Verräter wie wir von John Le Carré

  • Ich habe dieses Buch als gemeinsames Leseprojekt mit einer Freundin gelesen, und es dauerte ein wenig, bis wir uns jeweils über die nächsten Kapitel verständigt hatten. Hinzu kam, dass wir beide das Buch nicht ganz einfach fanden, und es dementsprechend viel zu diskutieren gab. Doch nun die eigentliche Rezension!


    Ein Autor von Weltruhm, der für seine Spionage-Thriller bekannt ist. Eine Leserin, die noch nie ein Buch von ihm in der Hand hatte, und zudem auf dem Parkett der politischen Themen nicht sehr firm ist. Eine Neu-Veröffentlichung eines Wälzers, nicht einmal ein Jahr nach dem letzten Buch. Passt das alles zusammen? Nach langem inneren Hin und Her muss ich leider sagen, nein, nicht wirklich. Inwiefern das nun tatsächlich der Qualität des Buches anzulasten ist, möge der geneigte Leser der Rezension selbst beurteilen.


    Ein Buch beginnt vorne, eine Rezension auch. Womit haben wir es, laut Klappentext, eigentlich zu tun? Mit Dima, der "Seele der russischen Mafia". Seine Tage seien gezählt, und deshalb gehe er einen Pakt mit dem britischen Geheimdienst ein. Er sei also ein klassischer "Überläufer", und das Buch behandle die "hochbrisante Frage nach der Bedeutung der internationalen Geldwäsche", sowie die "Zerbrechlichkeit unserer Demokratien". Was erwarte ich als Leser da? Eine spannende, breit angelegte Handlung, internationale Verwicklungen, eigenes Mitfiebern, die Guten und die Bösen, lebendige Charaktere, und einen klassischen Showdown. Bekomme ich das auch? Jein.


    Ich möchte gerne einräumen, dass man das Buch erst dann richtig versteht, wenn man es bis zur allerletzten Seite gelesen hat. Denn es endet mit einem bestürzenden Knalleffekt. Das große "Aber" folgt jedoch auf dem Fuße. Der Weg zu diesem Ende ist steinig, langatmig, und mühsam. Jedenfalls für den Leser. Es war für mich einfach überhaupt NICHT das, was ich von einem spannenden Spionage-Thriller erwartet hätte.


    Schon in der Leseprobe hatte ich mich gewundert, welch eine bedächtige und weit ausgreifende Erzählweise der Autor anwendet, und hatte gehofft, das Buch nimmt danach noch Fahrt auf. Doch weit gefehlt. Es dauert geschlagene hundert Seiten, oder sogar mehr, bis erst einmal das Verhör erzählt ist, dem sich das britische Pärchen nach seinem Karibik-Urlaub unterziehen muss... das ist fast ein Drittel des Buches! Und auch danach geht es größtenteils genauso unspannend weiter. Immer nur taktische Vorbereitungen, Berichte per Telefon oder Tonband, Gespräche unter vier Augen, Gedanken einer Person. Kaum eigentliche Handlung. Erst auf ungefähr den letzten hundert Seiten wird es annähernd dramatisch, als nämlich Dimas Familie, und mit ihnen Perry und Gail, in der Schweiz untertauchen und die Flucht nach England vorbereiten müssen. Entschuldigung, aber das ist für mich kein Thriller!


    Der Spannungsbogen war also teils nicht existent, teils ungeschickt konstruiert. Für mich reicht es einfach nicht, einen "Knall" ganz am Ende einzubauen, und damit 412 mehr oder weniger plätschernde Seiten zu rechtfertigen!


    Wie sieht es mit den behandelten Themen aus, die ich erwartet hatte? Internationales Parkett, ja schon, politische Fragen, hm, na ja. Aber WIE das gemacht war, hat mich echt nicht vom Hocker gerissen. Im Gegenteil, an manchen Stellen war ich schlicht verwirrt und überfordert. Wie ich schon weiter oben sagte, gibt es kaum Handlung - das allermeiste spielt sich entweder in Gesprächen, oder in den Gedanken eines der beteiligten Geheimdienstler ab. Das ist sehr ermüdend zu lesen! Ich möchte Beispiele nennen. Die Bedeutung, die Dima in Russland wirklich hat, erfahren wir nicht etwa durch Ermittlungen - nein, eine ellenlange Aufzählung aller seiner Geschäfte wird schlicht durch die Wiedergabe eines Tonbandes präsentiert, das Dima noch auf Antigua besprochen und dann Perry mitgegeben hat. Seiten um Seiten neue Verwicklungen, neue Geldgeschäfte, neue geheime Transaktionen. Schon nach kürzester Zeit gab ich auf, alles verstehen zu wollen.


    Zweites Beispiel. Wer bewegt sich eigentlich alles in Dimas Kreisen? Auch das wieder sehr geballt dem Leser mitgeteilt. Per Zufall - ach nein - hat wieder ein englisches Pärchen eine Yacht gefilmt, auf der sich Dima und seine Gäste tummelten. Und genau dieser Film wird im Verhörraum abgespielt und kommentiert. Hier dauerte es nicht einmal zwei Seiten, bis ich den Faden verlor. Wer nun wer war, wer wohin gehörte, wer in was alles verwickelt war... und ob das alles auch noch plausibel war, das kann ich schon gar nicht beurteilen. Meine Güte.


    Drittes und letztes Beispiel. Der Aufbau des britischen Geheimdienstes. MUSS man das denn auch noch derart verkomplizieren?? Ich will doch bloß eine Geschichte! Abwechselnd aus den gedanklichen Perspektiven zweier Geheimdienstmitarbeiter wird erzählt, dass ausgerechnet die Abteilung, an die unsere beiden Zivilisten Perry und Gail geraten sind, auch noch geheimer als geheim ist, eigentlich eher eine private Initiative eines ehemals erfolgreichen Mitarbeiters, Hector. Nichts wird erklärt, alles muss sich der Leser selbst zusammenreimen, da Luke und Hector in diesen Abschnitten nur jeweils vor sich hin denken. Ungeschickt gemacht! Und außerdem reichlich unlogisch. WENN sich schon ein Zivilist an den Geheimdienst wendet, dann müsste er doch eigentlich gleich bei den "Offiziellen" landen, und nicht bei einer Unterabteilung, die die Genehmigung für ihre Aktion erst noch einholen muss?? Und SO einfach sollte das gehen, über einen ehemaligen Uni-Dozenten?? ("hatten Sie da nicht mal...") Nie im Leben!!


    Noch einen Punkt möchte ich erwähnen, und zwar die Tatsache, dass eben manches arg unlogisch erschien - zumindest für mich unpolitischen Leser, der allein nach Wahrscheinlichkeit urteilt. Wie gesagt, zwei Zivilisten suchen den Geheimdienst, und finden ihn - fast wie per "Gelbe Seiten"... unglaublich.


    Zweitens, ich KANN mir einfach nicht vorstellen, dass ein wirklicher Geheimdienst einfache Zivilisten derart involvieren würde! Sicher, sie hätten wohl das Band abliefern und über ihre Erlebnisse mit Dima auf Antigua berichten können, aber mehr auf keinen Fall! Gegen Ende des Buches bestand erhöhte Lebensgefahr, und dafür sollte eine zweiwöchige "Schulung" reichen ?? Und die wurde auch noch derart lachhaft geschildert, dass ich mich an eine billige Parodie von James Bond erinnert fühlte! Tagsüber technisches Spielzeug betrachten, und abends ein Weinchen am Kamin mit Hector. Ja, nee, ist klar.


    Die ganze Geschichte hat geradezu haarsträubende logische Löcher, die ich hier nicht alle aufzählen möchte, zumal ich merke, dass ich mich gerade in Rage zu schreiben beginne. Fahren wir also lieber fort in der Liste der Kritikpunkte, denn die ist noch nicht abgearbeitet.


    Der Autor scheint beim Schreiben einen "Tunnelblick" auf das gewünschte Ende hin gehabt zu haben. Deswegen hat er wohl einiges außer Acht gelassen. Ich habe ja wirklich nichts gegen offene Enden, aber das hier reicht. Es bleibt einfach zu Vieles ungeklärt! Was wird denn nun aus Dimas Familie, und was aus Perry und Gail? Fliegt Hectors Unterabteilung nun auf oder nicht? (dieses ganze Gemauschel um den Geheimdienst habe ich sowieso nicht verstanden.) Was ist nun mit dieser internationalen russischen Mafia, kann sie in England Fuß fassen oder nicht? (DAS Thema war für mich dermaßen komplex, dass ich es auch schon nach kurzer Zeit aus den Augen verloren habe.) Was ist mit Nataschas Schwangerschaft?? Und so weiter, und so fort.


    Ein ganz, ganz großer Mangel des Buches ist die Tatsache, dass man sich mit keiner einzigen der geschilderten Personen wirklich identifizieren kann. Es gibt weder einen einheitlichen Erzähler, noch eine Perspektive, die stringent durchgehalten würde. Das Buch springt dauernd von einem Erzähler bzw. einer Perspektive zur nächsten, es ist keinerlei Muster erkennbar. Personen tauchen auf und gehen wieder. Dazu noch ein, zugegeben, relativ lockerer und flapsiger Erzählton, der aber nicht variiert wird. An manchen Stellen scheint der Autor geradezu absichtlich Distanz zum Erzählten erzeugen zu wollen, besonders gegen Ende, in der Schweiz. Da finden wir Formulierungen wie "Aber wann, o wann?" oder diesen unglaublichen Satz: "doch selbst diese düstere Geschichte hakt irgendwo, und sosehr Luke sich auch das Hirn zermartert, sie will einfach nicht aufgehen". Ja was denn nun?? Wenn der Autor selbst keine Anworten weiß oder anbieten will, brauche ich diese Buch nicht lesen!


    Habe ich auch Positives über dieses Buch zu sagen? Ja, und zwar, was die Sprache, den Stil betrifft. Man merkt schon, dass der Autor ein großer Stilist ist, dass er mit Worten jonglieren kann. "Spritzig" könnte man es stellenweise nennen. Auch das Russen-Deutsch bzw. -Englisch Dimas ist sehr gut wiedergegeben! Nur kann das eine verfahrene Storyline nicht retten. Der Übersetzer tut wirklich sein Bestes, um den Glanz des Originals zu bewahren, indem er zum Beispiel eine Wortschöpfung wie "Beichtiger" ( in Anlehnung an "Gläubiger" oder "Peiniger") oder das altmodische, mir bislang unbekannte Wort "resch" benutzt. Nur manchmal übersetzt er englische Redewendungen zu wörtlich, und das passt einfach nicht. ("Er war im Stand der Gnade" ist nur ein Beispiel.)


    Insgesamt habe ich einfach den Eindruck, dass Le Carré geglaubt haben muss, es sei mal wieder ein Buch von ihm fällig - und so kramte er in seinen Notizen, fand etliche Charakterskizzen, und erfand "mal eben" eine Story drumherum. Ein runder Gesamteindruck entsteht für mich jedenfalls nicht, was eben vorrangig an diesen Aspekten liegt: fehlender Spannungsbogen, etliche Unglaubwürdigkeiten, teilweise zu gedrängte und unverständliche Informationsverbreitung, und zu viele offene Fragen gegen Ende.