'Der menschliche Makel' - Seiten 091 - 167

  • Habe jetzt gerade gelesen, wie Dr. Fensterman bei den Eltern von Coleman ist und sie versucht zu bestechen, das Coleman nicht als Klassenbester abschneidet, sondern sein Sohn Bert. Er soll ja schließlich wie sein Vater Medizin studieren und dazu müsse er makellose Leistungen vorweisen.


    Dr. Fensterman ist wohl Jude und gerade an Universitäten wie Harvard und Yale gibt es diskriminierende Quoten gegen Juden.


    Und er sagt: "Er kenne die Hindernisse, welche die Silks hätten überwinden müssen, um all das zu erreichen, was sie zu einer vorbildlichen Negerfamilie mache."


    Hab ich das jetzt richtig verstanden, Coleman Silk selbst ist auch ein Farbiger? Aus dem ersten Kapitel hab ich nur entnommen, das er Jude ist, aber nicht das er Farbiger ist. Wenn er wirklich farbig ist, würde aber auch die Aussage gegenüber seinen Rechtsanwalt, das der "lilienweiß" ist Sinn machen.


    Aber ist das dann nicht paradox, einen Farbigen Rassismus zu unterstellen?

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Bin jetzt mit dem zweiten Kapitel durch und meine Frage oben ist auch geklärt. Und ich komme immer besser in das Buch rein, weil gerade das Kapitel einen roten Faden hat.


    Erzählt wird hier ausschließlich über Coleman Silk und sein Leben, Begebenheiten aus der Kindheit und Jugend sowie das Zusammentreffen mit 3 für ihn wichtigen Frauen.


    Der entscheidene Punkt ist, das Coleman wirklich ein Farbiger ist. Er scheint zwar relativ weiß zu sein und seine Eltern/Geschwister sind lt. den Worten einer toleranten Mutter eines Kindergartenfreundes von Coleman "Leute mit einer sehr angenehmen Hautfarbe, eher wie Milchkaffee".


    Welche Probleme ihm dadurch entstehen, wird ihm bei Besuch der Howard Universtity klar, einem College, wo ausschließlich Schwarze studieren. Sein Vater hoffte ja, das er dort eine hellhäutige Freundin aus einer guten Familie findet, mit der er eine Familie gründet. Doch schon in der ersten Woche als er mit Freunden um die Häuser zog, wurde er als "Nigger" beschimpft, für ihn das erste Mal. Er kam zwar schon als Kind mit den Vorurteilen gegenüber seiner Rasse in Berührung, aber auch durch den Schutz der Familie berührten sie ihn nicht so sehr. Aber das Schimpfwort Nigger machte ihn fuchsteufelswild.
    Er sah, was für ein Schicksal ihn erwartete und er weigerte sich es anzunehmen. Er wolle nicht ein wir, er wollte das "reine Ich mit all seiner Beweglichkeit. Einzigartigkeit"


    Und als er nach dem Tod des Vaters das College abbrach und zur Navy ging nutzte er die Gelegenheit bei der Anmeldung und gibt eine andere Rassenangehörigkeit an.


    Aber welche Probleme es geben kann, sieht man auch bei den Frauen.


    Da ist zuerst Steena, die ihn für einen Weißen hält und durch den Besuch bei den Eltern erkennt, das er ein Farbiger ist und darauf den Kontakt abbricht, weil sie durch die Vorurteile der Umwelt das nicht kann, eine Beziehung mit einem Menschen einer anderen Rasse zu führen.


    Dann Ellie Magee, eine hübsche Farbige mit hellbrauner Haut und die erkennt, was er ist. Bei ihr kann er sein so wie er ist, weil sie sein Geheimnis kennt. Sie macht ihm auch klar, das es mehrere Leute gibt, die ihre Rasse verneinen.


    Und Iris, seine spätere Frau, eine rebellische Weiße mit Eltern, deren Erziehung der Kinder irgendwo zwischen Verrücktheit und Visionären erfolgt und die, was später sehr entscheidend war, dunkle spektakuläre Haare hatte mit einem Kranz aus Locken und Spiralen. Falls die Kinder der beiden also die für Farbige so typischen wuschligen Haare hätten, könnte man das mit den Haaren der Mutter erklären.


    Für mich das schlimmste Kapitel ist, wie er seiner Mutter, als er ihr von seiner Heirat erzählt erklären muss, das er seiner Frau gegenüber angegeben hat das seine Eltern tot sind und er keine Geschwister hat und sie begreift, das sie niemals seine Frau und die Enkelkinder kennenlernen wird, es sei denn das man sich zufällig mal trifft und so tut, als wenn man sich nicht kennt. Wie schlimm muss das für eine Mutter sein, vom eigenen Kind verleugnet zu werden.


    Irgendwie kann ich ja seine Beweggründe verstehen, seine Rasse zu verschweigen oder zu verleugnen. Aber ich stelle mir das nicht einfach vor, man lebt ja nicht für sich allein. Außerdem muss es doch ein Drahtseilakt sein, immer mit dem Geheimnis zu leben und mit der Angst, das das rauskommt. Und irgendwie Ironie des Schicksals, das ausgerechnet er nachher wegen Rassismus verurteilt wird. Da hat ihn das Leben sozusagen eingeholt.


    Auf jeden Fall gefällt mir das Buch immer besser, weil ich jetzt auch erkenne, worauf der Schriftsteller hinarbeitet.
    Die "falsche" Rasse kann z.B. der Makel sein, der zwar menschlich ist, aber der einem gerade in einer Welt voller Vorurteile viele Türen zuschlägt.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

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  • Ich finde es beeindruckend, wie gut Philip Roth die Figuren alle entwirft, insbesondere die oben erwähnten Frauen. Dabei geht er nie besonders ins Detail. Er legt die Figuren an und lässt den Leser Freiraum, die Figuren anhand der Handlungen und Äußerungen einzuordnen, jedenfalls bis zu einer gewissen Grenze hin.


    Coleman Silk hatte eine große, weitreichende Entscheidung getroffen, die sein weiteres Leben sehr stark beeinflussen wird. Ob er als junger Mann schon wusste, was das bedeuten wird? immerhin zieht er es konsequent durch und scheint es auch nie zu bereuen.

  • Ich stecke mitten in diesem 2. Teil fest und bin ein wenig frustriert, daß ich gestern und heute so wenig Zeit zum Lesen gefunden habe. Das spricht aber nur für dieses Buch.


    Ganz gegen meine Gewohnheit schaue ich auch nicht in die Beiträge von euch anderen Teilnehmern hinein, die davon handeln, was ich noch nicht gelesen habe (ich bin ja normalerweise auch ein Das-Ende-Vorab-Leser). Ich habe das Gefühl mir die Geschichte selbst erarbeiten zu müssen. Das gefällt mir sehr gut.


    Der Anfang des 2. Teils beschäftigt sich nur mit Coleman Silk, zumindest bis jetzt (ich bin jetzt bei der Beschreibung seiner "Boxer-Karriere").


    Mir hat sein Anwalt sehr gut gefallen, überhaupt die ganze Szene. Der lange Vortrag des Anwalts, später sein Gespräch mit seiner Frau, Silks Gedanken dazu, seine merkwürdige Bemerkung, die auf die Hautfarbe des Anwalts anspielt. Und natürlich seine Gedanken speziell zu dieser Bemerkung und was daraus entsteht, wenn man einfach so drauflosredet. Man hat das Gefühl, daß Silks Vergangenheit ihn langsam einholt.


    Weiter geht es ja dann auch mit seiner Kindheit und dem versuchten Handel des jüdischen Arztes mit seinen farbigen Eltern. Jetzt verstehe ich natürlich, warum im 1. Teil auf seine nicht ganz weiße Hautfarbe hingewiesen wurde, die andere als typisch jüdisch bezeichnen.

  • Auch ich bin mit diesem Abschnitt noch nicht ganz durch; 30 Seiten fehlen mir noch. Meine ersten Eindrücke wollte ich hier dennoch schon einmal festhalten.


    Zitat

    Original von Saiya
    Mir hat sein Anwalt sehr gut gefallen, überhaupt die ganze Szene. Der lange Vortrag des Anwalts, später sein Gespräch mit seiner Frau, Silks Gedanken dazu, seine merkwürdige Bemerkung, die auf die Hautfarbe des Anwalts anspielt. Und natürlich seine Gedanken speziell zu dieser Bemerkung und was daraus entsteht, wenn man einfach so drauflosredet. Man hat das Gefühl, daß Silks Vergangenheit ihn langsam einholt.


    Dieses Gespräch zwischen Silk und seinem Anwalt hat mir auch sehr gut gefallen. Interessant, dass Silk das Wort "lilienweiß" benutzt hat. Und auch der Anwalt denkt im Anschluss an diese Szene darüber nach, warum Silk dieses Wort gebraucht hat.


    Gefallen haben mir auch die Passagen über Silks Box-Philosophie. Bei dem Bild, dass ich von ihm in meinem Kopf habe, wäre das nicht die erste Sportart gewesen, die ich mit ihm assoziert hätte.


    Interessant finde ich, dass Silk sich dazu entschieden hat, sich als Jude auszugeben, womit er sich gleichzeitig ein Stück weit von seiner Familie losgesagt und distanziert hat. Ähnlich, wie es ihm jetzt mit seinem Sohn Mark ergeht.


    Ich weiß nicht, ob es in diesem Abschnitt war, aber mir sind auch die Anspielungen auf Nathaniel Hawthorne aufgefallen ("Der scharlachrote Buchtstabe"). Sprache, Schrift und Buchstaben scheinen eine wichtige Rolle zu spielen: Faunia kann gar nicht schreiben, Delphine Roux entscheidet sich dazu ihren Brief handschriftlich zu schreiben ...

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    ...
    Dieses Gespräch zwischen Silk und seinem Anwalt hat mir auch sehr gut gefallen. Interessant, dass Silk das Wort "lilienweiß" benutzt hat. Und auch der Anwalt denkt im Anschluss an diese Szene darüber nach, warum Silk dieses Wort gebraucht hat....


    Ich war überrascht, dass sich der Anwalt solche Gedanken um dieses "lilienweiß"
    gemacht hat. Hier spannt sich wieder der Bogen zu den "dunklen Gestalten". Ich bin ganz ehrlich: Ich habe das beim Lesen nicht als Anspielung verstanden, weder auf Hautfarbe noch auf die Vergangenheit. Mir kam beim Lesen von "lilienweiß" spontan eine Assoziation zu "unschuldig, makellos" und "unschuldig, selbstgerecht aussehend".


    Zitat

    ...Ich weiß nicht, ob es in diesem Abschnitt war, aber mir sind auch die Anspielungen auf Nathaniel Hawthorne aufgefallen ("Der scharlachrote Buchtstabe"). Sprache, Schrift und Buchstaben scheinen eine wichtige Rolle zu spielen: Faunia kann gar nicht schreiben, Delphine Roux entscheidet sich dazu ihren Brief handschriftlich zu schreiben ...


    Delphine Roux schreibt sogar mit rotem Kugelschreiber!

  • Der Ausdruck "lillienweiß" fällt am Ende dieses Kapitels noch einmal im Gespräch zwischen Walt und Silk.


    Insgesamt fand ich diesen Abschnitt interessant und gut lesbar, wenn auch zum Teil etwas langatmig, vor allem zum Ende des Kapitels hin. Was ich interessant fand, war die Tatsache, dass Silk sich gegen seine Freundin Ellie - wenn ich diese Stelle richtig verstanden habe - unter anderem auch entschieden hat, da er um seine Nachkommen besorgt war. Hm. Es fällt mir schwer, das besser zu formulieren.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Der Ausdruck "lillienweiß" fällt am Ende dieses Kapitels noch einmal im Gespräch zwischen Walt und Silk.


    Insgesamt fand ich diesen Abschnitt interessant und gut lesbar, wenn auch zum Teil etwas langatmig, vor allem zum Ende des Kapitels hin. Was ich interessant fand, war die Tatsache, dass Silk sich gegen seine Freundin Ellie - wenn ich diese Stelle richtig verstanden habe - unter anderem auch entschieden hat, da er um seine Nachkommen besorgt war. Hm. Es fällt mir schwer, das besser zu formulieren.


    So hab ich das auch verstanden. Aber das ist doch irgendwie logisch. Ellie war ja auch eine hellhäutige Farbige. Und wenn beide zusammen Kinder kriegen, ist doch die Gefahr groß das auch mal dunkle Kinder zur Welt kommen. Ich weiß zwar jetzt nicht genau wie da das Verhältnis ist, aber auf jeden Fall größer als wenn er mit einer weißen Frau ein Kind hat.


    Und wenn er dunkle Kinder hätte, dann wäre ja sein Lügengebäude zusammengebrochen.


    Lilienweiß ist mir gleich aufgefallen und ich habe mich gewundert, was er damit meinte. Ich dachte so eher in die Richtung, er hat ne weiße Weste und lillienweiß ist dann halt besonders weiß. Sozusagen weißer als weiß. :-]


    Das mit dem roten Kugelschreiber hab ich auch gelesen, aber was ist das für eine versteckte Anspielung? Ich kenne das nicht, hab mir daher darüber keine Gedanken gemacht. Hat ein Kugelschreiber mit roter Farbe eine besondere Bedeutung? :gruebel

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Zitat

    Original von Macska
    So hab ich das auch verstanden. Aber das ist doch irgendwie logisch. Ellie war ja auch eine hellhäutige Farbige. Und wenn beide zusammen Kinder kriegen, ist doch die Gefahr groß das auch mal dunkle Kinder zur Welt kommen. Ich weiß zwar jetzt nicht genau wie da das Verhältnis ist, aber auf jeden Fall größer als wenn er mit einer weißen Frau ein Kind hat.


    Ja natürlich. Ich glaube nur, dass - wenn ich wirklich verliebt sein sollte - mir die Beziehung zu dieser Frau wichtiger ist, als ein Lügengebäude, dass ich mir aufgebaut habe. Dann würde ich es eben auch "in Kauf nehmen", dunkelhäutige Kinder zu bekommen. Ich finde diesen Gedankengang von Silk einfach ein bisschen unsympathisch.


    Das mit dem roten Kugelschreiber passt zu der Anspielung auf Nathaniel Hawthornes "Der scharlachrote Buchstabe". Ich finde diese Assoziation zumindest naheliegend.

  • Ich weiß es nicht, es sagt sich so einfach. Sicherlich ist da eine ganze Menge Berechnung dabei. Aber er hat ja die Rasse auch nicht ohne Grund verschwiegen und mit den Eltern gebrochen. Das waren halt andere Zeiten. Und ob es die große Liebe war? Da denke ich war Steena noch eher die große Liebe als Elli. Elli wurde ja auch nur als Zwischenspiel erwähnt.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)

  • Ich denke, Silks große Liebe war Steena, die er verloren hat, nachdem er ihr die Wahrheit über seine Herkunft gesagt hat. Bei Ellie stellte sich die Frage gar nicht, ob er ihr die Wahrheit sagen soll oder nicht, da sie ja selber schwarz ist und ihn auch durchschaut hat.
    Die Beziehung zu Iris ist für mich reine Berechnung, Iris mit ihren für eine Weiße ungewöhnlichen Haaren gibt im die Möglichkeit sein Lügengebäude zu befestigen. Liebe kann ich zumindest von Silks Seite her in dieser Beziehung keine erkennen.

  • Ich bin mit Teil 2 jetzt auch durch. Tja, ich weiß nicht, aber so richtig zufrieden bin ich mit dem Buch nicht, denn es liest sich zuweilen doch recht langatmig und ausführlich und der Autor schildert auch alles Mögliche, aber alles hat mich eben dann auch nicht interessiert. Die Ausführungen über’s Boxen, Iris’ Familiengeschichte und auch das Gespräch Colemans mit seinem Anwalt fand ich recht unspannend.


    Spannend zu lesen fand ich hingegen zu lesen, wie Coleman so langsam dazu kam, sein Leben als Weißer zu leben. Dieses "Ich geh dann mal als Weißer" hat sich ja Schritt für Schritt entwickelt und das hat der Autor m. E. sehr gut dargestellt, wie ihn der Boxtrainer auf die Idee brachte, die falsche Vermutung der anderen einfach nicht zu korrigieren über die falsche Angabe bei den Papieren für die Navy u. s. w. Das war richtig gut und nachvollziehbar beschrieben.


    Ich kann auch sehr gut verstehen, dass jemand versucht, seiner "Randgruppe" zu entkommen, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Dazu fand ich die Ausführungen des Vaters über die Diskriminierung Schwarzer sehr gut, Zitat von Seite 121 f.:
    "Jedesmal, wenn ein Weißer mit einem spricht, […] setzt er, ganz gleich, wie wohlmeinend seine Absichten sind, voraus, dass er es mit jemandem zu tun hat, der ihm intellektuell unterlegen ist. Irgendwie, und zwar nicht unbedingt durch seine Wortwahl, sondern vielleicht durch seinen Gesichtsausdruck, seinen Tonfall, seine Ungeduld oder auch durch das Gegenteil, nämlich durch seine Nachsicht, seine Zurschaustellung wunderbarer M e n s c h l i c h k e i t, vermittelt er den Eindruck, dass er mit jemandem spricht, der dumm ist, und wenn er merkt, dass es sich nicht so verhält, ist er höcht erstaunt."
    Die jeweilige Randgruppe kann man auch austauschen, man lese also bspw. "Jedesmal, wenn ein junger Mensch mit einem alten spricht, …" oder "Jedesmal, wenn ein Nichtbehinderter mit einem Behinderten spricht, …"


    Auch die Beziehung und deren Ende zu Steena fand ich spannend und traurig zu lesen. Und auch Colemans Familienhistorie war spannend.
    Schlimm fand ich die Szene, in der er sich von seiner Familie lossagt. Hier hab ich mit der Mutter richtig mitgefühlt.


    Ich glaube, ich weiß jetzt auch, worum es in diesem Buch generell geht, was uns der Autor sagen will: Philip Roth präsentiert uns ein schillerndes Kaleidokop der amerikanischen Gesellschaft. Und packt da eben alles Mögliche an geschichtlichen, politischen und soziologischen Themen hinein.
    Tja, ich weiß nicht. Mir ist das ein bisschen zu viel Kessel Buntes. Bisher hat mich Lester Farley am meisten interessiert – ihn und seine Geschichte könnte ich mir gut als eigenen Roman vorstellen.


    Aber gut, ich lese mal weiter. :-]

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich finde es beeindruckend, wie gut Philip Roth die Figuren alle entwirft, […]


    Das finde ich auch. Er entwirft die Figuren einschließlich der jeweiligen Familiengeschichte. Sehr aufwändig das Ganze.


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Coleman Silk hatte eine große, weitreichende Entscheidung getroffen, die sein weiteres Leben sehr stark beeinflussen wird. Ob er als junger Mann schon wusste, was das bedeuten wird? immerhin zieht er es konsequent durch und scheint es auch nie zu bereuen.


    Na ja, am Anfang ist er da durch seinen Boxlehrer so hineingeschlittert, dann hat er sich bei seiner Bewerbung für die Navy aktiv dafür entschieden, mit Ellie hätte er noch mal die Chance gehabt, wieder ehrlich zu werden … und im übrigen bin ich gespannt, wie das Buch in dieser Hinsicht noch weiter geht. Eine erste Konsequenz war ja bereits die Lossagung von seiner Familie.
    Ich glaub, alle Konsequenzen überblickt man an einer Weggabelung nie.

  • Zu Colemans drei Frauen:


    Ich denke auch, dass Steena Colemans große Liebe war, die dann aber an den Umständen und den Auffassungen der damaligen Zeit zerbrochen ist. Coleman hat ja z. B. Steenas Brief, den sie ihm nach einem zufälligen Wiedersehen ans College geschrieben hat, jahrelang aufbewahrt … so etwas macht man nicht, wenn einem der Briefeschreiber gleichtgültig (geworden) ist.


    Vielleicht ist bei Coleman auch etwas zerbrochen, denn seine nächste Freundin Ellie wird nur als "fünfmonatiges Zwischenspiel" (S. 153) bezeichnet – nach Liebe klingt das nicht.


    Eine gute Beschreibung davon, was Ellie und Iris für Coleman sind, steht auf S. 157:
    "Und dann lernt er Iris kennen, und die Sache ist gelaufen. Mit Ellie hat es Spaß gemacht, und es macht auch weiterhin Spaß, aber es fehlt eine bestimmte Dimension. Es fehlt der Ehrgeiz: Diese Beziehung nährt nicht die Vorstellung von sich selbst, die ihn sein Leben lang getrieben hat. Und dann kommt Iris, und er steht wieder im Ring."


    Mir kommt es so vor, als habe Coleman irgendwann nach Steena den Pragmatismus-Hebel bis zum Anschlag durchgedrückt.

  • Ich bin mit dem zweiten Teil noch nicht durch. Ich schätze etwa die Hälfte habe ich gelesen. Und da ich gerade sehr mit dem Einschlafen gekämpft habe (liegt nicht nur am Buch selbst :lache ), schreibe ich schon mal einen Zwischenbericht.




    Zitat

    Original von Macska


    Dr. Fensterman ist wohl Jude und gerade an Universitäten wie Harvard und Yale gibt es diskriminierende Quoten gegen Juden.


    Dass es in den USA so starke Diskriminierungen gegenüber Juden gab (gibt?), wusste ich gar nicht. Wundert mich sehr, dass mir das so entgangen ist, dass mir das irgendwie nicht bewusst ist.


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ob er als junger Mann schon wusste, was das bedeuten wird? immerhin zieht er es konsequent durch und scheint es auch nie zu bereuen.


    Wenn wir das nur wüssten. Darüber wird bis jetzt so wenig erzählt, dass ich überhaupt nicht einschätzen kann, ob er sich nicht doch in der schwierigen Zeit nach dieser Aussage im Seminar darüber geärgert hat oder zumindest sich intensiv damit auseinander gesetzt hat, was in seinem Leben anders gelaufen wäre.



    Wenn ich das jetzt also richtig verstanden habe: Coleman ist kein Jude, gibt sich aber für einen aus?



    Zitat

    Original von Clare


    Ich war überrascht, dass sich der Anwalt solche Gedanken um dieses "lilienweiß"
    gemacht hat. Hier spannt sich wieder der Bogen zu den "dunklen Gestalten". Ich bin ganz ehrlich: Ich habe das beim Lesen nicht als Anspielung verstanden, weder auf Hautfarbe noch auf die Vergangenheit. Mir kam beim Lesen von "lilienweiß" spontan eine Assoziation zu "unschuldig, makellos" und "unschuldig, selbstgerecht aussehend".



    Ich hatte das "lilienweiß" auch nicht als Anspielung auf die Hautfarbe verstanden. Vielleicht war mir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig bewusst, dass Coleman eigentlich ein Farbiger ist.


    Ich musste dabei eher an das gestärkte weiße Hemd des Anwalts denken. Für mich hat sich das eher noch "du mit deinem weißen Hemd, du ohne Erfahrungen, du Jungspund" angehört.



    Zitat

    Original von Rika-
    Ich bin mit Teil 2 jetzt auch durch. Tja, ich weiß nicht, aber so richtig zufrieden bin ich mit dem Buch nicht, denn es liest sich zuweilen doch recht langatmig und ausführlich und der Autor schildert auch alles Mögliche, aber alles hat mich eben dann auch nicht interessiert. Die Ausführungen über’s Boxen, Iris’ Familiengeschichte und auch das Gespräch Colemans mit seinem Anwalt fand ich recht unspannend.



    Geht mir ähnlich. Der Abschnitt, der sich mit dem Boxsport beschäftigt hat, war mir auch zu ausführlich und zu lange. In meiner Müdigkeit habe ich die letzten 1 1/2 Seiten dieses Abschnitts überblättert.


    Das Gespräch mit dem Anwalt fand ich dagegen recht kurzweilig.


    Bei den Frauengeschichten bin ich noch nicht angekommen.

  • Nachdem ich diesen Abschnitt fertig gelesen habe, denke ich, daß Faunia für ihn auch eine Erinnerung an Steena ist, denn beide nennt er "Voluptas". In beiden Beziehungen spielt Sex eine große Rolle und beide Frauen stammen ursprünglich aus Skandinavien. Abgesehen davon war Steena seine große Liebe, die er nie vergessen hat und in Faunia hat er so etwas wie ein Abbild gefunden. Außerdem liebt er Geheimnisse und Faunia ist abgesehen von seiner eigenen Abstammung eines dieser Geheimnisse, was ihn gereizt hat sich auf diese Beziehung überhaupt einzulassen.


    Mir gefällt sehr gut, wie Philip Roth die Gründe darlegt, warum Coleman Silk diese weitreichende Entscheidung getroffen hat. Gerade diese Beschreibung des "Wir", "Sie", "Ich" fand ich sehr intensiv und nachvollziehbar. Sein größter Wunsch war es schon immer als Individuum wahrgenommen zu werden und nicht nur auf irgendeine Hautfarbe reduziert zu werden. Natürlich hat er sich äußerlich für "Sie" entschieden, aber indem er seine neue Identität erfand incl. einer neuen Religions- bzw. Gruppenzugehörigkeit fühlte er sich innerlich befreit. Aber ganz uneigennützig war die Entscheidung nicht, denn er hat sich mit der Wahl genau dieser Identität den Weg zu den Intelektuellen geebnet, zu denen er sich immer zugehörig fühlte.


    Der Ausdruck "lilienweiß" am Anfang und am Ende des Kapitels habe ich übrigens so empfunden, als würde sich ein Kreis schließen oder eine Schlinge enger ziehen. Ich habe das Gefühl, daß er langsam auf sein Ende zusteuert, seinen Tod, der ja angedeutet wird, aber auch das Ende aller Geheimnisse.


    Sehr berührt hat mich das Gespräch mit der Mutter. Hier erkennt man, wie groß sein Egoismus ist und wie toll und unbesiegbar er sich findet. Das ist seine Art von Überheblichkeit, die sich ja auch gut in der Beschreibung seiner Art des Boxens und seiner Gedanken dazu widerspiegeln.
    Wird sein eigener Hochmut ihn zu Fall bringen, seine Vergangenheit ihn gänzlich einholen? Wird es zu einer Art "griechischen Tragödie" kommen, so wie es von Beginn an angedeutet wird? Auf die Antworten dieser Fragen bin ich sehr neugierig.

  • Zitat

    Original von Saiya
    ...
    Der Ausdruck "lilienweiß" am Anfang und am Ende des Kapitels habe ich übrigens so empfunden, als würde sich ein Kreis schließen oder eine Schlinge enger ziehen. Ich habe das Gefühl, daß er langsam auf sein Ende zusteuert, seinen Tod, der ja angedeutet wird, aber auch das Ende aller Geheimnisse.


    ...


    Auf sein Ende steuert er zu, aber ich glaube nicht, dass er seinen Tod ahnt. Was ihm allerdings wirklich bewusst wird, ist dass er sein Leben so gut wie hinter sich hat, dass ad nicht mehr viel kommen wird.


    Was mir in seiner Beziehung zu Faunia total fehlt, ist auch nur der kleinste Gedanke an eine Zukunft mit ihr. Sie findet nahezu ausschließlich im Jetzt statt, ist mehr Liebschaft als Liebe, mehr zweckgebunden als unausweichliches Bedürfnis mit ihr zusammen zu sein. Er ist fasziniert, sie belebt seine fortgeschrittenen Jahre gewissermaßen, aber mir kommt Coleman manchmal so vor, als hätte er seine wirklich tiefen Gefühle aufgebraucht :gruebel

  • Aber meinst Du nicht, das man ab einem gewissen Alter nicht einfach im Hier und Jetzt lebt und einfach jeden Tag genießt?
    Vielleicht genießt er auch einfach nur das späte Glück mit dem Wissen, das er eine soviel jüngere Frau nicht auf Dauer halten können wird.

    Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht auf irgendeine Weise nütze.
    (Gaius Plinius Secundus d.Ä., röm. Schriftsteller)