Death Cab For Cutie, 27.6.2011, Berlin - Astra

  • Scheißlocation, Kacksound, Hammerband


    Das "Astra Kulturhaus" in Berlin-Friedrichshain, unweit der Partymeile, zu der die Simon-Dach-Straße geworden ist, verströmt den Charme einer Siebziger-Jahre-Schulaula. Der mit knapp sechs Metern für Konzerthallenverhältnisse äußerst niedrige Raum fasst geschätzt tausendfünfhundert Zuschauer, die Bühne ist nicht sehr tief, und durch die geringe Raumhöhe gibt es auf der Bühne mehr Licht von hinten als von vorne. Das ganze Gebäude wirkt wie eine Demnächst-Ruine, an der Hallendecke befinden sich Deckenplatten aus DDR-Produktion, die Klimaanlage ist gnadenlos unterdimensioniert (oder defekt).


    Das Publikum ist überwiegend männlich, dreißig und älter, hier und da huschen ein paar jüngere Frauen durch die pappevolle Halle. "The Head and The Heart" spielen bereits, als wir eintreffen, die Combo wirkt wie eine Mischung aus "Dexy's Midnight Runners", "The National" und "Arcarde Fire". Der Sänger und der Bassist müssen Brüder sein, jedenfalls haben sie beide mächtige Vollbärte, und die Sängerin hüpft auf der Stelle, als müsse sie dringend mal wohin. Aber der Auftritt ist gefällig, jetzt ist der Sound auch noch in Ordnung - der Saal, in dem schon kurz nach neun mindestens 40 Grad herrschen, feiert den tempiwechselreichen Folk-Rock der Band aus Seattle. Die acht oder neun Leute auf der Bühne wirken wie WG-Bewohner; man meint zu ahnen, welche Konflikte sie schon hinter und welche noch vor sich haben. Nach vierzig Minuten ist der Auftritt vorbei, das Publikum würde Zugaben fordern, aber bereits im - für Vorgruppen sehr respektablen - Schlussapplaus beginnen Roadies mit dem Umbau.


    Um zehn, als Ben Gibbard und seine drei Bandkollegen die Bühne betreten, beträgt die Temperatur im Raum schon gut über 40 Grad - am Ende des Gigs, satte zwei Stunden später, sind es gefühlt mindestens 60.
    DCFC gehören zu den Bands, die avantgardistischen Indie-Rock spielen, sehr gitarrenlastig, aber auch Pianos und Keyboards werden hin und wieder eingesetzt. Nach dem leicht depressiven Album "Narrow Stairs" ist das aktuelle, "Codes and Keys", lässig, fast schon entspannt. Die Single "You're A Tourist" würde auch Hörer von Hitradios kaum verwirren.


    Schon beim zweiten Song ist das Hemd von Gibbard durchgeschwitzt, was nicht nur am Hallenklima liegt, sondern auch an seinem enormen Körpereinsatz. Allerdings deutet sich auch bereits jetzt an, dass die Akustik der Halle für diesen Gig denkbar ungeeignet ist. Sobald beide E-Gitarren beteiligt sind, verschwimmt die Mucke zu einem dumpfen Brei, Gibbards Gesang tritt in den Hintergrund, die Bässe sind sumpfig, dafür ist es ordentlich laut. Als die vier nach etwa einer Stunde den "Hit" "Soul Meets Body" von 2005 spielen, gibt es erstmals etwas, das man gutwillig als "Klang" bezeichnen könnte, und auch die aktuelle Single kommt vergleichsweise gut rüber, aber der Rest hört sich wie durch Watte an. Trotzdem macht das Konzert großen Spaß, denn dort vorne auf der Bühne wird hart gearbeitet und alles gegeben, Gibbard trieft, und wenn er den Kopf schüttelt, regnet es aus seinen halblangen Haaren. Sie spielen wirklich alles und noch ein bisschen mehr, zuweilen stark verkürzte Versionen, leicht veränderte Arrangements, und auch wenn die Kommunikation mit dem Publikum spärlich ausfällt, vermitteln sie den Eindruck, Spaß an der Sache zu haben - eine Band, die in Amerika große Hallen füllt und auch schon im "Hollywood Bowl" aufgetreten ist, mit großem Orchester. Von diesem Auftritt gibt es übrigens ein faszinierendes Video, das aus den Handyaufnahmen der Zuschauer zusammengeschnitten ist: Das Finale mit "Transatlanticism", jener Acht-Minuten-Nummer, die im Hauptteil aus dem wiederholten "I Need You So Much Closer" besteht, und das die Band für ein großes Publikum bekannt gemacht hat, weil es in einer Schlüsselszene der genialen Fernsehserie "Six Feet Under" lief. Mit diesem Song endet der Gig, nach etwa 130 Minuten, die trotz des Sounds und der wirklich beschissenen, stinkenden Location einfach geil waren. Auch mein Hemd ist schließlich durchgeschwitzt, obwohl ich mich wenig bewegt habe, und das Bier danach ist eine echte Belohnung. Ich trinke es auf Gibbard und seine Kollegen, die meiner Meinung nach neben "The National", "Arcade Fire", "Interpol" und einigen wenigen anderen zu den besten Indie-Rockmusikern der Welt gehören.

  • Meine Hassliebe Astra Kulturhaus. Zwei Konzerte habe ich bisher hier erlebt, großartige Konzerte. Von den Stereophonics und von And You Will Know Us By The Trail Of Death. Und heute also Death cab For Cutie.


    Es ist ein relativ kleiner, gemütlicher Laden in Friedrichshain, das Konzert ist ausverkauft, deshalb wird es eng werden. Bei Temperaturen um die dreißig grad schwant mir Übles, daher habe ich mich für ein luftiges Kleidchen entschieden, was aber nicht verhindert, dass ich bereits nach einigen Minuten im eigenen Saft stehe.
    Die Lüftung ist in diesem Laden alles andere als gut. Habe ich irgendwann mal erwähnt, dass ich u.a Aromatherapeutin bin? Nein? Also- ich bin u.a Aromatherapeutin. Ich habe eine extrem feine Nase mit einem ausgeprägten Geruchssinn. Das, was meine Nase dort teilweise zu riechen bekommt, grenzt an Körperverletzung. M.E. nach ist es gradezu unhöflich, vor dem Konzertbesuch einen Döner zu essen oder zwei Wochen nicht zu duschen, wenn man dann auch noch dicht an dicht und verschwitzt mit anderen Menschen in einem schlecht belüfteten Saal steht. Aber lassen wir das lieber.


    Wir stehen im vorderen Drittel dieser Halle, die durch komische Pfeiler getrennt wird. Das Publikum besteht zum größten Teil aus Studenten (ich würde Anglistik, Germanistik und Pädagogik tippen, größtenteils. Möglicherweise sogar Waldorf- affin. :grin) Passt ja auch ein Wenig- Death Cab For Cutie sind vor Allen Dingen durch Serienhits wie "O.C. California" und "Six Feet Under" bekannt geworden. Diese Serien fallen nicht in mein Beuteschema- (SFU vielleicht schon, aber bisher fehlt mir die Zeit) jemand hat mir mal einen Tipp gegeben und so wurde ich - zum Glück- auf diese Band aufmerksam. Der überwiegende Teil der Taschen- und Rucksackbehangenen Hippchen in meinem Umfeld daddelt mit Smartphones durch die Gegend, anstatt dem Gesprächspartner beim Erzählen in die Augen zu sehen.


    Dann erobern "The Head And The Heart" die Bühne, erfrischender, kreativer Folkrock, der sich Geigen, Schellen und skurillen Tanzeinlagen bedient. Dieser Auftritt überzeugt mich sofort. Lustich, irgendwie. Bisschen bescheurt, aber gut. "The Head and The Heart" murmele ich vor mich hin- merk Dir das mal.


    Und dann geht es los, Death Cab For Cutie sind endlich da. Sie spielen viel von der neuen Platte, die für mich jetzt schon zu den Highlights dieses Jahres gehört. Hits wie "You're a Tourist" werden sympatischer Weise in der Mitte irgendwo verbraten. Es ist eine wirklich tolle Darbietung, die die Band abliefert. Viele Keyboards, tragende, groovige, im Grunde genommen extrem tanzbare Musik. Bei dem grandiosen "Doors unlocked And Open", meinem Lieblingsstück von "Codes And Keys", juckt es mir dermaßen in den Füßen und ich versuche, ein bisschen zu schwoofen. Die Menschen neben und vor mir haben entweder wichtig konzentriert die Arme verschränkt oder halten ihre I- Phones hoch und bewegen sich dabei nicht. Ich gebe auf. Bewegen ist nicht. Ein Drittel des Konzertes verfolge ich durch ein Smartphone- Display, das das spitzenbebluste, kleine Püppchen vor mir genau in mein Sichtfeld in die Höhe hält. Ich ertappe mich bei dem Wunschgedanken, das Ding auf den Boden zu schmeißen, draufzuspringen und "RETTET DEN ROCK 'N' ROLL" zu schreien. Nun ja. Ist vielleicht so in der heutigen Zeit, man wird ja auch nicht jünger. Der Sound ist bis zur ersten Zugabe an unserer Position sehr gut.


    "Transatlanticism" am Ende ist berührend, traurig, verleitet zum Schwelgen und zum Festhalten so manchen Augenblicks.


    Fazit: das war ein tolles Konzert mit einer grandiosen Band, leider mit einem bescheuerten Publikum in einer Location, die mich langsam nervt und meine Nase beleidigt. :lache

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Zitat

    Das, was meine Nase dort teilweise zu riechen bekommt, grenzt an Körperverletzung.


    Aber hallo. Ich habe unentwegt "Scheiß-Rauchverbot, Scheiß-Rauchverbot" gedacht - immerhin hat der Qualm früher diese infernalischen Ausdünstungen sanft überdeckt, und Passivrauchtote habe ich bei Konzerten auch nie miterlebt. ;-)

  • Also bei uns haben sogar welche (anarchisch) geraucht. Hat mich jetzt nicht gestört, ich würde aber auch nicht behaupten, dass es irgendwas verbessert hätte. :grin Nächstes Mal nehme ich einen Liter febreze mit und ziehe damit einen Kreis auf den Boden.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • DCFC find ich auch klasse. Allerdings ist das auch eine jener Bands, wo ich immer wieder überrascht bin, wenn ich von einem neuen Album höre. Ähm, ja. *hust*


    Aber das ist schon tolle Musik. Nicht umsonst werden viele Songs in den US-Serien benutzt. Immer schön von ihnen was neues zu hören.

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Danke für die tollen Berichte und die Hintergrundinfos.
    Mir war bislang nicht bekannt, dass Death Cab For Cutie Musik für große amerikanische Serien geschrieben hat; auf die Band bin ich erst durch ihre Dauerschleife bei Delta Radio aufmerksam geworden.


    Salonlöwin : fällt mir grade ein: Zu irgendeinem "Twillight"- Vampir- Gedöns- Film haben sie auch was zum Soundtrack beigesteuert. Finde ich persönlich schlimm, aber selbst die großartigen "Muse" sind ja dort vertreten. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Für den Soundtrack zum zweiten Teil der Twilight Saga (New Moon) haben sie ein Lied beigesteuert, Meet Me On The Equinox, auch ein sehr schönes Lied.


    Ich bin auf sie aufmerksam geworden, weil in der RTL Serie Doctor´s Diary "I Will Follow You Into The Dark"gespielt wurde, welches nun eins meiner absoluten Lieblingslieder überhaupt geworden ist.

  • Zitat

    Original von rienchen: Salonlöwin : fällt mir grade ein: Zu irgendeinem "Twillight"- Vampir- Gedöns- Film haben sie auch was zum Soundtrack beigesteuert. Finde ich persönlich schlimm, aber selbst die großartigen "Muse" sind ja dort vertreten. Winken __________________


    Sie waren wohl nicht mehr jung und brauchten noch mehr Geld :lache.

  • Bissl OT:


    Wobei Muse ja auf diversen Fanmixen und in dem Twilight Fandom allgemein sehr bekannt ist und dort quasi jeder Song irgendwie mit Bella/Edward in Verbindung gebracht wird. Liegt wohl auch daran, dass Meyer Muse oft beim Schreiben hörte und ihre Playlists gepostet hat.