermögenswerte schenkt? Den Handlungsstrang fand ich nur mäßig realistisch (allein steuerlich ist das ganze Konstrukt, was da aufgebaut wird, nur mäßig realistisch, die Schenkungssteuer hätte die Familie in den Ruin getrieben).


    Und dann ruft, weil ein alter Film im Nachtprogramm wiederholt wird, prompt auch noch eine Agentin an?


    Nein, das Buch ließ sich zwar flott lesen, blieb mir aber zu sehr an der Oberfläche. Das sind von mir nur 4 von 10 Punkten.