Gegenwinde - Olivier Adam

  • •Gebundene Ausgabe: 270 Seiten
    •Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1., Aufl. (21. Februar 2011)
    •Sprache: Deutsch
    •ISBN 978-3608938876
    •Preis € 21,95


    Kurzbeschreibung
    »»Gegenwinde« ist ein brillanter und kraftvoller Roman voller Menschlichkeit und Zärtlichkeit.« Télérama
    Wie kann das Leben weitergehen, wenn der Mensch, den man am allermeisten liebt, von heute auf morgen spurlos verschwindet? Olivier Adam erzählt eine intensive und ergreifende Familiengeschichte, von Verlust und dem unbeirrbaren Glauben an das Unmögliche.



    Klappentext
    Plötzlich ist Paul Anderen mit seinem neunjährigen Sohn und der siebenjährigen Tochter allein - von seiner Frau fehlt jede Spur. Die kleine Familie ist erschüttert und ratlos. Irgendwann ziehen die drei aus der Stadt an die bretonische Küste, wo Paul aufgewachsen ist und wo er Arbeit in der Fahrschule seines Bruders findet. In der rauen, sturmgepeitschten Landschaft versuchen sie, ein neues Leben zu beginnen. Doch in ihrem Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung kommen sie zu keiner dauerhaften Ruhe. Und eines Tages zeigt sich, was wirklich hinter dem rätselhaften Verschwinden ihrer Frau und Mutter steckt ... Sensibel und einfühlsam erzählt »Gegenwinde« von kleinen und großen Menschen, die sich in einem schweren Ausnahmezustand einrichten müssen.


    Meine Meinung:
    Paul`s Frau Sarah ist verschwunden. Einfach so von heute auf morgen, sämtliche Untersuchungen bleiben ohne Ergebnis.


    Zwei Jahre später, Paul Anderen kann das Leben so nicht mehr aushalten und beschließt die gemeinsame Wohnung in Paris aufzugeben und mit den Kindern Manon (4) und Clement (9) zurück in seine Heimatstadt am Ärmelkanal zu ziehen.


    Den Kindern geht es nicht gut, Manon wacht immer wieder mit Alpträumen auf und schreit nach ihrer Mutter, Clement zieht sich immer mehr in sich zurück....und Paul der seine Frau schmerzlich vermisst versucht den beiden Stabilität zu vermitteln, versucht ihnen (und sich selbst) Familie zu sein.


    Vielleicht kann ihm das gelingen....


    Wenn man trotz dieses traurigen Themas von einem wunderschönen Buch sprechen kann, dann ist das Olivier Adams Talent geschuldet, die Dinge sehr fein zu beobachten, die Sprache mal poetisch mal wuchtig klingen zu lassen.

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Paul und die Kinder ziehen zurück in Pauls Heimatort in den Nordosten der Bretagne. Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Sarah, Pauls Frau, von einem Tag zum anderen verschwand. Paul geht es gesundheitlich schlecht, er trinkt zu viel und hat schon seit langem keine Drehbücher mehr geschrieben. Paul und die Kinder konnten den Verlust Sarahs bisher kaum verarbeiten; sie wissen nicht, ob sie um Sarah trauern sollen oder auf ihre Rückkehr hoffen könnenr. Das Leben wie mit einer offenen Wunde ist für alle drei kaum zu ertragen. Manon ist völlig verstört und leidet an Alpträumen, während Clément mürrisch die Fassade des vernünftigen großen Bruders wahrt.


    "Die Nacht beschützte uns, und in diesem Moment habe ich gedacht, es könnte wieder werden, hier würde ich die Scherben wieder zusammenfügen, von neuem Fuß fassen, die Kinder und mich dem Schmerz entreißen können, der uns seit Monaten lähmte. Das Haus mit unseren Spuren, mit den Erinnerungen an uns vier, war irgendwann unerträglich geworden, ich war fast nicht mehr ausgegangen, die Kinder waren vor meinen Augen verkümmert, ich hatte das Gefühl gehabt, das Licht sträubte sich, hereinzukommen, alles würde früher oder später über uns zusammenstürzen. Das Unkraut im Garten, der Efeu, der Wein, die Tamariske, alles schien sich über uns zu schließen, uns zuzudecken und lebendig zu begraben." (S.18/19)


    Paul legt mit dem Umzug seinen Wohnort und die Wohnung ab wie eine alte Haut, packt nur den nötigsten Hausrat ein, um in der Bretagne neu zu beginnen. In seinem Heimatort hat Pauls Bruder die Fahrschule der Eltern übernommen und verschafft seinem Bruder mit einem Aushilfsjob ein erstes Einkommen. Nach ein paar kurzen Ferientagen am Meer wird die kleine Tochter Manon in die Vorschule gehen und Sohn Clément in die Grundschule. An das leicht melancholische Gefühl an einem Sonntag in dem Bewusstsein, dass man morgen wieder zur Schule gehen muss, erinnert Paul sich noch aus seiner Schulzeit. Olivier Adam zeigt sich in Szenen wie dieser als sensibler Beobachter von Gefühlen. Manon und Clément sind beide nicht glücklich mit ihren neuen Lehrerinnen; aber Paul unternimmt nichts, um in der Schule Verständnis für die schwierige Situation seiner Kinder zu wecken.


    Nach und nach trifft Paul die Gestrandeten des Ortes. Bruder und Schwägerin wünschen sich vergeblich ein Kind, Pauls Nachbarin und seine Fahrschüler scheinen komplizierte Personen zu sein und aus Cléments Schule wird ein Kind vom Vater entführt, der sich mit seiner Exfrau nicht über das Sorgerecht einigen kann. Wo die Menschen als Krankenschwester oder Muschelzüchter arbeiten, wirkt Paul als Autor wie abgeschnitten von seinem Beruf und seinem alten Leben. Er versorgt seine Kinder, während für ihn selbst die Zeit stillzustehen scheint. Jede Unternehmung mit der Familie am Meer erinnert Paul schmerzlich an unbeschwerte Ferientage gemeinsam mit Sarah.


    Gegenwind wirkt wie eine Momentaufnahme. Paul wird von den Problemen anderer abgelenkt, lenkt sich vielleicht auch unbewusst selbst damit von seiner Situation ab. Atemlos wartet man auf seinen nächsten Schritt, ob er sich dem Kummer seiner Kinder intensiver zuwenden wird und ob er selbst um seine verschwundene Frau trauern kann. Gegenwind beeindruckt allein schon durch die Figur des plötzlich alleinstehenden Vaters. Der Kontrast zwischen der Innenwelt von Vater und Kindern und der von Adam liebevoll beschriebenen Landschaft arbeitet die Situation der verlassenen Familie eindringlich heraus.


    9 von 10 Punkten