Arbeit poor. Unterwegs in der DienstleitungsGesellschaft - Barbara Ehrenreich

  • Wenn die Dienstleistungsgesellschaft unsere Zukunft ist, wie leben wir dann in ihr? Die Publizistin Barbara Ehrenreich hat im Selbstversuch erkundet, ob (und wie) man von den Jobs im sogenannten "Niedriglohnsektor" leben kann. Ein Arbeitsbericht von der Kehrseite des Jobwunders.


    So der äußerst knappe Text auf dem Buchrücken. Die Umschlagklappen sind da etwas ausführlicher. Die Dienstleistungsgesellschaft ist die der USA heute, die Autorin, die hier auf Erkundung geht eine der bekanntesten US - amerikanischen Publizistinnen.
    Ehrenreichs Ausgangspunkt ist die Idee, in ihrem Land einmal für eine bestimmte Zeit nicht als promovierte Naturwissenschaftlerin und berühmte Journalistin zu leben, sondern so, wie die so oft von PolitikerInnen, JournalistInnen und den Menschen ihrer Gesellschaftsschicht heraufbeschworenen 'Armen' des Landes. Ihr Ziel: eine Sozialreportage, wie man früher gesagt hätte.
    Eine Sozialreportage wird es und was für eine.
    Wir folgen Ehrenreich auf ihrem Weg als Zimmermädchen und Bedienung in einer Fastfood-Kette, als Verkäuferin bei Wal-Mart, Aushilfspflegerin im Altersheim, Putzfrau bei einer privaten Reinigungsfirma. Mit ihr tauchen wir in eine fremde Welt, mindestens so andersartig wie ein Sonntagnachmittag im 'Sea Life'.
    Die Arbeitsbedingungen sind unmenschlich, der Lohn knap. Die Kontrolle durch die jeweiligen Arbeitgeber ist umfassend. Wir hören von absurden Persönlichkeitstests, aberwitzigen Drogentests, Handtaschenkontrollen, der Bedeutung des 'von rechts nach links' beim Reinigen in einer Kolonne und von den Reichen, die Dollarnoten unter der Teppichkante verstecken um festzustellen, ob: 1. die Putze keine Diebin und 2. ob sie auch wirklich fleißig ist. Atemberaubend.
    Atemberaubend aber ist auch, was Ehrenreich noch entdeckt: ihre Kolleginnen nämlich. Hart arbeitende Frauen, die in der Regel zwei dieser Jobs haben und trotzdem mit ihrem Lohn unter der Armutsgrenze liegen - und dort auch immer bleiben werden. Fleißige Frauen, muntere Frauen mit einem z.T. unfaßbaren Humor bezüglich ihrer Lebenssituation, und - das ist das Umwerfende, hohen Standards, was die Ausübung ihrer bescheuerten Jobs anlangt. Sie gehen ihrer Arbeit mit Hingabe nach. Mit Kenntnissen und Fähigkeiten, die eine promovierte Naturwissenschaftlerin immer wieder einmal überfordern.
    Das Buch ist schrecklich, das Buch ist traurig und es ist zugleich umwerfend komisch, nämlich immer dann, wenn Ehrenreich uns mit dem ihr eigenen Humor, und das heißt mit Gusto, vorführt, wie sich eine liberale, aufgeklärte, politisch ein Leben lang aktive US-Amerikanerin der weißen Mittelschicht fühlt, wenn sie eine andere Realität im Wortsinn er-lebt.
    Und ein Nachwort zu den wirtschaftlichen Zusammenhängen( von H. Afheldt) gibt es auch noch.
    Eine sagenhafte Lektüre. Und so wahr. Guckt's euch mal an.
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für den Tipp, ist notiert, du alte Frauenkämpferin ....
    Hat man sich das als eine literarisch anspruchsvollere Version von "Ganz unten" vorzustellen????

  • Zitat

    Original von columbo
    Danke für den Tipp, ist notiert, du alte Frauenkämpferin ....
    Hat man sich das als eine literarisch anspruchsvollere Version von "Ganz unten" vorzustellen????


    Walraffs Sprache ist eben das 'andere' Deutsch! ;-)
    Ob Ehrenreichs Buch literarisch anspruchsvoller ist?? No idea.
    Es ist auf jeden Fall komischer. Aber deshalb nicht weniger wichtig.
    Daß es um Frauen geht, liegt an der Arbeitsteilung. In Leichtlohnjobs trifft man halt eher Frauen.
    Also kann ich alte Feministin zur Abwechslung mal nichts dafür :lache
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von oemchenli
    Hey magali
    Klingt irrgendwie nach unterste Gesellschaftsstufe und unergründlichen Humor. Habs auf meine Liste notiert.
    Danke nochmal für den Tip.
    Gruss oemchenli
    :-)


    Aba det mach'n wa doch jerne!
    ;-)
    magali
    (eifrig Vokabeln büffelnd)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Na, det hiesije Idiom doch. Sonst vasteht mia doch keen Aas.
    Fütterst du keine Katze etwa nicht genügend??
    Aber die Viecher sind zu ulkig. Maus ist halt Maus
    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • wieso ahnte ich, dass der einzige Beitrag zu Barbara Ehrenreich hier im Forum von magali stammen würde :gruebel


    Ich lese jedenfalls gerade


    Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse von Barbara Ehrenreich


    und bin, obwohl erst auf Seite 150, gefesselt. Ein hochaktuelles Buch, das die gesellschaftlichen Zustände in den USA seziert, dazu noch brillant geschrieben. :anbet Ein Blick ins Impressum sorgt dann für eine Überraschung: das Buch ist über zwanzig Jahre alt (erschienen 1989) :wow
    Ich bin mal gespannt, ob ich dazu eine ordentliche Rezi hinkriege :learn



    Kurzbeschreibung
    Barbara Ehrenreich, bekannt für ihre angriffslustigen Essays, nimmt das Innenleben der amerikanischen Mittelklasse unter die Lupe. Eine Analyse, die in weiten Teilen auch auf die Bundesrepublik übertragbar ist. "Das 'Kapital' der Mittelklasse ist viel vergänglicher als Reichtum, und jeder einzelne Angehörige dieser Klasse muß es sich stets aufs neue mühsam erarbeiten... Ob die Mittelklasse hinunterschaut in die Welt der Entbehrungen oder hinaus ins Reich des Überflusses, die Angst vor dem Absturz verläßt sie nie.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)