Thomas Gsella, Warte nur, balde dichtest du auch!

  • Habe mir gerade mit Mühe die Lachtränen aus den Augen getupft, um an den Rechner zu eilen. Dieses Buch ist ein Kracher, und wahrscheinlich auch ein ziemlicher Aufreger in manchen literarischen Kreisen. Ich würde gerne wissen, ob der Autor von den hier veralberten Personen Rückmeldungen bekommen hat! Doch wie dem auch sei, zunächst verdient es einfach, besprochen und auch gelesen zu werden.


    Wer ist Thomas Gsella eigentlich? Ich kannte ihn bislang auch nur aus diversen Anthologien, und zwar zumeist aus komischen. Meine Ansicht ist, er ist ein Dichter, der genial mit Worten und Bedeutungen spielen kann, der sich für (fast) keine Pointe zu schade ist, und der sich herzlich wenig um literarische Vorbilder schert. Oder eben doch...?


    Es gehört schon einiges an Mut dazu, ausgerechnet Marcel Reich-Ranicki und seine "Frankfurter Anthologie" zu veralbern! Doch genau das bringt Thomas Gsella fertig, und zwar auf überaus geniale Weise. Die "Frankfurter Anthologie" ist eine fortlaufend erscheinende, unendliche deutsche Gedichtsammlung, in die ich selber auch schon hineingelesen habe. Und ich gebe zu: nicht immer fand ich das, was dort gerühmt und erklärt wurde, auch wirklich der Besprechung wert. Öfters sogar hatte ich den Verdacht, dass die Rezensenten eher sich selber feiern, als die besprochenen Gedichte. Dasselbe muss sich Thomas Gsella auch gedacht haben.


    Hape Kerkeling hat einmal so etwas Ähnliches versucht: "Der Wolf, das Lamm - HURZ!" Er wollte mit Unsinn Tiefsinn provozieren. er wollte der Kritikerzunft ins Gesicht spucken. Das will Thomas Gsella wohl auch. Er schnappte sich einen Haufen (hoffentlich lizenzfreier!) Fotos mit teils wüsten Motiven von irgendwelchen Leuten, erfand jeweils einen Autorennamen sowie ein Gedicht dazu - und schrieb zu diesen teils genialen, teils einfach albernen Verballhornungen gleich auch noch die Kritiken, die er mit (echten!) Namen von Kritikern unterschrieb. Das Ergebnis ist eine prall gefüllte, bunte Bonbontüte aus Sinn und Unsinn, aus genialer Blödelei und bitterböser Kritik an der Zunft der Rezensenten. Ich muss allerdings dazu sagen: es wird wahrscheinlich nur der Leser wirkliche Freude an diesem Band haben, der die veralberten Vorbilder auch kennt.


    Auf jeden Fall aber ist der schiere Erfingungsreichtum von Thomas Gsella zu bewundern! Er hat es nicht nur geschafft, nahezu jede heute gängige Gedichtform aufs Korn zu nehmen, nein, auch die fiktiven Kritiken sind genau dem jeweiligen Stil des veralberten Kollegen nachempfunden. Er schreckt wirklich vor nichts zurück: kindliche Laut-Lyrik kommt genauso vor wie sinnfreie Metaphern, schwülstige Liebe und parodierte, bekannte Vorbilder. Gryphius, Brecht, Jandl, Thomas Mann, Heine, Erich Fried, Ringelnatz - sie alle bekommen "ihr Fett weg". Und erst die Rezensionen, die er dazu schreibt! Ich habe Hellmuth Karasek und Iris Radisch förmlich vor mir gesehen, wie sie diese Zeilen geschrieben haben KÖNNTEN. Köstlich! Und spätestens bei der schreiend komischen Gryphius-Parodie "Alles ist Scheitel" musste ich nach Luft ringen - zumal in der dazu gehörigen "Rezension" so herzergreifend die Not der "Heranwichsenden" (!!) beschrieben wird...


    Wer sich zumindest ein wenig in der deutschen Gedichtlandschaft auskennt, wer schon immer mal herzlich über Kritiker und ihre Eitelkeiten lachen wollte, und wer auch nicht vor teils drastischen Pointen zurückschreckt - für den ist dieses Buch eine wahre Offenbarung.


    "Denk ich an Deutschland
    in der
    Nacht,
    dann bich ich um den
    Schlaf
    gebracht"