Linkin Park in der O2 Arena in Hamburg am 21.Juni 2011
Lange hatte ich auf einen Auftritt der Band aus L.A. im hohen Norden gewartet. Zu lange wie sich bei der Ticketbestellung herausstellt und für häusliche Diskussionen sorgt, denn es sind nur noch Karten für wenige Plätze oberhalb der rechten Bühnenseite erhältlich, versperrte Sicht nicht ausgeschlossen.
Meine Erwartungshaltung auf dieses Konzert erhöht sich merklich als ich einen Abend zuvor eher zufällig fünf Minuten vor Konzertbeginn auf einen Kieler Woche-Auftritt der mir gänzlich unbekannten finnischen Blues- und Rocksängerin Erja Lyytinen aufmerksam werde und bis zum Ende des 1 3/4 stündigen Events bleibe.
Lyytinen, die als Sängerin mit Südstaaten-Blues im Blut und unter Hinweis auf ihre frühere Tätigkeit für Nightwish und Apocalyptica angekündigt wird, erweist sich entgegen meinen Befürchtungen als professionelle Sängerin, die ein gänzlich anderes Repertoire als das ihrer finnischen Musikkollegen präsentiert und es versteht sowohl im Umgang mit der Gitarre als auch mit
ihrer Optik zu überzeugen. Bekleidet mit schwarzem Top und Minirock und strassbesetzten Riemchensandalen schwingt die Finnin die E-Gitarre, wechselt von Blues- zu Rockstücken, mal ruhig, mal voller Kraftanstrengungen und immer gut gelaunt, ebenso wie die sie begleitenden Musiker, die offensichtlich Freude daran haben, vor einem kleinen Publikum zu spielen.
Neben Stücken aus dem aktuellen Album "Voracious Love" spielt sie auch Coverversionen wie Steamy Windows (Original von Tina Turner), die durchaus glaubwürdig wirken.
Die Mehrheit des Publikums honoriert Erja Lyytinens stimmungsvollen Auftritt, in dem sie bis zum Ende bleibt, Zugaben fordert und die Sängerin mit einem überwältigenden Beifall verabschiedet.
Auf jeden Fall geht ein musikalischer Abend zu Ende, der dem einen oder anderen noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Erja Lyytinen hat jedenfalls den Beweis angetreten, dass weniger bekannte Künstler und kostenlose Auftritte denen namhafter Bands und Solisten in nichts nachstehen müssen.
Zurück zu Linkin Park. Halbwegs pünktlich angekommen, sollte das Konzert um 20.00 Uhr beginnen. Zu unserer Verwunderung spielt die Vorband bereits und meine bessere Hälfte kommentiert die Darbietung mit den Worten "übersteuert" und "organisierter Krach". Okay, so gänzlich falsch sind diese Aussagen nicht und glücklicherweise kann ich tatsächlich etwas vom Text des vorletzten Liedes verstehen.
Der Bühnenumbau ist gegen 20.15 Uhr abgeschlossen und ab diesem Zeitpunkt beginnt ein Video zu laufen, das auf das Engagement der Band hinweist und um Unterstützung für die Opfer des Erdbebens in Japan bittet. Entgegen meiner Erwartung verzichtet die Truppe um Chester Bennington und Mike Shinoda erfreulicherweise darauf, während des Abends im Gegensatz zu anderen Musikern zusätzlich auf die Tränendrüse und damit auf die Stimmung der Besucher zu drücken.
Pünktlich um 20.30 Uhr stehen die Jungs in Hemd und Jeans auf der Bühne und beginnen mit härteren Stücken den Abend. Dabei verausgabt sich die Band mit derart akrobatischen Leistungen und animiert die Fans auf den Stehplätzen, dass wir uns fragen, wie kurz der Abend für uns werden wird. Spätestens nach den ersten drei Songs bleibt kaum ein Konzertbesucher auf den Rängen sitzen, was sich auch nicht bei den anschließenden ruhigeren Stücken ändert.
Wie die anderen 12.000 Besucher bin ich in Tanzlaune und begeistert und auch mein Liebster hat endlich etwas von seiner Zurückhaltung abgelegt und lässt sich von der Euphorie anstecken.
Wie überzeugend Linkin Park tatsächlich sein kann können wir feststellen, als sich ein circa fünfjähriges Mädchen als einer der hartnäckigsten Fans erweist und in unserer Reihe während des gesamten Konzerts Arme schwenkend auf Papas Schultern aushält.
Unsere Sitznachbarn und wir äußern zwar vor dem Konzert unsere Bedenken, den Nachwuchs einer derartigen Geräuschkulisse auszusetzen, aber den Eltern und ihrem Sprössling machen die Lautstärke offensichtlich nichts aus.
Als dann Songs wie "Burning in the skies" gespielt werden rechnet so mancher damit, dass die Mainstream-Stücke der neuen Scheibe durch das Publikum mit Buhrufen abgestraft werden, doch genau das Gegenteil passiert.
Allerdings laufen die Zuschauer und damit Linkin Park erst zu Höchstform bei Klassikern wie "Crawling" und "Numb" auf und krönen ihren Auftritt mit "Breaking the habit" und "In the end", als Chester und Mike sich in die ersten Reihen stürzen und so ein hautnaher Kontakt zu den Fans entsteht.
Bis zum Ende des minimalistisch gehaltenen 1 3/4 stündigen Auftritts, der ohne Kostümwechsel, Feuerwerk und sonstige Showelemente auskommt, herrscht in der O2 Arena eine Partystimmung, die unvergesslich bleiben wird.
Als wir die Arena verlassen fragt mich mein Liebster:"Und?" Ich nicke nur. Später im Auto sitzend krächze ich: "Mach mal N-Joy an. Vielleicht bringen sie noch einen Bericht." Leider nicht.
Auf dem Parkplatz herrscht Chaos und wir warten darauf, hinausfahren zu können. Ein junger Typ geht an unserem Auto vorbei und schaut mich durch die Fensterscheibe grinsend an. Wir wissen, dass wir einen tolles Konzert erleben durften und beim nächsten Mal wieder dabei sein werden.