Dokumentar - und Animationsfilm von Jörg Adolph, Gereon Wetzel (Deutschland 2010) 88 min. if Productions München
Am Anfang sieht man nur Papier, Mengen, Unmengen von Papier, überall, es breitet sich über den Boden aus und wandert die Wände hinauf. Der erste Eindruck ist weiß, ein Schneefeld, man denkt an Lawinen. Ein Durchkommen scheint unmöglich.
Dann wird Ordnung aus Chaos. Ein Mann in einem weißen Kittel geht durch den Raum, rasch, sicher, sein Weg ist gebahnt. Die Papiermengen werden zu Stapeln auf Paletten, ordentlich geschichtet, Lagen von Druckbögen auf Arbeitstischen, zu Manuskripten und Entwürfen in Schubladenboxen und Ordnern. Der Mann ist Gerhard Steidl, Verleger und Besitzer des Steidl-Verlags, des Namens, wenn es um Kunst, vor allem um Fotokunst geht.
Der fast anderthalbstündige Dokumentarfilm zeigt Gerhard Steidl bei der Arbeit. Steidl ist ein Mann always on the move, der Film dementsprechend ein road movie. Von Göttingen, dem Geburtsort und Verlagsstandort geht es in die USA und nach Kanada, später nach Paris und London, Hamburg, Qatar. Überladene Koffer, zehn Termine am Tag, vom Taxi ins Flugzeug, ins Taxi, ins Flugzeug, New York, Los Angeles, wusch und weiter. Steidl besucht seine Kunden, zeitgenössische Fotografen vor allem, das Kamerateam ist immer dabei. Eine leichte Irritation bei den Kunden auch, die Unsicherheit gefilmt zu werden, überrascht ein wenig bei Menschen, die die Welt doch ihrerseits hauptsächlich durch Kameralinsen betrachten.
Niemals irritiert ist der Protagonist. Es ist nach wenigen Filmminuten bereits klar, warum das so ist. Das Sagen hat er, auf Deutsch ebenso wie in seinem zwar flüssigen, aber (bewußt kultivierten?) fehlerhaften und akzentbelasteten Englisch. In seinem Verlag, in der Zusammenarbeit mit den Künstlern, - man ist geneigt, das Wort ‚Zusammenarbeit’ allein beim Erzählen von diesem Film schon in Anführungszeichen zu setzen - , und eben auch bei dieser Dokumentation. Tatsächlich ist dieser Film, abgesehen von einem Einblick in die Arbeit dieses Verlags, ein Studie in Verlegerdiktatur, atemberaubend und hochamüsant, wenn man nur zuschauen darf und nicht betroffen ist.
Steidl präsentiert sich mit Gusto als einfacher Drucker, aus kleinen Verhältnissen. Millionär sei er nicht, sagt er, ein wunderbares Argument. Schließlich ist ‚Millionär’ immer noch das Synonym für ‚reich’, das Gegenteil ergibt sich von selbst. Es gibt einige solcher interessanter kleiner Aussagen von ihm im Lauf des Films. Deutlich wird allerdings auch die andere Seite, die, die den Verlag zu dem gemacht hat, was er ist. Das Wunderkind eines obsessiven Spezialisten. Es gibt wahrscheinlich keine Schraube in einer Druckmaschine, die Steidl nicht benennen kann. Keine Art zu drucken, bis hin zu den allerneuesten Entwicklungen ist ihm unbekannt, sein Wissen über Papiersorten enzyklopädisch. Sein Farbensinn ist ebenso ausgeprägt wie sein Sinn für den Markt.
Begleitend wird die Entstehung eines Fotobuchs des New Yorker Fotografen Joel Sternfeld gezeigt, mit Bildern, die dieser mit seinem iPhone in Dubai in einer 'shopping mall' aufgenommen hat. Die Gespräche zwischen Verleger und Künstler über die Gestaltung dieses Buchs gehören mit zu den faszinierendsten Momenten des Films. Wer wird siegen, Künstler oder Kaufmann? Der Künstler im Kaufmann? Zuschauerinnen und Zuschauer erleben einen Perfektionisten in puncto Kunst wie Markt, der nicht vom leisesten Zweifel an seinem endlichen Sieg angefochten wird.
Was das reine Zahlenmaterial über den Verlag angeht, gibt es wenige Fakten. Der Verlag ist vierzig Jahre alt, der Besitzer sechzig, es gibt 45 MitarbeiterInnen (die Verlagswebsite spricht von 35 in Göttingen), pro Jahr erscheinen bis zu 300 Titel. Über Umsätze wird nicht gesprochen, lieber über Günter Grass, der bei Steidl verlegt wird. Natürlich sind Grass und Steidl befreundet und Steidl läßt Grass solange den Pinsel ansetzen, bis das Ergebnis exakt dem entspricht, was er sich vorgestellt hat. Perfektionismus in Reinkultur. Altmodisch, Drill, das Ergebnis gibt ihm recht, auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Man zeigt sich mit Lagerfeld bei einer Modeschau in Paris, nahezu unterschlagen wird, daß alles, was bei Lagerfeld an Gedrucktem anfällt (einschließlich der Eintrittskarten für Modeschauen) eben bei Steidl gedruckt wird. (das gilt ebenso für Arden, Fendi, Yamamoto). Eine Buchpräsentation in Frankfurt, eine Vernissage in London, ein Blick auf Museumsbesuche. Das einzigartige Vertriebssystem des Verlags mit einer Handvoll der größten Kunstmuseen dieser Welt findet keine Erwähnung. Warum auch, Gerhard Steidl ist überall. Er ist sogar noch da, wenn er gar nicht vor Ort ist. Erfolg ist, wenn man gar nicht mehr erwähnt werden muß.
Filmisch wird versucht, nicht nur Verlag und Person, sondern eben auch visuelle Kunst umzusetzen, der Dokumentarfilm hat auch für seine Animationen Lob und einen Preis bekommen. So ist ein interessantes Filmporträt entstanden, das man allerdings mit einer gewissen kritischen Distanz anschauen sollte. Die eigentliche Wirkung ergibt sich hier eher aus dem Nichtgesagten, dem nur flüchtig Gestreiften, den Gesten, den Details in den vielen, vielen Bildern. Er ist sorgfältig kompomiert, nicht von ungefähr wird auch ein Fotobuch von Ed Ruscha über Kerouacs 'On the Road' erwähnt.
Wer Gerhard Steidl tatsächlich ist, ist nur schwer auszumachen. Die Künstlerin June Leaf versucht sich an einem Porträt, sie muß aufgeben. ‚You are somewhere in this picture, Gerhard’, schreibt sie auf die Leinwand.
Wer diesem Film aufmerksam folgt, hat es ein bißchen leichter.
edit: sehr dummer Schreibfehler. Irgendwann in diesem Leben werde ich hoffentlich lernen, wie man Quatar schreibt.