Jens Lapidus: Mach sie fertig

  • Jens Lapidus: Mach sie fertig
    Scherz 2011. 592 Seiten
    ISBN 978-3502101949. 14,95€
    Originaltitel: Aldrig fukka upp
    Übersetzerin: Antje Rieck-Blankenburg


    Über den Autor:
    Jens Lapidus, 1974 geboren, ist Strafverteidiger in Stockholm, wo er für eine der renommiertesten schwedischen Anwaltskanzleien arbeitet. Seit dem Jurastudium hat Jens Lapidus nicht nur eine steile Karriere als Anwalt gemacht, sondern ist auch einer der erfolgreichsten Autoren in Schweden. Sein Debütroman stand mehrere Wochen lang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste, wurde in mehr als 24 Länder verkauft und erhielt 2008 den Platinum Prize für eines der meist verkauften Taschenbücher in Schweden.


    Verlagstext:
    <Wie zum Teufel war er nur in diese Situation geraten? Er wollte doch eigentlich das Leben genießen. War endlich raus aus dem Knast. Doch dann kam das hier. Konnte Game over bedeuten. Verdammte Scheiße.> Durch einen brutalen Mord, der von höchsten Regierungskreisen vertuscht werden soll, kreuzen sich die Wege von Mahmud, einem unvorsichtigen Drogendealer, Thomas, einem gestrauchelten Polizisten und Niklas, einem ehemaligen Söldner im Irak. Jeder versucht auf seine Weise, mit diesem Leben fertig zu werden, denn schon lange ist die Grenze zwischen Gut und Böse aufgehoben. Und es gibt einen, der die Fäden zieht: Radovan Kranjic, der große Pate der Unterwelt.



    Wenn die Vergangenheit die Gegenwart einholt


    Zum Inhalt:
    Ob jemand zum Cop oder zum Killer wird, hängt oft an einem extrem dünnen Faden. In Jens Lapidus zweitem Thriller treffen drei solcher Grenzgänger aufeinander.


    Mahmud, Kleingangster aus dem Migrantenghetto in Stockholms Süden, ist Sohn eines Vaters, der als Einwanderer trotz qualifizierter Ausbildung in Schweden nie Fuß fassen konnte. Der aufbrausende und leicht zu kränkende Sohn hatte zu Vertretern des schwedischen Staates stets ein gespanntes Verhältnis. Staatliche Sanktionen können an einem Jungen wie ihm nur vorbeigehen. Seinen letzten Job für eine Drogenhändler-Gang hat Machmud vermasselt; die Ware wurde von der Polizei beschlagnahmt. Mahmud fuhr in den Knast ein. Angeblich hat er einen Teil der Ware für sich abgezweigt und wird nun von Danile dem Syrer und seinen Mannen mit der Knarre am Kopf aufgefordert, seine "Schulden" zurückzuzahlen. Mahmud vertritt in dieser Geschichte die südlichen Vororte Stockholms. Die aus dem Süden neiden den nördlichen Stadtteilen Fördergelder für soziale Projekte, die im eigenen Viertel ebenso nötig wären. Immer bereit, dem Staat den Stinkefinger zu zeigen, träumen Mahmut und seine Kumpels vom großen Coup, durch den sie für immer ausgesorgt haben werden.


    Niklas Brogren ist nach 8 Jahren als Söldner bei einer Privatfirma (u. a. im Irakkrieg) nach Schweden zurückgekehrt. Niklas sucht einen Job, doch da er ungern über seine letzte Tätigkeit "da unten im Sandkasten" spricht, findet er nichts anderes als simple Bewachungsaufträge. Sei dem Krieg traumatisiert und unter Einfluss starker Medikamente sucht Niklas nach einer Aufgabe, die den ganzen Mann fordert. In Niklas Kopf findet immer noch Krieg statt; er mustert die Stadt wie einen möglichen Kriegsschauplatz. Dass in seiner Nachbarwohnung eine arabische Frau von ihrem Mann misshandelt wird, weckt Niklas Aufmerksamkeit für Gewalt gegenüber Frauen. Das Thema entwickelt sich für Niklas zu einer fixen Idee; die Ereignisse in der Nachbarwohnung werden später zu einer Begegnung zwischen Mahmud und Niklas führen.


    Thomas, Polizist im Streifendienst, hat sich demotiviert in die innere Emigration verabschiedet. Seiner Ansicht nach schuldet er diesem Staat, der Verwaltungspaläste finanziert und an der Ausrüstung der Polizei spart, keine Loyalität. Thomas ist in seiner Dienststelle offenbar nicht der einzige Frustrierte. Zu Einsätzen mit Betrunkenen oder Drogensüchtigen rückt die Funkstreife häufig gar nicht mehr aus. Das Abzweigen und Weiterverkaufen beschlagnahmter Ware scheint ein Gewohnheitsrecht zu sein. Thomas ermittelt, nachdem in einem Keller des Hauses, in dem Niklas gerade kurzfristig bei seiner Mutter untergeschlüpft ist, ein Toter gefunden wird. Der Täter hat die Identität seines Opfers mit einigem Aufwand zu verschleiern versucht. Ein von fremder Hand manipulierter Ermittlungsbericht und ein unvollständiger Obduktionsbericht bescheren Thomas Ermittlungen der internen Revisionsabteilung gegen ihn und anschließend eine Degradierung zur Verkehrspolizei. Thomas fühlt sich gezielt in eine Falle gelockt.


    Die Vorstellung der drei Hauptfiguren und die Inszenierung der Ausgangssitutation lässt den Leser längere Zeit in der Warteschleife, ehe es zur Begegnung der drei Männer kommt. Zwei von ihnen sind der Ansicht, der schwedische Staat schulde ihnen etwas, der dritte, der sich in einem Leben ohne Krieg nicht mehr zurechtfinden kann, hat derweil einen persönlichen Privatkrieg eröffnet. Junge Männer, die sich aus der Gesellschaft ausgeklinkt haben, stehen zwei einsamen Kämpfern um Schwedens Moral gegenüber. Die Lösung mehrer miteinander verwobener Fälle liegt in alten Geschichten, auf die Thomas aufgrund seiner Jugend nicht kommen kann. Mahmuds und Niklas letzte große Sause wirkt dann wie ein makabrer Kinderstreich - man weiß nicht, ob man über die Knaben lachen oder weinen soll.


    Fazit:
    Als in der zweiten Hälfte temporeicher sozialkritischer Skandinavien-Krimi übernimmt sich "Mach sie fertig" mit der Bezeichnung 'Thriller' nach meinem Geschmack leicht. Mit der ausgezeichnet gelungenen Charakterisierung seiner drei einsamen Helden (und des Old Boys Network in höchsten Kreisen) trifft Jens Lapidus soziale Probleme im Zusammenleben von Migranten und Einheimischen auf den Punkt. Wie ähnlich die Situation in deutschen Großstädten denen am Schauplatz Stockholm ist, sorgt beim Lesen für Gänsehaut.


    8 von 10 Punkten

  • Der 2. Teil der Stockholm Noir Trilogie


    Meine Meinung:
    Nach dem großen Erfolg seines Debütromans „Spür die Angst“, der in 18 Länder verkauft wurde, folgt nun mit „Mach sie fertig“ der zweite Teil der geplanten Trilogie.
    Jens Lapidus hat einen sehr eigenwilligen Schreibstil, schreibt in kurzen, stakkatoartig aneinandergereihten Sätzen. Der Stil erinnert an James Ellroy und an Dennis Lehane, von dem einer der Protagonisten sogar „Absender unbekannt“ liest. Lapidus passt seine Sprache dem Milieu an, in dem die Handlung spielt.

    Wie im ersten Teil der Serie folgen wir drei höchst unterschiedlichen Charakteren auf diversen Wegen bis in die Stockholmer Unterwelt. Auch einige bereits bekannte Figuren tauchen hier in Nebenrollen wieder auf. Lapidus gelingt der moralisch neutrale Blick – die Frustration des desillusionierten, korrupten Polizisten Thomas über das schwedische Rechtssystem ist ebenso verständlich wie der Hass des Migranten Mahmud auf die Gesellschaft oder die Ohnmacht und Verzweiflung des ehemaligen Söldners Niklas, für den sein Land keine Verwendung mehr hat. Keiner von ihnen ist sympathisch, bestenfalls lassen sich ihre Beweggründe nachvollziehen.


    Der Thriller wartet mit einer Vielzahl brisanter Themen auf. Die komplizierte, explosive Handlung ist keine leichte Kost, die Anforderungen an den Leser hoch, ihm wird keine Atempause gegönnt. Lapidus versteht es, mit verschiedenen Stilmitteln und ständigen Perspektivwechseln zu spielen. Mit unbändigem Erzähldrang schildert er das Schicksal scheinbar voneinander unabhängiger Personen, konstruiert eine sehr lose Verbindung der drei Protagonisten mit dem Mord an Olof Palme und verwebt ihre Lebenswege schließlich auf interessante Weise miteinander bis zur Abrechnung im dramatischen Finale.
    Entstanden ist ein atmosphärisch dichter, intelligenter Thriller, der dann letztendlich hollywoodlike in einer actionreichen, blutigen Szene gipfelt. Bis zum Ende hin bleibt die Geschichte unberechenbar.


    Über weite Strecken ist dieses Buch auch eine bittere Sozialstudie über die schwedische Gesellschaft. Lapidus schreibt eindringlich und authentisch, seine Kenntnisse der Stockholmer Unterwelt sind fast schon beängstigend. Er hat hier einen in höchstem Maße ungewöhnlichen Roman vorgelegt, der den Vergleich mit seinem Vorgänger nicht zu scheuen braucht.


    Ach ja: Der 1. Teil der Trilogie „Spür die Angst“ wurde in Schweden bereits verfilmt.

  • Ich fand das Buch auch eher ansprchsvoll. Man musste sehr konzentriert lesen, damit einem wirklich nichts entging, obwohl die Sprache überwiegend sehr klar war. Die Sprache in dem Buch hat mich sehr beeindruckt, weil die Perspektivwechsel zwischen Mahmud, Niklas und Thomas in den Charakteren der Personen, aber auch in der Sprache der jeweiligen Person sehr klar waren.


    Mir kam der erste Teil auch nicht wie eine "Warteschleife" vor, da jeder der drei Charaktere auf seine Weise interessant war und die Verbindungen sich so langsam und dicht aufbauten, ehe es alles darauf hinlief, dass die drei Charaktere sich begegneten.


    Für mich eines der besten Bücher, was ich jemals gelesen habe.


    10 Punkte.

  • Zitat

    Original von Hati... Mir kam der erste Teil auch nicht wie eine "Warteschleife" vor, da jeder der drei Charaktere auf seine Weise interessant war und die Verbindungen sich so langsam und dicht aufbauten, ehe es alles darauf hinlief, dass die drei Charaktere sich begegneten.


    Für mich eines der besten Bücher, was ich jemals gelesen habe. ...


    Freut mich, dass es dir gefallen hat. Gemessen am Anspruch ein Thriller zu sein, fand ich den ersten Teil eher ruhig. Stünde Krimi drauf wäre das anders. Bisher habe ich den Eindruck, dass Lapidus im Vergleich zu prominenten Autoren wie Nesboe in Deutschland wenig bekannt ist. Wie sollen wir uns das erklären?

  • Zitat

    Original von Buchdoktor


    Freut mich, dass es dir gefallen hat. Gemessen am Anspruch ein Thriller zu sein, fand ich den ersten Teil eher ruhig. Stünde Krimi drauf wäre das anders.


    Eigentlich bin ich kein Freund von skandinavischen Krimis/Thrillern - Ausnahmen ausgenommen. ;-) Für "Spür die Angst" hab ich die Ausnahme gemacht, weil sich das wirklich interessant anhört, ich bin aber nicht wirklich in die Geschichte reingekommen, und die Hauptcharaktere fand ich nicht besonders ansprechend - nicht, dass ich nicht auch unsympathische Protagnisten und interessante Kotzbrocken gerne lese :grin, aber diesen Kleindealer auf der Flucht fand ich eher nervig und die Schleimerei von JW "der Clique" gegenüber auch - am interessantesten fand ich noch den Gangster. Ich habe es nicht so empfunden, dass es mir gar nicht gefallen hat, aber zeitmäßig hatte ich sowieso ein großes Problem als ich "Spür die Angst" angelesen hatte, und zwei Wochen Zwangslesepause später hatte ich spontan wieder Lust auf was ganz anderes.


    "Mach sie fertig" habe ich mir aber auch bereits gekauft, weil der Plot sich interessant anhört und die drei Hauptcharaktere eventuell für mich auch ansprechender sind - und damit meine ich bestimmt nicht den Faktor "netter". ;-)


    Frage an diejenigen, die beide Bücher gelesen haben, spoilt das Lesen von "Mach sie fertig" dann "Spür die Angst", oder könnte ich das einfach mal vorziehen?



    Zitat

    Bisher habe ich den Eindruck, dass Lapidus im Vergleich zu prominenten Autoren wie Nesboe in Deutschland wenig bekannt ist. Wie sollen wir uns das erklären?


    Zu Werbung und Marketing der Bücher von Lapidus kann ich nix sagen, aber dieses silbergraue Cover von "Spür die Angst" war mir im Buchladen aufgefallen. Die deutschen Cover von Nesbo sehen ja auch ansprechend aus, ich habe aber noch keines seiner Bücher gelesen, weil ich nach dem Lesen von einigen Klappentexten den Eindruck hatte, dass Nesbo "Serienkillerthriller" schreibt, worum ich einen großen Bogen mache. Bei Lapidus hört es sich so an, dass er als Protagonisten Kriminelle und einen kriminellen Plot nutzt, das ganze aber auch auf ein Gesellschaftspanorama hinausläuft, was mich wiederum sehr anspricht - aber ich mag darin auch gerne schwarzen Humor - je schwärzer desto besser, ich meine aber mich zu erinnern, dass Lapidus recht humorfrei ist. :gruebel


    Beim Mainstream sind Serienkillerthriller Bestseller - sperrigere Krimis eher nicht. Just my 2 cents ...



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