Roßhalde - Hermann Hesse

  • Der Maler Johann Veraguth und seine Frau Adele haben sich während langer Ehejahre entfremdet und leben nur noch wegen ihres jüngsten Sohnes Pierre gemeinsam auf Roßhalde. Auf Drängen eines Freundes will der Künstler seine Familie schließlich doch verlassen, um wieder ein freies Leben führen zu können. Er schmiedet schon Reisepläne als Pierre schwer erkrankt ...


    Anfangs hat mir das Buch nicht sonderlich gefallen, vor allem war mir nicht klar, warum die Eheleute miteinander so unglücklich sind. Johann Veraguth scheint recht umgänglich zu sein, ist außerdem sehr erfolgreich, seine Bilder verkaufen sich gut, und die Familie könnte ein sorgenfreies und unbeschwertes Leben führen.
    Doch bald hatte mich Hesses wunderschöne Sprache völlig in ihren Bann gezogen. Die Gefühlswelt des Malers, der mit seiner strengen und schwerfälligen Ehefrau nicht die richtige Lebenspartnerin gefunden hatte, aber auch die tiefe Liebe zu Pierre und das schlechte Verhältnis zum älteren Sohn hat Hesse höchst eindringlich beschrieben. Er erzählt aber auch aus Pierres Perspektive so anschaulich, dass man ihm mühelos in seine Kinderwelt folgen und in ganz ungewohnter Weise an den Empfindungen und Erlebnissen des sensiblen Knaben teilhaben kann.
    Gegen Ende der Geschichte, als der Tod bereits die Hand nach Pierre ausstreckt, bin ich den Worten des Meisters, die den Leser mitten ins Herz treffen, schließlich so fasziniert gefolgt, als hinge das Überleben des Kindes allein von meinem Lesetempo ab.
    Mein Fazit: Nach einem etwas schleppenden Anfang, von dem man sich keinesfalles vom Weiterlesen abhalten lassen sollte, ist Hesse mit diesem Roman sicher eines seiner Meisterwerke gelungen, das bei mir sowohl inhaltlich als auch stilistisch gleichermaßen punkten konnte.

  • So ein seltsamer Zufall wieder, es ist ungefähr zehn Jahre her, dass ich Hermann Hesse gelesen habe, damals habe ich fast alles, was so bekannt ist von ihm, nacheinander weg gelesen. Letztens habe ich dann mal wieder Lust auf ihn bekommen und mir "Roßhalde" gekauft, weil es eines der wenigen Bücher ist, die ich nicht kenne. Und prompt taucht einige Tage später die Rezension dazu hier auf :-) Ich habe gut zwei Drittel des schmalen Buches gelesen und fand es anfangs auch etwas schwierig, aber man wird auch belohnt. Mal sehen, wie der Eindruck am Ende dann ist.

  • Herzlichen Dank für diese sehr schöne Rezi. Es ist mal wieder Zeit für Hermann Hesse. Ohne Frage einer der größten deutschen Schriftsteller. Ein großer Meister der Sprache - so etwas findet man heute wohl nicht mehr.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Ein großer Meister der Sprache - so etwas findet man heute wohl nicht mehr.


    Ich fürchte, Du hast ganz recht, Voltaire.
    Bei Hesse sehe ich nicht nur das Beschriebene vor mir, ich fühle direkt die wärmenden Sonnenstrahlen, die Anspannung des Schülers vor der Prüfung, oder auch die Entspannung nach einem überstandenen Schuljahr, wenn es heim in die Ferien geht.
    Bei modernen Autoren passiert mir das sehr selten, nicht einmal dann, wenn sie ganz gut schreiben.
    Gerade in "Roßhalde" gelingt es Hesse oft mit wenigen Worten eine Szene zu beschreiben, die sich mir dann unvergesslich einprägt, etwa das Anstreifen der vorbeigehenden Hausfrau an einem Rosenstrauch, der auf dem Klavier steht. In dem Moment habe ich deutlich vor mir gesehen, wie die Rosenblätter auf das dunkle Holz des Flügels fallen und dort liegen bleiben, so als hätte der Meister diese völlig unspektakuläre Szene gemalt und nicht nur beschrieben. Keine Ahnung wie es ihm gelingt, diese starken Eindrücke zu hinterlassen und das mit wenigen Worten in einem einfachen Satz.
    Oder auch Pierres Gedanken, der die Welt aus der Sicht des Kindes so ganz anders erlebt als die Erwachsenen. Ich fühle mich dabei oft an meine eigene Kindheit erinnert, ohne das jemals so ausdrücken zu können, aber wenn ich es bei Hesse lese, ersteht eine längst vergangene Zeit vor meinem inneren Auge.


    Ich wäre natürlich sehr gespannt, wie Du das Romanende erlebt hast, Bell.

  • So, ein paar Worte abschließend... zunächst einmal muss ich sagen, dass ich nicht so begeistert von dem Buch bin, wie damals von "Narziß und Goldmund" oder "Siddhartha" beispielsweise, vom "Glasperlenspiel" mal ganz zu schweigen, obwohl ich da inhaltlich nichts wiedergeben könnte. Das liegt nun aber sicher vor allem am Thema. Maler in mittleren Jahren, von der Frau räumlich und seelisch getrennt, aber durch den jüngeren Sohn doch weiter regelrecht an sie gekettet, von der restlichen Welt fast vollständig isoliert.


    Es ist keine Figur da, mit der ich mich halbwegs identifizieren könnte, und doch vertreten alle Figuren Sorgen, Sehnsüchte und Ängste, die wohl jeder irgendwie kennt. Und genau das sowie die enorme Beobachtungsgabe Hesses sind für mich auch das Starke an dem Buch gewesen. Es gibt da unglaublich eindrückliche Szenen. Zum Beispiel kommt der kleine Pierre ins Atelier, während der Vater gerade malt. Dieser dreht sich um und schaut beleidigt und verärgert wegen der Störung drein. Der Junge wartet geduldig, bis die Grimasse von des Vaters Gesicht weicht und dieser ihn erkennt. Das ist eine starke Szene!


    Dann ist da die Szene, als Pierre untröstlich im Garten herumirrt und sich allein und völlig verlassen von allen fühlt - Hermann Hesse beschreibt es so gut, wie der Jungen sehr wohl instinktiv weiß, dass zwischen den Eltern gar nichts in Ordnung ist, aber er kann es nicht richtig fassen und schon gar nicht in Worten ausdrücken. Pierre möchte man überhaupt die ganze Zeit über nur herzen.


    Die Geschichte selbst finde ich fast ein bisschen dürftig, ehrlich gesagt. Es ist eher diese Gabe, alle möglichen Seelenzustände so unglaublich genau und greifbar zu beschreiben, die dann doch beeindruckt. Da das Thema Einsamkeit hier dominiert, muss man aber überlegen, ob man dafür gerade in der Stimmung ist.


    Eine Empfehlung kann ich leider nicht so richtig aussprechen, weil ich einfach noch weiß, wie mich die Bücher von Hesse damals bewegt haben. Davon war jetzt nichts zu spüren. Gut, ich bin auch älter, oder vielleicht für dieses Buch schon wieder nicht alt genug. Wie gesagt, das Thema ist eigentlich auch nicht so richtig etwas für mich.

  • Wenn es Dir auch nicht so richtig gefallen hat, Bell, hast Du dennoch auf den Punkt gebracht, worum es geht.
    Und ist es nicht ein Zeichen des Genies genau diese Eindrücke hervorzurufen, selbst wenn der Leser dem Inhalt distanziert gegenübersteht?!
    Mir geht es auch oft so, dass mir später Wiedergelesenes nicht mehr so gut gefällt wie beim ersten Mal (oder auch umgekehrt).
    Oder vielleicht bin ich für Hesses "Roßhalde" einfach nur schon wieder alt genug. ;-)

  • Zitat

    Original von Sylli
    Und ist es nicht ein Zeichen des Genies genau diese Eindrücke hervorzurufen, selbst wenn der Leser dem Inhalt distanziert gegenübersteht?!


    Ja, da hast Du recht, das ist schon eine Kunst und ich denke auch, dass ich mich an die Atmosphäre von dem Buch auch später noch werde erinnern können.