Die Sündenheilerin
von Melanie Metzenthin
Verlag: Piper Taschenbuch (Juli 2011), Taschenbuch: 464 Seiten
ISBN-10: 3492264549
ISBN-13: 978-3492264549
Über die Autorin
Melanie Metzenthin wurde 1969 in Hamburg geboren, wo sie auch heute noch lebt. Als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hat sie einen ganz besonderen Einblick in die Psyche ihrer Patienten, zu denen sowohl Traumatisierte als auch Straftäter gehören. »Die Sündenheilerin« ist ihr erster historischer Roman. Bei der Entwicklung ihrer Romanfiguren, insbesondere ihrer Heldin Lena, konnte sie auf ihre beruflichen Erfahrungen zurückgreifen.
Inhalt
Nach einem schweren Schicksalsschlag lebt Lena zurückgezogen im Kloster. Als Dietmar von Birkenfeld die junge Frau auf seine Burg ruft, damit sie seiner kranken Gemahlin hilft, muss Lena ihre Zufluchtsstätte jedoch verlassen. Denn sie hat eine seltene Gabe: Sie erspürt die tiefen seelischen Leiden der Menschen und vermag sie auf wundersame Weise zu heilen. Während ihres Aufenthalts auf Burg Birkenfeld begegnet Lena noch anderen Gästen: Philip Aegypticus ist zusammen mit seinem arabischen Freund Said in den Harz gereist, um die Heimat seines Vaters kennenzulernen. Der ebenso attraktive wie kluge Philip bemerkt schon bald, dass auf der Burg manch düsteres Geheimnis gehütet wird. Und er entdeckt, dass die feinfühlige Lena sich in Gefahr befindet.
Historischen Romanen …
… stehe ich normalerweise immer etwas skeptisch gegenüber, liegen sie doch weitab von den Ereignissen und Hintergründen, die ich normalerweise bevorzuge. In ihnen gibt es keine Zombies oder Computer, Verfolgungsjagden werden statt mit Raumschiffen oder hochgezüchteten PS-Boliden per Pferd erledigt, und im Mittelpunkt steht meist eine Liebesgeschichte.
Dennoch reizt mich ab und zu ein Ausflug in diese Gefilde.
Dazu kam meine Neugierde, als ich die Meinung einer Buchhändlerin hörte, die selber auch nicht so sehr in diesem Genre daheim ist, aber hier einfach mal (aus rein beruflichem Interesse) reingelesen hatte, um den Roman dann in einem Rutsch durchzulesen.
Also musste der Roman ja etwas haben, das ihn von anderen Werken dieses Genres abhob.
Mein Leseerlebnis …
… war denn auch zu Beginn geprägt von eben jener Neugier, welche die Maus aus ihrem Loch treibt, wenn die Katze aus dem Haus ist. Bereits auf den ersten Seiten ging es dann auch schon hoch her:
Ein Überfall auf die Gäste einer Hochzeitsfeier, eine Heilerin, die sich nicht um körperliche Gebrechen kümmert, sondern sich eher auf eine mittelalterliche Form der Psychotherapie spezialisiert hat, ohne dabei gleich in Exorsismusriten zu verfallen, ein unbekannter Fremder, dunkel gewandet mit einem heidnischen Begleiter … ich war gespannt, wie es weitergehen würde.
Alle Figuren haben eine angenehme Tiefe, und sind schnell an ihren Dialogen und Handlungen untereinander wiederzuerkennen, sodass sie als "reale Personen" in meinem Kopfkino auftauchten. Sehr geholfen hat mir dabei …
... die Sprache
Für mich ist es als Leser unheimlich wichtig, dass ich die Sprache des Autoren zur erzählten Geschichte und die der Figuren dem Hintergrund angemessen finde, ohne dass sie aufgesetzt wirkt.
Die Autorin hat hier den für mich perfekten Ausgleich zwischen mittelalterlichem Sprachduktus und moderner Ausdrucksweise geschafft. Man erkennt die Menschen direkt an ihrer Sprache, sie entwickeln eine eigene Stimme und auch die Erzählerin (es ist ja eine Autorin) hat schon nach wenigen Seiten für mich eine eigene Erzählstimme im Kopf hinterlassen. So schafft sie es auch …
… die Handlung …
… auf einem recht hohen Spannungsniveau zu halten. Teilweise war "Die Sündenheilerin" für mich eine Mischung aus "Dallas" und Denverclan", gewürzt mit einer Prise "Ivanhoe" oder "Robin Hood". Einen sehr großen Anteil daran haben die Interaktionen zwischen dem Helden Philip, seinem Freund Said und Lena. Aber auch die wichtigen Nebenpersonen sind mir schnell ans Herz gewachsen, denn sie werden nicht als Stichwortgeber oder Lücken (bzw. Seiten)füller benutzt, sondern agieren so, wie es normale Menschen auch tun, wenn man in vertrackten Situationen steckt.
Mal können sie helfen, mal sind sie nur nervend und nicht selten verfolgen sie eigene Ziele, die parallel oder sogar genau entgegengesetzt zu unseren eigenen Verlaufen.
Mit anderen Worten:
In diesem Roman herrscht im positiven Sinne Leben in der Bude, und kein einziger der Handlungsstränge ist unnötig, langweilig oder wird nicht aufgelöst.
Das Ende …
… ist für einen historischen Roman ungewöhnlich, denn ist es ein "offenes Happy End".
Abgeschlossen ist der Roman in sich selber, und er kann problemlos für sich alleine als eigenständiges Werk stehen. Aber irgendwie möchte man nicht, dass hier die Geschichte von Philip, Lena und Said schon zu Ende ist.
Aber die Hoffnung auf eine Fortsetzung kommt auf, wenn man auf den letzten Seiten ist.
Mein Fazit …
… zu meinem Ausflug in "fremde Gefilde" ist, das ich eine spannende und verwickelte Geschichte las, und eine überraschende Auflösung geboten bekommen habe. Die unverwechselbaren Protagonisten leben vor einem sauber ausgearbeiteten Hintergrund auf, zu dem sicher einiges an Recherche notwendig war.
Während des Lesen wurde ich denn auch neugierig, und ich beschloss, irgendwie ein paar Fragen an Melanie Metzenthin loszuwerden, die ich dieser Rezension anhänge.
Auf alle Fälle ist die "Sündenheilerin" ein gelungenes Debut, nicht nur für Liebhaber des historischen Romans interessant, und allemal einen Blick wert, wenn man ein paar Stunden in eine spannende Geschichte eintauchen möchte.
Zwölf Fragen an …
… Melanie Metzenthin, Autorin von "Die Sündenheilerin"
D.G.
Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Debut, Frau Metzenthin. Und dann auch schon direkt die erste Frage:
Wie lange haben sie gebraucht, um "Die Sündenheilerin" zu schreiben da es ja doch, sowohl inhaltlich, als auch in Seitenzahlen gemessen, ein recht umfangreicher Roman ist?
M.M.
Die Grundidee entstand im August 2009. Dann folgten Recherchen, ich war im Oktober 2009 vor Ort und habe mir die Ruine von Burg Birkenfeld angesehen. Der Roman selbst wurde ein Jahr später, im Oktober 2010 fertig.
D.G.
Wie kamen Sie ausgerechnet auf die Idee, eine Art "Psychotherapeutin" in das Mittelalter zu versetzen? War das nicht ein recht gewagtes Unterfangen, im Angesicht der Armeen von Päpstinnen, Wanderhuren und etlichen anderen "männlichen" Berufen, mit denen sich die Heldinnen des durchschnittlichen historischen Romans abrackern müssen?
M.M.
Auch im Mittelalter gab es schon psychische Erkrankungen, nur wurde damit meist anders umgegangen. Oft suchen die Menschen Hilfe in der Kirche, manche wurden aber auch einfach als besessen oder „Dorftrottel“ abgestempelt. Warum sollte es aber nicht auch im Mittelalter jemand versucht haben, mit Empathie und Einfühlungsvermögen hinter die Probleme zu kommen und das Leid zu lindern?
D.G.
Bei den Figuren Ihres Romans hat man eher das Gefühl über die Erlebnisse von echten Menschen zu lesen, als irgendwelchen Romanfiguren durch eine vorgeplante Handlung zu folgen.
Wie tief spielt im Aufbau Ihrer Protagonisten Ihr Beruf mit hinein?
M.M.
Ich bemühe mich, meine Figuren mit all ihren Facetten zu kennen. Eine Figur ist dann gut gelungen, wenn man über sie einen Psychotherapiebericht schreiben kann. Wichtig ist, dass man weiß, warum sie wie handelt. Sie muss in ihrem Charakter bleiben. Auch Schurken haben ein Motiv, das für sie folgerichtig ist und in dem sie selbst sich als gut und edel erleben. Und auch normale Menschen haben ab und an ihre dunklen Seiten. Schwarz/weiß in Figuren ist langweilig. Außerdem müssen die Figuren eine Entwicklung durchmachen.
D.G.
Was mir ebenfalls aufgefallen ist, ist die detailgetreue Ausarbeitung des Hintergrunds. Warum haben Sie ausgerechnet das Mittelalter gewählt, zu dem es zwar viele Quellen gibt, das aber ansonsten doch von strahlenden Rittern, schönen Burgfräulein und nicht zuletzt auch von den Kreuzzügen beherrscht wird?
M.M.
Das Mittelalter ist eine Zeit, die die Menschen fasziniert. Ich persönlich mag auch viele andere Zeiten, vor allem die Antike und das alte Ägypten, aber wenn man eine Geschichte erzählen will, kommt es auch immer darauf an, einen Hintergrund zu wählen, der einem möglichst breiten Publikum gefällt. Und das ist derzeit nunmal das Mittelalter, wie sich auch an den zahlreichen Mittelaltermärkten zeigt. Außerdem hat es etwas von den Märchen der Kindheit an sich und führt uns in unsere eigene Vergangenheit.
D.G.
Wie lange, und mithilfe welcher Quellen, haben Sie für "Die Sündenheilerin" recherchiert?
M.M.
Während des gesamten Schreibprozesses. Ich habe auf zahlreiche Fachbücher, das Internet und die Recherche vor Ort im Harz zurückgegriffen. Fotos von meinen Harz-Reisen finden sich auch auf meiner Homepage www.macamra.de
D.G.
Haben Sie Ihre Sprache in irgendeiner Art an die "ungewohnte Umgebung" anpassen müssen? Immerhin spielt die "Die Sündenheilerin" ja im Mittelalter, wo die Sprache, unser Code der verbalen Kommunikation, ja teilweise einen anderen Dechiffrierschlüssel hatte als heute. Begriffe und ihre Bedeutung haben sich geändert, andere werden gar nicht mehr benutzt … und trotzdem schreiben Sie gerade Ihre Dialoge leicht verständlich, ja nahezu locker wirkend, so als ob es da keine Unterschiede zu heute geben würde.
M.M.
Man muss sehr genau aufpassen, dass man nur Worte der deutschen Sprache verwendet, die es damals schon gab. Alle Worte, die Englizismen etc. enthalten oder moderne Umgangssprache sind, sind tabu. Ich habe mal in einem HR gelesen, jemand habe dem Protagonisten „dazwischengefunkt“ – so etwas geht gar nicht. Dazwischenfunken ist ein moderner Ausdruck aus der Zeit, als Funkverkehr schon üblich war. Man muss sehr genau auf die Redensarten achten. In der Antike beispielsweise kann ich niemanden in die Schranken weisen – aber im Mittelalter schon – damit sind nämlich die Schranken des Turniers gemeint. Man muss also sehr genau mit der Sprache umgehen. Aber auch dann bleibt sie verständlich.
D.G.
Welches war die schwerste Passage für Sie?
M.M.
Die Psychotherapie mit der Gräfin. Elise zu behandeln war für mich fast genauso anstrengend wie für Lena
D.G.
Welches war die Leichteste?
M.M.
Philips Abenteuer unter den Räubern und mit Thea.
D.G.
Historische Romane werden gerne auch mal als "Nackenbeißer", also als "getarnte Liebesromane" bezeichnet. Bei Ihrem Debut stehen jedoch eher Legenden, Geheimnisse und Intrigen im Vordergrund, und bilden die Bühne für eine Liebesgeschichte.
Ist das nicht beinahe ein Bruch mit den Traditionen des Genres?
M.M.
Nein, im Gegenteil, der historische Roman hat viele Facetten. Es gibt den reinen historischen Roman, der eine wahre Begebenheit bzw. Biographie erzählt. Dann gibt es den historischen Abenteuerroman, der vor einem realen Hintergrund spielt – dazu würde ich die Sündenheilerin zählen. Und dann gibt es noch die historische Romanzen, wo die Liebesgeschichte vor einem realen Hintergrund im Mittelpunkt steht.Ein eigenes Genre im HR ist dann noch der historische Krimi.
D.G.
Die Freundschaft zwischen Philip und Said erinnert im äußerst positiven Sinne ein wenig an den Film "Robin Hood" mit Kevin Kostner und Morgan Freeman. Mir, als Mann und "genrefremden Spion hinter feindlichen Linien", hat dieser Erzählstrang unheimlich gut gefallen. Aber hatten Sie bei diesem Faden Ihrer Geschichte keine Angst, dass man Ihnen das Spiel mit Klischees vorwirft?
M.M.
Ich mag meine Figuren und wenn meine Leser sie mögen ist das umso besser. Wenn mir irgendwer ein Spiel mit Klischees vorwirft, ist mir das egal, denn worin soll das Klischee bestehen? Dass sich zwei Menschen trotz eines unterschiedlichen Glaubens gut verstehen? Das hat es immer gegeben und wird es immer geben. Genau wie den umgekehrten Fall, dass Menschen sich gegenseitig wegen ihrer Überzeugungen umbringen.
D.G.
Sie sind ja Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Wie hat Ihr (akademisches) Umfeld darauf reagiert, dass Sie jetzt ausgerechnet einen historischen Roman geschrieben haben, der, wie ich ja schon früher erwähnte, oft mit einem ironischen Lächeln bedacht wird?
M.M.
Mein Umfeld hat sehr positiv reagiert. Ich habe im Übrigen auch nie bemerkt, dass der historische Roman belächelt wird. Ich habe kein einziges Mal irgendeinen dummen Spruch gehört, sondern nur Anerkennung bekommen.
D.G.
Das "offene Happy End" lässt auf eine Fortsetzung der Abenteuer von Philip, Lena und Said hoffen. Immerhin ist da ja noch eine temperamentvolle Ex-Geliebte, die sich nicht gerade durch ihr ruhiges und ausgeglichenes Gemüt auszeichnet.
Wird es eine Fortsetzung geben, in dem vielleicht auch die Vergangenheit der wichtigsten Protagonisten intensiver beleuchtet wird?
M.M.
Das hängt davon ab, wie gut „Die Sündenheilerin“ vom Publikum angenommen wird. Für mich selbst weiß ich natürlich schon, wie es weitergehen würde, denn solange die Figuren leben, gibt es immer ein danach … Dennoch ist „Die Sündenheilerin“ für sich abgeschlossen. Die Konflikte, um die es ging, sind am Schluss gelöst. Es ist ein Ende, aber natürlich geht das Leben für die Figuren auch danach weiter.
D.G.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Frau Metzenthin, und wünsche Ihnen weiter viel Erfolg für Ihre Karriere. Bestimmt ist dies nicht das letzte Buch von Ihnen, mit dem ich in "fremden Gewässern" auf Beutejagd gegangen bin.