Zugegeben - erwartet hatte ich einiges. Denn gerade die französischen Autoren haben in den letzten Jahren immer mal wieder Mut bewiesen, indem sie schwierige aktuelle Themen aufgriffen und sie in einer - fiktiven - Geschichte neu interpretierten, oder sogar lösten. Angefangen hat diese Tradition wohl mit Michel Tournier und seinem "Le Roi des Aulnes" (Der Erlkönig), verfilmt unter dem Titel "Der Unhold". Dann kam Eric-Emmanuel Schmitt mit seinem Roman über den jungen Hitler, "La Part de l'Autre" - was wäre, wenn Hitler damals doch Kunstmaler hätte werden dürfen? Und zu guter Letzt, vor einigen Jahren, Frédéric Beigbeder mit seinem Roman "Windows on the World", in welchem er den 11. September 2001 in New York rekonstruiert. Wie sehr hatte ich gehofft, dieses Buch von Laurence Cossé würdig in diese "Ahnengalerie" einreihen zu können!
Doch weit gefehlt. Dabei ist der Anlass des Buches, die Grundidee, wirklich clever ausgesucht. Was geschah wirklich am 31. August 1997, um Mitternacht, im Pariser Alma-Tunnel? Was war die Ursache für den tödlichen Autounfall von Prinzessin Diana und ihrem Liebhaber, Dodi Al- Fayed? Laurence Cossé bezieht sich durchweg auf bekannte Fakten, die sie zu einer Geschichte ausbaut. Ein kleiner weißer Fiat Uno war damals gesehen worden, doch niemals erfuhr man Genaueres. Laurence Cossé lässt uns in die Seele einer jungen Frau blicken, die damals am Steuer des Fiat Uno hätte sitzen können, und die vielleicht in Panik flüchtete. Im ersten Drittel des Buches, in Teil Eins, begleiten wir die schwer traumatisierte Lou, und all die Gedankenwirbel, die sich in einer solchen Situation einstellen mögen. Das war durchweg recht glaubhaft, und teils sogar spannend geschildert. Vor allem deshalb, weil die Autorin sich konsequent an die überlieferten Fakten hält, wie sie damals in den Nachrichten auftauchten, und sie immer wieder in die Handlung einbindet.
Doch in Teil Zwei und Drei mutiert das bis dahin immer noch "nette" Buch zu einer vollkommen haltlosen Räuberpistole, und läuft - meiner Meinung nach - völlig aus dem Ruder. Lou wird entführt und erpresst, wobei ich die Situationen schon gar nicht mehr zählen kann, in denen ich mir die Haare raufte vor lauter Unwahrscheinlichkeiten. Ich erkenne sie auch gar nicht wieder, die Charakterisierung scheint sich wie ein Fähnchen nach dem Winde zu richten. Es kommt sogar zu einem - diesmal beabsichtigten - zweiten Todesfall, und an dieser Stelle hätte ich das Buch am liebsten vor lauter Wut an die Wand geworfen! Wenn denn da eine Wand gewesen wäre.
Ich habe mich schließlich gezwungen, Teil Drei zu lesen, um wenigstens eine Rezension schreiben zu können. Das war aufgrund des immer noch flüssigen Schreibstils auch nicht zu schwierig. Doch der Inhalt besserte sich leider nicht. Aus der Räuberpistole wird ein Roadmovie, bei dem man am besten gar nicht erst fragt, ob und wie wahrscheinlich diese oder jene Aktion von Lou ist. Erst will sie hierhin, dann dorthin. Aus Paris raus, dann wieder rein. Erst auswandern, dann untertauchen - nur um dann am Ende doch wieder bei ihrer alten Arbeitgeberin zu landen...?? Grundgütiger, bewahre uns vor der losgelassenen Erzählwut einer überambitionierten Schriftstellerin! Es wäre ja alles nicht so schlimm, wäre es nur die Tatsache gewesen, dass ich selber nie im Leben so gehandelt hätte, und dass ich die ganze Handlung auch der Situation für überhaupt nicht angemessen halte. Das wäre ja nur meine persönliche Meinung gewesen. Aber was bei mir nun wirklich gar nicht geht, sind deftige bis haarsträubende logische Lücken, und Charaktere, die sich manchmal von Seite zu Seite widersprechen.
Auf das Ende mag ich nun gar nicht näher eingehen - immerhin lässt es die Autorin ebenso offen, wie der Fall ja in Wirklichkeit bis heute auch ist. Aber ich ärgere mich fast schwarz über so manchen Punkt! Man möge mich bitte aufklären, aber meiner Meinung nach ist es absolut unmöglich, ohne Pass umzuziehen oder gemeldet zu sein, oder ohne Konto ein Gehalt zu beziehen oder Miete zu bezahlen! Aaaargh! So, das muss als Wutausbruch reichen.
Tja, immerhin habe ich den ersten Teil noch leidlich genossen. Auch ist die Sprache im ganzen Buch angenehm zu lesen, allerdings manchmal haarscharf an der Grenze zur Platitüde. Ich denke, die Autorin hätte es beim ersten Teil belassen sollen, um diesen als Novelle zu veröffentlichen. Mit Teil Zwei und Drei macht sie sich alles kaputt.