Scheißlocation, Kacksound, Hammerband
Das "Astra Kulturhaus" in Berlin-Friedrichshain, unweit der Partymeile, zu der die Simon-Dach-Straße geworden ist, verströmt den Charme einer Siebziger-Jahre-Schulaula. Der mit knapp sechs Metern für Konzerthallenverhältnisse äußerst niedrige Raum fasst geschätzt tausendfünfhundert Zuschauer, die Bühne ist nicht sehr tief, und durch die geringe Raumhöhe gibt es auf der Bühne mehr Licht von hinten als von vorne. Das ganze Gebäude wirkt wie eine Demnächst-Ruine, an der Hallendecke befinden sich Deckenplatten aus DDR-Produktion, die Klimaanlage ist gnadenlos unterdimensioniert (oder defekt).
Das Publikum ist überwiegend männlich, dreißig und älter, hier und da huschen ein paar jüngere Frauen durch die pappevolle Halle. "The Head and The Heart" spielen bereits, als wir eintreffen, die Combo wirkt wie eine Mischung aus "Dexy's Midnight Runners", "The National" und "Arcarde Fire". Der Sänger und der Bassist müssen Brüder sein, jedenfalls haben sie beide mächtige Vollbärte, und die Sängerin hüpft auf der Stelle, als müsse sie dringend mal wohin. Aber der Auftritt ist gefällig, jetzt ist der Sound auch noch in Ordnung - der Saal, in dem schon kurz nach neun mindestens 40 Grad herrschen, feiert den tempiwechselreichen Folk-Rock der Band aus Seattle. Die acht oder neun Leute auf der Bühne wirken wie WG-Bewohner; man meint zu ahnen, welche Konflikte sie schon hinter und welche noch vor sich haben. Nach vierzig Minuten ist der Auftritt vorbei, das Publikum würde Zugaben fordern, aber bereits im - für Vorgruppen sehr respektablen - Schlussapplaus beginnen Roadies mit dem Umbau.
Um zehn, als Ben Gibbard und seine drei Bandkollegen die Bühne betreten, beträgt die Temperatur im Raum schon gut über 40 Grad - am Ende des Gigs, satte zwei Stunden später, sind es gefühlt mindestens 60.
DCFC gehören zu den Bands, die avantgardistischen Indie-Rock spielen, sehr gitarrenlastig, aber auch Pianos und Keyboards werden hin und wieder eingesetzt. Nach dem leicht depressiven Album "Narrow Stairs" ist das aktuelle, "Codes and Keys", lässig, fast schon entspannt. Die Single "You're A Tourist" würde auch Hörer von Hitradios kaum verwirren.
Schon beim zweiten Song ist das Hemd von Gibbard durchgeschwitzt, was nicht nur am Hallenklima liegt, sondern auch an seinem enormen Körpereinsatz. Allerdings deutet sich auch bereits jetzt an, dass die Akustik der Halle für diesen Gig denkbar ungeeignet ist. Sobald beide E-Gitarren beteiligt sind, verschwimmt die Mucke zu einem dumpfen Brei, Gibbards Gesang tritt in den Hintergrund, die Bässe sind sumpfig, dafür ist es ordentlich laut. Als die vier nach etwa einer Stunde den "Hit" "Soul Meets Body" von 2005 spielen, gibt es erstmals etwas, das man gutwillig als "Klang" bezeichnen könnte, und auch die aktuelle Single kommt vergleichsweise gut rüber, aber der Rest hört sich wie durch Watte an. Trotzdem macht das Konzert großen Spaß, denn dort vorne auf der Bühne wird hart gearbeitet und alles gegeben, Gibbard trieft, und wenn er den Kopf schüttelt, regnet es aus seinen halblangen Haaren. Sie spielen wirklich alles und noch ein bisschen mehr, zuweilen stark verkürzte Versionen, leicht veränderte Arrangements, und auch wenn die Kommunikation mit dem Publikum spärlich ausfällt, vermitteln sie den Eindruck, Spaß an der Sache zu haben - eine Band, die in Amerika große Hallen füllt und auch schon im "Hollywood Bowl" aufgetreten ist, mit großem Orchester. Von diesem Auftritt gibt es übrigens ein faszinierendes Video, das aus den Handyaufnahmen der Zuschauer zusammengeschnitten ist: Das Finale mit "Transatlanticism", jener Acht-Minuten-Nummer, die im Hauptteil aus dem wiederholten "I Need You So Much Closer" besteht, und das die Band für ein großes Publikum bekannt gemacht hat, weil es in einer Schlüsselszene der genialen Fernsehserie "Six Feet Under" lief. Mit diesem Song endet der Gig, nach etwa 130 Minuten, die trotz des Sounds und der wirklich beschissenen, stinkenden Location einfach geil waren. Auch mein Hemd ist schließlich durchgeschwitzt, obwohl ich mich wenig bewegt habe, und das Bier danach ist eine echte Belohnung. Ich trinke es auf Gibbard und seine Kollegen, die meiner Meinung nach neben "The National", "Arcade Fire", "Interpol" und einigen wenigen anderen zu den besten Indie-Rockmusikern der Welt gehören.