Don Miguel Ruiz, Das fünfte Versprechen

  • Voller Energie, Liebe, und Weisheit


    Schon in der Leseprobe war es mir aufgefallen, dass der Stil des Autors (eigentlich: des Autorenpaars) ausgesprochen liebevoll und verständlich war. Die Lehren, denen ich hier begegnete, wurden mir nicht um die Ohren gehauen, sondern erstens verständlich aufgebaut, und danach einfühlsam tiefer vermittelt. Nachdem ich nun das ganze Buch lesen durfte, kann ich meinen anfänglichen Eindruck nur unterstreichen.


    Sehr erfreulich war für mich, dass es sich um ein Buch handelt, das sich wirklich an Menschen richtet, und nicht etwa an Experten oder Akademiker. Von Anfang an bildet Menschlichkeit den Grundtenor des Buches. Auch der Aufbau des Werkes berücksichtigt dies: Wir haben Vorworte und Einleitungen, in denen dem Leser zunächst die ganze Welt der Tolteken, also der mexikanischen Schamanen, näher gebracht und erklärt wird. Danach folgt, in der ersten Hälfte des Buches, sozusagen eine Darstellung der vorherigen "vier Versprechen" im Zeitraffer - dennoch nicht unverständlich!


    Die Autoren gehen wirklich "zurück zum Anfang", und schildern ihren Lesern in eindringlicher Sprache, wie ein Mensch sich entwickelt - was daran gut, und was aus toltekischer Sicht daran fatal ist. Im Grunde, so sagen sie, entfremdet uns gerade die Erziehung, und hier insbesondere das Erlernen von Symbolen und Sprache, von unserem wahren Menschsein. Die "vier Versprechen" führen den gewillten Leser nun auf einen Weg, genau diese erlernten Barrieren wieder hinter sich zu lassen.


    Besonders schön fand ich in diesem Teil den nahezu "orientalischen", jedenfalls nicht westlich-geradlinigen Erzählstil. Man hat den Eindruck eines Märchens, das am Lagerfeuer von einem alten Weisen erzählt wird. Es geht nicht darum, wie in einer Liste Thesen abzuarbeiten, sondern durchaus auch einmal Wiederholungen, erneute Formulierungen und Intensivierungen zuzulassen. Bei einem rein wissenschaftlichen Werk hätte mich das vermutlich genervt, doch hier unterstrich es für mich geradezu die Fürsorge, die die Autoren ihren Lesern entgegen bringen. Sehr gut gemacht war auch die Tatsache, dass bei den "vier Versprechen" auf einen erzählenden Teil jeweils ein "kondensierter Teil" folgte, der anders gesetzt und grau unterlegt war. Sollte man das Buch also noch einmal lesen wollen (was bei mir recht wahrscheinlich ist), dann kann man sich getrost auf die graun hinterlegten Abschnitte konzentrieren - und nimmt so die Essenz des Gesagten auf.


    Im zweiten Teil des Buches wird dieser Stil, diese Vorgehensweise, beibehalten. Erzählender "Lagerfeuer-Teil", gefolgt von grau hinterlegtem "Essenz-Teil". Das "fünfte Versprechen" geht sehr geradlinig aus den vorherigen vier hervor, man hat also nicht das Gefühl, etwas völlig Neues oder Revolutionäres zu lesen. Im Grunde handelt es sich bei dem fünften Versprechen, welches das Zuhören und Skeptisch-Sein zum Thema hat, nur um eine Ausformulierung, eine Weiterführung der vorigen vier Versprechen. Hier würde auch mein einziger Kritikpunkt an dem Buch liegen. Ich kannte das Vorgänger-Buch nicht, und insofern erschien mir das ganze Buch als frisch und neu. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Leser, die eben die "Vier Versprechen" schon kennen, ein wenig enttäuscht aus der Lektüre hervorgehen. Vielleicht ist es taktisch ungünstig, den Titel des neuen Buches genau so zu wählen, dass der Eindruck entsteht, man habe hier etwas völlig Neues vor sich - etwas, was NACH den vier Versprechen kommt. Doch so ist es ganz und gar nicht! Im Grunde sind die Weisheiten alle schon implizit auch in den ersten vier Versprechen enthalten gewesen. Ich möchte es einmal so formulieren: Man kann sich als Leser entscheiden, ob man "nur" das Vorgänger- Buch lesen will, oder lieber das zweite. Beides hat seine Berechtigung. Doch liest man beide Bücher, sollte man darauf gefasst sein, dass einem etliches bekannt vorkommt.


    Als Besonderheit möchte ich noch erwähnen, dass nach der Darstellung des "fünften Versprechens" eine Art "Nachsatz" folgt - der wiederum nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Denn aus toltekischer Sicht gibt es drei Arten von Menschen, je nachdem, wie weit sie sich schon der "Versprechen" und deren Umsetzung bewusst sind: es gibt Opfer, Krieger und Meister. Man sollte diesen Abschnitt mit entsprechender Vorsicht lesen, da die hier gewählten Ausdrucksweisen sonst leicht falsch verstanden werden könnten. Natürlich ist niemand "schuld", wenn er als "Opfer" bezeichnet wird! Genauso wenig ist jemand "schlecht", wenn man ihn als "Krieger" bezeichnet. Nein, die Tolteken haben einfach eine sehr bildhafte Art, Stufen des menschlichen Bewusstseins zu schildern. Sehr grob gesagt, könnte man diesen "Nachsatz" sozusagen als "Nachtisch" nach einem reichhaltigen Menü auffassen. Auf keinen Fall sollte er also "heruntergeschlungen" werden!


    Insgesamt kann ich nur sagen, dass mich das Buch durch und durch beeindruckt hat. Es überzeugte mich durch seinen erfreulichen Mangel an Fachsprache, seine absolute und unbedingte Hinwendung zum einzelnen Menschen, und durch die Umsetzbarkeit der "Versprechen". Ich vergebe nur deshalb keine fünf Sterne, weil ich, wie weiter oben geschildert, eben Gefahren sehe, wenn man das Buch zu schnell oder oberflächlich liest.